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Gastkommentar: Flughafen Tegel darf nicht zum Freizeitpark werden

Auf dem Areal des Flughafens Tegel muss ein Forschungs-Campus für grüne Technologien entstehen, meint Stadtplaner Florian Mausbach. Das würde der City-West grandiose Möglichkeiten eröffnen.

Jörg Steinbach, der Präsident der Technischen Universität, hat eine Vision: Das Gelände des Flughafens Tegel soll zu einem Universitäts- und Forschungs-Campus für Grünes Wirtschaften werden, entwickelt von der TU und der Beuth-Hochschule für Technik. Steinbach fordert eine intensive öffentliche Diskussion: „Wir müssen dem gravierenden Platzmangel und dem sehr hohen Sanierungsstau Konzepte entgegensetzen, die einer modernen und konkurrenzfähigen Universität den Weg ebnen.“ Der Flughafen Tegel wird 2012 geschlossen. Der neue Großflughafen in Schönefeld wird den Namen Willy Brandts tragen. Der wurde belächelt, als er 1961 für seine Vision vom „blauen Himmel über der Ruhr“ warb.

Tatsächlich waren die 60er und 70er Jahre Jahrzehnte der Entwicklung. In Berlin wurde 1976 der Flughafen Tegel eröffnet, überall in Deutschland entstanden Universitäten, Schulen, Kliniken und Großsiedlungen, wurde die Infrastruktur saniert, begleitet von gesellschaftlichen und politischen Reformen. Es folgten Bewegungen und Gegenbewegungen für erhaltende Erneuerung, für Umwelt-, Natur- und Denkmalschutz. Heute stehen wir erneut vor einer Zeitenwende. Während andere Nationen die Kernkraft weiterentwickeln, hat Deutschland sich entschlossen, Wegbereiter der erneuerbaren Energien zu werden. Ein Modernisierungsschub zeichnet sich ab, der die Gesellschaft verändern wird.

Die größte Stadt Deutschlands, in ihren besten Tagen Pionierstadt, könnte eine Renaissance erleben als Wissenschafts-, Industrie-, Verkehrs- und Energiemetropole, falls sie ihre Kräfte auf die wissenschaftlich-technische Revolution konzentriert und Potenziale nutzt. Diese sind zuallererst die reiche Berliner Forschungs- und Wissenschaftslandschaft und die beiden stillgelegten zentralen Flughafenareale Tempelhof und Tegel.

Die Universität der Zukunft ist eine forschungsorientierte, alle Wissenschaften umfassende, multizentrale Großhochschule. Der immense Flächenbedarf durch wachsende Studentenzahlen und die Kooperation mit staatlicher und industrieller Forschung ist nur an unterschiedlichen Standorten zu befriedigen. Die drei im Exzellenzwettbewerb erfolgreichen technischen Großhochschulen RWTH Aachen, das Karlsruher Institut für Technologie und die TU München entwickeln neue Außenstandorte am Stadtrand, um Forschungsstätten und Unternehmen räumlich und inhaltlich zu verzahnen. Dort entstehen flächenintensive Büro- und Laborbauten, Werkstätten, Bauten für Produktion und Entwicklung, Hallen und fliegende Bauten, ergänzt um Hotels, Seminar- und Konferenzräume, Fortbildungsstätten, Fachbibliotheken, Restaurants, Läden, Kindertagesstätten und Service-Einrichtungen, nicht zuletzt Freiflächen für Verkehr, Stellplätze und Erweiterungen.

In Berlin hat es die Humboldt-Universität vorgemacht und in Adlershof einen naturwissenschaftlichen Außencampus entwickelt. Im Norden Berlins wächst in Buch ein Biotech-Campus. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz errichtet im Osten Depots und Werkstätten. Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt, als Reichsanstalt auf Initiative von Werner von Siemens in Nachbarschaft zur TH Charlottenburg gegründet, betreibt in Adlershof ein weltweit einzigartiges Laboratorium für Präzisionsmessungen. Eine andere gründerzeitliche Tochter der Charlottenburger TH, das Bundesamt für Materialforschung, hat gerade in Adlershof Richtfest gefeiert für ein großes Labor und Technikum. Die Industrie- und Handelskammer fordert jetzt für den Westen der Stadt einen „Klima- und Energie-Campus Tegel“ und begrüßt den Vorstoß des TU-Präsidenten. Es spricht also nichts gegen einen Außenstandort von TU und Beuth-Hochschule? Der Flughafen liegt am Rande der Innenstadt. Von beiden Hochschulen sind es sechs Kilometer dorthin, vom Ernst-Reuter-Platz mit dem Airport-Bus 15 Minuten. Braucht man eine U-Bahn? Wie haben es 40 000 Fluggäste täglich nach Tegel geschafft?

Adlershof hat sich längst bezahlt gemacht. Warum sollten, wie der Senat befürchtet, durch die Ansiedlung von Hochschulinstituten in Tegel horrende Kosten entstehen? Eine erneute Bewerbung für Olympia – ein einmaliges Event – käme die Stadt sehr viel teurer. Die Behebung des Sanierungsstaus und die Erweiterung der Hochschulstandorte in Charlottenburg und Wedding wären bei hohen Grundstückskosten teurer als Neubauten in Tegel. Diese in den kommenden Jahrzehnten anfallenden Kosten sind den Entwicklungskosten in Tegel gegenüberzustellen. Auch für Tegel entstehen mit der Schließung des Flughafens Kosten. Gebäude und Flugfeld müssen gesichert und unterhalten werden. Aber noch fehlt es, ein Jahr vor der Schließung, an Investoren und konkreten Plänen.

