zum Hauptinhalt

SPD-Spitzenkandidat: Das Wowereit-Puzzle

Zum vierten Mal wird Klaus Wowereit als SPD-Spitzenkandidat nominiert. Ein Politiker mit vielen Gesichtern.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

DER NOBODY

Klaus – wer? Nachdem er als Schülervertreter und Jungsozialist im Vorort Lichtenrade in die Berliner Politik einstieg, vergingen noch Jahrzehnte, bevor der Name Klaus Wowereit der Weltbevölkerung zwischen Island und Australien flüssig über die Lippen ging. Als die Berliner Mauer fiel, war der Mann, der am heutigen Freitag zum vierten Mal Spitzenkandidat der Hauptstadt-SPD wird, ein weithin unbekannter Volksbildungsstadtrat im Bezirk Tempelhof. Als die Sozialdemokraten Anfang Juni 2001 den Bruch mit dem Koalitionspartner CDU planten, das ist nun zehn Jahre her, gab es eine Meinungsumfrage. Nur sieben Prozent der Wähler nannten Wowereit als ihren Wunschkandidaten für das Amt des Berliner Regierungschefs. „Wir sind doch keine Talkshow-Stars“, verteidigte ihn damals der SPD-Landeschef Peter Strieder. Verbitterte Unionspolitiker sprachen von Wowereit, der Eintagsfliege.

DER UMSTÜRZLER

Bevor der neue Mann, getragen von einer rot-grün-roten Mehrheit, erstmals ins Rote Rathaus einzog, ging es zeitweise recht gemütlich zu. Mit dem CDU-Kollegen Klaus Landowsky traf sich der SPD- Fraktionschef Klaus Wowereit gelegentlich sogar im Restaurant Borchardt. Ein Bier für den Durst vorweg und dann ein Glas Wein. Ein bisschen Lebensart müsse sein, erzählte Landowsky. Aber er hatte den sozialdemokratischen Gegenpart unterschätzt, der schon im Frühjahr 2001, auf dem Höhepunkt des Bankenskandals, auf einmal von Neuwahlen sprach. Dann ging alles sehr schnell. Wie ein Phönix aus der Asche der SPD stieg der vorherige Kommunalpolitiker, Haushaltsexperte und Fraktionschef empor. Ein Mann mit weißer Weste und nicht verstrickt in die alten innerparteilichen Machtkämpfe. Angeblich war Bundeskanzler Gerhard Schröder bei der internen Auswahl des Spitzenkandidaten das Zünglein an der Waage. Also wagte die SPD am 16. Juni 2001 mit Wowereit den riskanten Tabubruch: Nicht nur mit Hilfe der Grünen, sondern auch der PDS wurde Wowereit zum Regierenden Bürgermeister gewählt.

DER CHEF

Wowereit gibt gern den Ton an. Die Kultur ist Chefsache, die S-Bahn auch und im zweiten harten Winter sogar die Schneebeseitigung. Der Großflughafen BBI ist sein Baby, so wie die Stadtautobahn A 100 nach Treptow. Zur neuesten Chefangelegenheit hat der Regierende Bürgermeister die Sicherheit auf den U-Bahnhöfen erklärt. Damit hat er nicht nur der CDU den Wind aus den Segeln genommen. Folgender Ruf eilt Wowereit seit Jahren voraus: Er sei kalt wie Hundeschnauze, habe Spaß an der Politik und eiserne Nerven. Er sei scharfsinnig und scharfzüngig, ein bisschen links und ein bisschen rechts, ein virtuoser Taktiker der Macht. Er kann mit den Linken, er kann mit den Grünen, notfalls würde Berlins Stadtoberhaupt auch wieder mit der CDU regieren. Kontaktfreudig, kommunikativ, mal liebreizend, mal rotzig. Ehrgeizig und mit einem untrüglichen Gefühl für das richtige Timing, um weiterzukommen. Ein Durchbeißer. Geduldig, beharrlich, charismatisch. Und pünktlich zu den Wahlkämpfen in guter Form.

DER PARTYMEISTER

Es waren lustige Jahre. Wenige Monate nach dem Aufstieg zum Regierungschef ließ sich Wowereit nach der Bambi-Verleihung mit einem roten Damenschuh in der linken und einer Flasche Champagner in der rechten Hand fotografieren. So wurde er zum Regierenden Partymeister. „Tanzen und knutschen für die deutsche Hauptstadt“, schrieb die Frankenpost 2004, weil Wowereit auf der Aids-Gala zu später Stunde Desirée Nick innig küsste. Der bulgarische Künstler Dimitri Vojnow malte sogar ein Bild, Titel „Paris Bar“, das Wowereit splitternackt und mit gepiercten Brustwarzen zeigte. „Darf man das?“, fragte die Bild-Zeitung verwirrt. Wowereit nahm es mit Humor, in jenen frühen Regierungsjahren ließ er fast nichts aus. Nicht mal einen Redeauftritt in Bangkok in beigem Sommeranzug mit rosa Krawatte. Stilistisch arm, aber sexy. Jedem erzählte er, dass er Golf spielt und beim Christopher Street Day ließ er sich von fremden Männern herzen. Rechtzeitig zur Berliner Wahl 2006 warf Wowereit das Ruder entschieden herum – und lag erneut vorn.

DER LANDESVATER

Nach dem Wahlsieg sahen die Bürger der Stadt den Regierenden Bürgermeister meistens im dunklen Anzug, leicht graumeliert und mit dezenter Krawatte. Wie aus dem Ei gepellt. Auf einmal konnte Klaus Wowereit alles, was den seriösen Staatsmann ausmacht, sogar hochdeutsch. Die Sympathiewerte in den Umfragen stiegen wieder auf ein respektables Niveau. Sein Bekanntheitsgrad liegt bei über 95 Prozent.

