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Kiezreport: Askanischer Platz: Heimat globales Dorf

Am Askanischen Platz in Kreuzberg ist der Einwandereranteil am höchsten in Berlin. Die meisten fühlen sich wohl hier, doch die hohen Mieten beklagen alle.

Von Fatina Keilani

Der Rekord liegt vor der Haustür: Die Gegend rund um den Askanischen Platz, an dem der Tagesspiegel sitzt, hat laut neuester Statistik den höchsten Migrantenanteil von ganz Berlin – fast 70 Prozent. Dabei ist das Viertel nicht bekannt als Problemkiez, so wie andere mit hohem Zuwandereranteil. In den Schlagzeilen war das Quartier eher wegen der drastischen Mietsteigerungen der vergangenen Monate. Viele Sozialwohnungen fielen aus der Preisbindung. Die Folgen sind spürbar, viele müssen wegziehen. Wir haben einen Rundgang gemacht. Fazit: Wer hier lebt, tut es gerne und schätzt die Ruhe.

Selbst die deutsche Minderheit ist hier etwas internationaler. Susanne Horncastle, verheiratet mit einem Briten, geht mit Mann und Hund im Fanny-Hensel-Weg spazieren. „Die Leute hier sind nett“, sagt die 40-jährige Architektin. „Fast sind die Migranten noch netter, sie sind eben herzlicher und lebhafter.“ Nur mit Leuten, die ihren Müll überall liegenlassen, hat sie ihre Probleme. „Schon die Erwachsenen sind nicht sehr diszipliniert, wie wollen sie dann ihre Kinder dazu erziehen?“, fragt sie. Das sei aber eher ein Problem der Bildung als der Herkunft. Unterschiede gebe es schon. Horncastle wohnt in einer Erdgeschosswohnung mit Garten. Oft stehen Kinder an ihrem Zaun. „Deutsche Kinder fragen zwar höflicher, ob sie etwas dürfen, aber dann akzeptieren sie kein Nein als Antwort. Kinder aus Migrantenfamilien kennen mehr Grenzen.“ Dass es keine deutsche Mehrheitsgesellschaft mehr gibt, in die sich die Ausländer integrieren könnten, hält sie für unerheblich. Insgesamt sei die Gegend sehr friedlich und familiär; viele würden sich untereinander kennen.

Charme hat das Viertel nicht. Gesichtslose Wohnblocks kennzeichnen es; eine städtebauliche Linie ist nicht zu erkennen. In den vergangenen Jahren sind einige Mittelklassehotels dazugekommen, aber Geschäften und Restaurants fehlt jegliches Flair. Auf den Straßen ist nichts los. Nur wenige Schritte weiter liegt eine andere Welt: schicke Hotels, die Edelresidenz „The Charleston“ mit Luxusapartments und der quirlige Potsdamer Platz.

Charme hat dafür Beyhan Kisa. Die 35-Jährige betreibt einen Backshop auf der Schöneberger Straße. Sie hat ihn vor fünf Jahren übernommen; damals wohnte sie noch hier. Vor zwei Jahren zog sie weg: „Hier war eine asoziale Atmosphäre, die Frauen arbeiteten nicht, sondern lebten von ihren Männern oder Vater Staat.“ Da habe sie sich eine neue Wohngegend gesucht. „Ich wohne jetzt in der Alten Jakobstraße, da gibt es noch viele Deutsche mit schön gepflegten Balkonen.“ Sie lacht, meint das aber durchaus ernst. Es sei jetzt aber wieder besser geworden. Als sie den Backshop übernahm, hätten sich die türkischen Frauen dort zu stundenlangem Kaffeeklatsch getroffen. „Das war wie in der Türkei, wollen die sich nicht mal integrieren?“ Kisas Söhnchen Umut kommt bald in die Kita, und schon jetzt sorgt sich seine Mutter, dass er dort nicht ordentlich Deutsch lernt. Auch sonst ist die eingebürgerte Türkin in Westeuropa angekommen. Sie lebt mit ihrem Freund zusammen; verheiratet ist sie nicht. Sie scherzt: „Da wäre mir die Scheidung zu teuer.“

Was Kisa sagt, bestätigt Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne). Die Arbeitslosigkeit im Kiez ist hoch, die Bildungsabschlüsse sind niedrig, die Einkommen auch. Trotzdem ist die Gegend ruhig und friedlich. „Hier gibt es keine Gangs wie in Neukölln“, sagt Schulz. Es mache sich auch bezahlt, dass der Bezirk seit 15 Jahren Projekte anbiete, von der frühkindlichen Bildung bis zur Hausaufgabenhilfe.

Nur die hohen Mieten beklagen alle. Ladenbesitzerin Victoria Hazko wäre gern über ihrem Laden eingezogen. Aber das hätte 1000 Euro monatlich gekostet; in Schöneberg zahlt sie 700. Beyhan Kisa hat die Zuzügler schon ausgemacht: „Die Wohnungen hier sind groß. Jetzt kommen viele Studenten, die WGs gründen.“

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