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20 Jahre Grünpfeil: Als der blecherne Ossi in Deutschland Gesetz wurde

Vor genau 20 Jahren wurde der Grünpfeil in die gesamtdeutsche Straßenverkehrsordnung aufgenommen. In Berlin löste das DDR-Schild eine Senatskrise aus. Inzwischen wurde es vielerorts wieder abmontiert.

Deutschlands bekanntester Rechtspopulist ist ein Ossi. Vor genau 20 Jahren brach er auf, den Westteil Berlins und die alte Bundesrepublik zu erobern: Am 1. März 1994 wurde der Grünpfeil in die gesamtdeutsche Straßenverkehrsordnung (StVO) aufgenommen und darf als Bestandteil von Paragraf 37 zwar nicht unbehelligt, aber in Würde altern.

Der Grünpfeil ist nicht zu verwechseln mit dem Grünen Pfeil, der an vielen Ampeln leuchtet. Beim Grünpfeil handelt es sich um jenes Blechschild, das das Rechtsabbiegen auch bei roter Ampel erlaubt. Ein Überbleibsel der havarierten DDR, das zum Arbeiter- und Bauernstaat passte: Billiger als der Betrieb separater Ampellichter und dem Standard im Land angemessen, in dem sich der Durchschnittsbürger mit 26 PS und blauer Qualmwolke eher gemächlich fortbewegte. Wo auch die anderen nicht mehr hatten, musste niemand Erster sein.

Bausenator Wolfgang Nagel ließ die Pfeile einfach anschrauben

Dann kam die Wende. Die Autos vermehrten sich und brachten Ex-Trabi-Piloten zur Raserei. Autos mussten jetzt zum Tüv und Steuern dem Finanzamt erklärt werden. Plötzlich schien das Leben zu kompliziert, um per Blechschild geregelt zu werden. Die Wessis bekamen es sowieso nicht hin. Scheinbar blind warteten sie vor den Pfeilen, bis ein ostdeutscher Hintermann sie – welche Genugtuung! – anhupte. Einen Staat schlucken, aber an einem Pfeil scheitern. Pah!

Einer mit sicherem Gespür für diese Gemütslage war Bausenator Wolfgang Nagel. Weil sein Verkehrskollege und SPD-Parteifreund Horst Wagner die Ausbreitung der Pfeile auf die West-Bezirke strikt ablehnte, ließ er sie 1990 einfach selbst anschrauben. Dafür war er als Bausenator zwar auch zuständig – aber nicht ohne Anordnung durch die Verkehrsverwaltung. Daran erinnert sich Siegfried Brockmann, der 1991 Sprecher der Verkehrsverwaltung war und jetzt die Unfallforschung der Versicherer (UDV) leitet, von der noch die Rede sein soll.

Auf Nagels Guerilla-Aktionen folgten drei Jahre, in denen die Gnadenfrist für die alten Pfeile wegen ihrer Beliebtheit verlängert und über neue diskutiert und geforscht wurde. Wagners Nachfolger Herwig Haase (CDU) war ihnen wohlgesonnen und hielt etwa 130 Grünpfeile in den westlichen Bezirken für realistisch – bei rund 1000 Ampelkreuzungen dort. Im Osten waren es zu jener Zeit noch gut 70 bei 310 Kreuzungen. Aktionen wie die Demontage des Pfeils in der damals chronisch verstopften Straße Alt-Köpenick führten zu lokalen Verkehrsinfarkten und zu Verdruss über amtliche Rechthaberei.

Die meisten behaupten, sie würden am Pfeil stoppen - aber kaum jemand tut es wirklich

Nachdem eine Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen den Grünpfeil unter bestimmten Voraussetzungen für unbedenklich befunden hatte, durfte er 1994 offizieller Bestandteil der StVO werden. Am Stichtag enthüllte Haase ein Exemplar an der Einmündung der Hermsdorfer in die Oranienburger Straße in Reinickendorf. Während manche westdeutsche Städte den Pfeil konsequent und andere gar nicht einführten, eroberte er die westlichen Berliner Bezirke eher allmählich. Die Kritik von Fußgänger- und Blindenverbänden verhallte; der Pfeil hatte ein paar gute Jahre, aber seine Vermehrung ist vorbei: 2007 hingen nach Auskunft der Stadtentwicklungsverwaltung an stadtweit 90 (von insgesamt knapp 2000) Ampelanlagen 110 Blechpfeile. Zurzeit sind es nur noch 69 Stück an 66 Ampeln. Denn die Verwaltungsvorschrift zur StVO verlangt, regelmäßig das Unfallgeschehen an den Kreuzungen auszuwerten. Bei Häufungen muss der Pfeil weg, sofern er als Ursache relevant war.

Daneben gibt es eine Liste von Ausschlusskriterien: Wenn der Gegenverkehr eine separat geregelte Linksabbiegerspur hat, die Ampel an einem Schulweg steht, mehrspurig rechts abgebogen werden darf und wenn rechts ein Zweirichtungsradweg oder Straßenbahnschienen verlaufen, ist der Pfeil von vornherein tabu. Das gilt auch, wenn die Rechtsabbieger beim Vortasten an die Kreuzung just in der Fußgängerfurt oder auf dem querenden Radweg halten müssten, um die Querstraße einsehen zu können.

TU Dresden hat den Pfeil genau untersucht

Im vergangenen Jahr hat die Unfallforschung der Versicherer mit der TU Dresden den Pfeil genau untersucht. An Kreuzungen mit Grünpfeil kracht es demnach kaum häufiger als an anderen. 16 von 61 befragten Städten lehnten den Pfeil aber grundsätzlich ab. Die Entscheidung hänge oft davon ab, ob der jeweiligen Verwaltung die Flüssigkeit oder die Sicherheit des Verkehrs wichtiger sei. Bei den Ausschlusskriterien nehmen es die meisten Städte nicht so genau – und beim korrekten Verhalten der Autofahrer sieht es ganz finster aus: Zwar behaupteten in einer Befragung mehr als 80 Prozent, „meistens“ oder „immer“ am Grünpfeil zu stoppen wie vorgeschrieben. Doch die Beobachtung von fast 1000 Kraftfahrzeugen ergab, dass 77 Prozent nicht anhielten – in Köln ein paar mehr, in Dresden ein paar weniger. Dabei ist der Zwischenstopp erst seit der Nachwendezeit vorgeschrieben. Der Verstoß gehört mit mindestens 70 Euro Bußgeld und drei Punkten in Flensburg eher zu den teuren.

Aus Sicht von UDV-Leiter Brockmann sind die Berliner in diesem Punkt ziemlich gute Ossis: „Im Großen und Ganzen haben die Kraftfahrer hier begriffen, wie es funktioniert: An der Haltelinie anhalten, dann vorfahren bis zur Sichtlinie und abbiegen, wenn es gefahrlos möglich ist.“ Der Wissenschaftler hat aber auch eine schlechte Nachricht: Der Zeitgewinn durch den Pfeil sei „marginal bis nicht vorhanden“. Wer am Pfeil schon bei Rot abbiege, stehe an der nächsten Kreuzung höchstwahrscheinlich umso länger.

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