DER KUNSTLIEBHABER

Wowereit geht gern in die Oper, nicht weil er im Nebenberuf Kultursenator ist. Er liebt Puccini, kennt die Berliner Theater wie seine Westentasche und wirbt mit großer Hartnäckigkeit für eine neue Kunsthalle. An der Wiederbelebung des Steglitzer Schlosspark-Theaters hatte er ebenso einen Anteil wie an den Bemühungen zur Rettung der Ku’damm- Bühnen. Es gibt nur wenige prominente Filmschauspieler, die der Regierende nicht persönlich kennt. Schon als Bezirksstadtrat förderte er die Kiezkultur. Max Raabe, Klaus Hoffmann, Thomas Gottschalk und Gayle Tufts zählen zum Freundeskreis. Im Roten Rathaus etablierte er 2002 sogar eine literarische Soirée, obwohl das Bücherlesen bis heute eine Schwachstelle ist. Wowereit ist Fan des modernen Tanztheaters, aber bekennt sich auch zur Lindenstraße. Kunst und Künstler sind Bestandteil seines öffentlichen und privaten Lebens, auch wenn er im Fall seiner Wiederwahl das Kulturressort abgeben wird.

DER DIENSTREISENDE

Seine polyglotten Ambitionen sind legendär. Europa, USA und Lateinamerika, Ostasien, das südliche Afrika, Australien, Nah- und Mittelost graste der Regierende in den letzten zehn Jahren systematisch ab. Die wohl politisch wichtigste Reise ging nach Israel. Der umstrittenste Trip war im Herbst 2003 ein Besuch Mexikos. Folkloristische Fotos und ein boulevardeskes Reisetagebuch waren für die Opposition in Berlin ein gefundenes Fressen, während Wowereit der Überzeugung blieb, als markanter Werbeträger der deutschen Hauptstadt professionelle Arbeit geleistet zu haben. Später wurde noch eine Reise nach Los Angeles zum öffentlichen Streitfall. Inzwischen nimmt der Regierende nur noch selten Journalisten als Begleiter mit und übt sich diskret in seiner Rolle als weltläufiger und charmanter Botschafter Berlins.

DER WIRTSCHAFTSLENKER

So auch im März, als sich Wowereit in Saudi-Arabien als politischer Türöffner der hauptstädtischen Wirtschaft betätigte. Denn seit geraumer Zeit bemüht sich der Sozialdemokrat um ein ganz neues Image. Er wollte den Vorwurf, sich vorzugsweise um Tourismus, Hotellerie und andere Dienstleistungen zu kümmern, nicht mit in den Wahlkampf 2011 nehmen. Wowereit ist jetzt auch ein Mann der Exportwirtschaft und Industrie, der mit den Bossen von Siemens, Pfizer oder BMW auf Augenhöhe konferiert, um das ökonomische Wohl der Stadt zu mehren. Die wirtschaftliche Dynamik, die Berlin inzwischen ergriffen hat, will der SPD-Mann nutzen, um den ohnehin gebeutelten bürgerlichen Parteien CDU und FDP das letzte Wasser abzugraben.

DER KANZLERKANDIDAT

Naja, so richtig rüttelte er nie am Zaun des Kanzleramts. Trotzdem blieb die These, dass Klaus Wowereit ganz nach oben strebt, über die Jahre ein interessantes Gerücht. Eingetütet hat er das selbst, und im Wahlkampf 2006 machte das Zitat die Runde, Wowereit wolle sich „bundespolitisch stärker artikulieren“. Der Parteifreund komme für jedes hohe Parteiamt und jede bundespolitische Rolle in Frage, goss der SPD-Landeschef Michael Müller stolz Öl ins Feuer. In bundesweiten Umfragen stieg der Berliner SPD-Guru zum fünftwichtigsten Politiker Deutschlands auf. Aber erst 2009 gaben die Genossen einiger großer Landesverbände ihren hinhaltenden Widerstand auf. Wowereit wurde Vize-Parteichef der SPD. Wowereit beteuert brav, mit Hilfe der Wähler bis 2016 das Berliner Stadtoberhaupt bleiben zu wollen, aber nicht nur für James Bond gilt: Sag niemals nie.

DER BEKENNENDE HOMOSEXUELLE

Auch wenn es, etwa von den Genossen in der Oberpfalz oder in der Uckermark jederzeit bestritten würde: Die zeitweilig zögerliche Akzeptanz Wowereits in der Bundes-SPD hatte auch damit zu tun, dass er schwul ist. Sein öffentliches Coming out auf dem Berliner SPD-Nominierungsparteitag 2001 war nach eigenem Bekenntnis ein Tabubruch, der ihm persönlich schwerer fiel als die Entscheidung, gemeinsam mit der PDS zu regieren.

DER SPARKOMMISSAR

Beinah hätten wir es vergessen: In seinem früheren Leben war Wowereit auch mal ein knallharter Haushälter, der Landesvermögen privatisierte, dem öffentlichen Dienst aufs Dach stieg und Thilo Sarrazin als Finanzsenator einstellte. Inzwischen gibt er wieder gern ein bisschen mehr Geld aus und plant ambitionierte Großprojekte, etwa eine neue Landesbibliothek auf dem Tempelhofer Feld. Selbstverständlich alles nur im Rahmen des Möglichen und immer zum Wohle der Stadt Berlin.

Zur Startseite