zum Hauptinhalt

Durcheinander der Jahreszeiten: Hoho und Helau im Berliner November

Was für ein Tag! Plötzlich sind die Weihnachtsmänner da, die Karnevalsprinzen grinsen, und am Potsdamer Platz fällt Schnee. Ein Streifzug durch ein erstaunliches Berlin.

Wache Beobachter der Innenstadt werden am Donnerstag gestern ein paar Mal gestaunt haben. Ja, ist denn heut schon...?

11 Uhr 11, Schiffbauerdamm: Mit allerhand Uffta drängen ein paar aufgekratzte Menschen in die „Ständige Vertretung“ ein, bunt gekleidet irgendwo zwischen Jägermeister und Bananenrepublik. Es sind die Berliner Karnevalisten, ewig auf der falschen Seite der Republik angesiedelt, aber doch von unzerstörbarem Frohsinn. Ihre Verantwortlichen haben getagt und teilen nun – eine Woche vor Beginn der fünften Jahreszeit – mit, wer ihnen diesmal als Prinz und Prinzessin voranschreitet: Es handelt sich um Willi I., bürgerlich Willi Eichner, 44 Jahre alt, verheiratet, kaufmännischer Sachbearbeiter, sowie Michaela I. Nachname Lehmann, geschieden, 39 Jahre alt, Sekretärin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Beide haben keinerlei rheinische Wurzeln, sind aber trotzdem fröhliche Menschen, das ergibt sich schon aus der Tatsache ihrer Erwählung. Ihn hat es erwischt, als er vor elf Jahren beim Berliner Umzug als Wagenengel debütieren durfte, sie hat sich bei ihrer einschlägig belasteten Tochter angesteckt. Beiden drohen nun mehr als 300 Termine, der erste am elften Elften, wenn, nun ja, das Rathaus Schöneberg erstürmt wird, was ziemlich sinnlos ist, weil drinnen kein einziger ernstzunehmender Machthaber auf seine Amtsenthebung wartet. Bauarbeiten am Roten Rathaus, grummelt Karnevalistenpräsident Edmund Braun, „das werden wir wohl auch in den kommenden Jahren nicht erstürmen dürfen.“ Dürfen! So brav, und trotzdem zeigt Klaus Wowereit der Truppe die kalte Schulter. Schließlich habe man rund 2000 Wähler, droht Braun, und Karnevalismus sei ja auch Sozialarbeit, denn „dass die Tanzmäuschen das ganze Jahr über zwei- oder dreimal die Woche üben, ist doch eine gute Sache“, da sollten die Medien mal drüber schreiben. Bitte, gern geschehen. Der Umzug findet übrigens am Sonntag, dem 12.Februar statt, eine Woche vor dem offiziellen Rosenmontagszug wie üblich.

11 Uhr 45, Spittelmarkt: Weihnachtsmänner! Roter Bademantel, weiß wallender Bart, dazu hübsche Engel – und alle schweben an den Passanten vorbei wie auf Wolken, verfolgt von zahlreichen Fotografen. Der übersinnliche Effekt zerstiebt bei näherem Hinsehen, denn die Regie hat es gewollt, dass sie sich auf säkularen Segway-Rollern bewegen, die später nicht mehr zur Dienstausrüstung gehören dürften.

Der Anlass kann keinen Berlin-Kenner überraschen, denn es begibt sich nun einmal alljährlich zu dieser Zeit, dass eine Werbung ausgeht vom Berliner Studentenwerk, dass alle Welt Weihnachtsmänner bestellen kann. Und -frauen! Und Paare! Es gibt, sagen die Verantwortlichen der „Heinzelmännchen“, allemal mehr Nachfrage als Angebote, weshalb man doch möglichst rasch anrufen solle: 93939 7711. Der Auftritt kostet bei Bescherungen mit maximal drei Kindern in der Spitzenzeit zwischen 15 und 20 Uhr 36 Euro, inkl. Engel 69 Euro. Und damit das nicht alles so geschäftsmäßig wirkt, unterstützten Weihnachtsmänner und -frauen unter dem Motto „Drei Engel für Santa“ drei Berliner Projekte. Eins ist das Archäologische Besucherzentrum Lateinschule am Petriplatz, wo auch die Pressekonferenz stattfand. Das zweite ist die Beratungsstelle für obdachlose Kinder am Fasanenplatz, das dritte die Komödie am Kurfürstendamm, wo man sich am 26.November im Anschluss an die Weihnachtsmännervollversammlung Emil Steinberger und sein Programm „Drei Engel“ ansehen kann.

Nun fehlt nur noch die passende Jahreszeit? Ist schon da. Am Potsdamer Platz steht die Rodelbahn schon wieder klotzig da, am Sonnabend wird die „Winterwelt“ offiziell eröffnet, Eisbahn und allerhand Hüttenzauber eingeschlossen. Am Donnerstag fiel prompt der erste Schnee von der Schippe. „Fesche Madln in Dirndln und stramme Bubn in Lederhosn sorgen für das leibliche Wohl“, droht die Pressemitteilung, „so dass jeder Besuch zu einem unvergesslichen Erlebnis wird“. Also wird nun auch der letzte Flachlandtiroler begreifen müssen, dass der Sommer vorbei ist und es keinen Sinn hat, länger Widerstand zu leisten. Das Rathaus Schöneberg erstürmen, einen Engel bestellen oder wenigstens zwei, drei Jagatee kippen – das wird man von einem richtigen Großstädter ab sofort erwarten dürfen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false