Der Senat will in Tegel mit einem Forschungs- und Industriepark „auf die Standortanforderungen moderner Unternehmen reagieren“. Wie aber will er private Unternehmen nach Tegel locken, wenn diese verfallende Gebäude und leere Betonpisten erwarten? Soll Tegel zur Resterampe Berlins werden? Attraktiv für Möbelhäuser, Garten-Center, Fressnäpfe und Flohmärkte? Oder ein Riesenrad? Mit Kind und Kegel zum Freizeitpark nach Tegel?

Die 460 Hektar des Flughafens sind zu zwei Dritteln Eigentum des Bundes und zu einem Drittel Eigentum des Landes. Eigentum verpflichtet. Auch den Bund. Der kann den geschichtsträchtigen Flughafen Tegel nicht einfach wie schon Tempelhof dem überforderten Land überlassen und sich aus seiner historischen Verantwortung stehlen. Bund und Land sollten Tegel zum Schaufenster der Energiewende machen. Nur mit der Förderung des Bundes wird dieses einzigartige Gelände eine Zukunft haben. Der Nordwesten Berlins könnte an seine große Tradition als Industriestandort anknüpfen, an die Zeit, als Borsig in Tegel für die ganze Welt Dampflokomotiven baute, als Siemens und Osram in Spandau ihre Werke errichteten und Berlin zur „Elektropolis“ machten.

Niemand wird ernsthaft die Traditionsstandorte der Hochschulen mit ihrer Geschichte und ihrer urbanen Präsenz infrage stellen. Der Stammsitz bleibt das Standbein mit dem Schwerpunkt Lehre, der Außenstandort wird zum Spielbein der Zukunftsforschung. Die Standortdifferenzierung erfolgt Schritt für Schritt, nach Bedarf und Vermögen. Welche Gebäude müssen saniert und erweitert werden, welche Institute und Fakultäten zieht es hinaus zur Partnerschaft mit der Industrie? Am Gründungsort Charlottenburg wird die TU auch künftig ihren Hauptsitz mit Audimax und Hörsälen haben, um hier gemeinsam mit der Universität der Künste Lehre und Bachelor-Studium zu konzentrieren. Das Senatskonzept vom „Campus Charlottenburg“ bietet keine Perspektive. Es zwängt die TU in das enge städtebauliche Korsett der City West und blockiert die künftige Entwicklung der Universität wie die der City-West.

Das „Zoofenster“, ein 118 Meter hoher Turm am Bahnhof Zoo, ist das neue Wahrzeichen des Westens Berlins. Zwei Jahrzehnte nach dem Fall der Mauer galt der Wiederaufbau vorrangig dem Osten und der Mitte Berlins. Jetzt gibt das Waldorf Astoria Hotel das Signal für die Wiederauferstehung des Berliner Westens. Ein Zwillingsturm gleicher Höhe soll folgen und das Schimmelpfenghaus ersetzen. Nebenan erleben das Bikini-Haus und der legendäre Zoo Palast ihr Comeback. Der Kurfürstendamm verjüngt sich und feiert seinen 125. Geburtstag mit spektakulären Bauprojekten, David Chipperfields neuem Ku’damm-Karree und der Wiedergeburt des Hauses Cumberland gegenüber dem neu gestalteten George-Grosz-Platz.

Städtebauliche Perspektiven bietet jedoch nur der Raum außerhalb gründerzeitlicher Blockbebauung zwischen Europa-Center und Ernst-Reuter-Platz. Hier drängt die City West gegen kurzsichtige Bedenken in die Höhe. Und hier ist es, wo der neue Entwicklungsschub der City West auf die Senatspläne des „Campus Charlottenburg“ stößt. Die letzten und wertvollsten Entwicklungsflächen zwischen Bahnhof Zoo, Hardenbergstraße, Fasanenstraße und Landwehrkanal gehören teils dem Bund, teils dem Land. Hier sollte noch jüngst ein Riesenrad von 185 Metern errichtet werden. Gab es für das Riesenspielzeug keine Höhenbeschränkung, soll nun, nach dem Scheitern des Projekts, die TU, durch Traufhöhen beschränkt, einen Teil ihres Flächenbedarfs stillen. Ein Großteil der Bundesbauten an der Fasanenstraße, Militärverwaltungsbauten der 1930er, werden in diesem Jahr vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung geräumt.

Es sollte Anlass für den Bund sein, erneut über die Entwicklung seines einzigartigen Areals nachzudenken. Für die landeseigenen Grundstücke hat seinerzeit der Architekt Josef Paul Kleihues „neue Wohnformen in hohen Häusern“ vorgeschlagen „wie wir sie aus New York, Boston und Chicago kennen“. An Tiergarten und Landwehrkanal gelegen mit Blick zu Kudamm-Eck und Gedächtniskirche wäre es eine Wohnlage nach Kurt Tucholsky: „Vorne der Kudamm, hinten die Ostsee.“ An der Hardenbergstraße gegenüber der Industrie- und Handelskammer hat die Berliner Bank bereits die Traufhöhe überwunden.

Der bundeseigene Standort schreit geradezu nach einem weiteren Büro- und Hotelturm am Bahnhof Zoo. Eine nach oben offene städtebauliche Entwicklung des Gesamtareals könnte der City West neuen Auftrieb geben, den Bahnhof Zoo weiter aufwerten und der Forderung nach einem IC-Halt neuen Schwung verleihen. Beides aber geht nicht: die wirtschaftliche Entwicklung der City West voranbringen und am selben Ort die Ausdehnung des Campus Charlottenburg betreiben. Also auf nach Tegel!

Der Autor war von 1995 bis 2009 Präsident des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung.

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