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Im Monbijourpark räumte der Berlin International Women’s Club auf.

© Katharina Ludwig

Helfen in Berlin: 70 Jahre gelebtes Engagement

Hungerhilfe nach dem Krieg, Spenden für Sozialprojekte und Katastrophenopfer, der Einsatz für eine schönere Stadt: Tagesspiegel-Leser pflegen die Kultur des verantwortungsbewussten Stadtbürgers.

Die Kultur des Helfens begleitet die Geschichte des Tagesspiegels; das Engagement zählt nachgerade zu seinen Gründungsgenen. Die Leserinnen und Leser haben das gerade wieder bestätigt: Sie waren auf den Straßen Berlins unterwegs, halfen tatkräftig mit in Flüchtlingsheimen und sozialen Einrichtungen und waren fleißig in Parks und Grünanlagen. Die Aktionstage „Saubere Sache – Gemeinsame Sache“, zu denen der Tagesspiegel seit Jahren aufruft, sind zu einer Demonstration der engagierten Berliner geworden.

Die Wiederentdeckung des verantwortungsvollen Stadtbürgers wäre ohne die tiefgreifende Veränderung der Berliner Bevölkerungsstruktur seit dem Mauerfall freilich nicht denkbar. Der Impuls der Einheit, der Umzug der Bundesregierung mit Ministerien, Interessenverbänden, Bundesbehörden und politischen Organisationen, hat nicht nur zur dynamischen Entwicklung der Stadt beigetragen, sondern mit den vielen Neu-Berlinern auch die bürgerliche Tugend des Helfens und des Zupackens vitalisiert.

Da kehrt auch etwas zurück. Denn Berlin verlor in den fünfziger Jahren unter der steten Bedrohung durch den Kalten Krieg nicht nur viele Unternehmenszentralen, sondern auch viele aktive Bürger, die ein städtisches Gemeinwesen so nötig hat wie gute politische Führung.

Jene Bürger suchten bis zum Mauerfall oft genug ihre Karriere und ihr Glück in „Westdeutschland“ und engagierten sich dort. Und in Ost-Berlin wurde ein ehrenamtliches Engagement von der SED misstrauisch beäugt. Viele zogen sich ganz in die innere Emigration zurück und kümmerten sich lieber um ihre Datsche als um die Pflege der Gemeinschaft. Auch das war ein Verlust, unter dem auch das vereinte Berlin noch litt. Spürbar ist das noch heute bei der Zahl der Stiftungen in Berlin. Zwar hat die Hauptstadt in den vergangenen Jahren mit jetzt 845 Stiftungen enorm aufgeholt, doch im Bundesländervergleich liegt Berlin noch weit zurück.

In der Not nach dem Krieg standen die Berliner zusammen

Anteil nehmen, Debatten anstoßen und Menschen helfen – das findet sich beim Tagesspiegel schon in der Gründungsphase. Man half, obwohl Berlin in Trümmern lag und die Versorgungslage schlecht war. Schon im Sommer 1946 wurden die Leser um Spenden für die Heimkehrer-Hilfe gebeten, um die Not der entlassenen Kriegsgefangenen zu lindern. Innerhalb eines halben Jahres kamen 300.000 Mark zusammen; ein überwältigendes Ergebnis in dieser Zeit der allgemeinen Entbehrung.

Aber vielleicht zeigten die Tagesspiegel-Leser damit gerade ihren festen Willen, Humanität zu leben nach der barbarischen Zeit. Auch viele Künstler beteiligten sich: Curth Flatow trat bei einer Versteigerung als Conférencier auf, Sergiu Celibidache dirigierte die Philharmoniker im Ersatzdomizil und Regisseur Fritz Kortner las aus Heinrich Manns „Der Untertan“.

Nicht immer ist die Hilfe sofort sichtbar. Oft genug geschieht sie im Verborgenen. Aber es zeichnet möglicherweise eine Kultur des Engagements aus, dass vieles bescheiden zurückgenommen geschieht, nicht unbedingt für die Bühne der öffentlichen Wahrnehmung. Man drängelt sich nicht in den Vordergrund, sondern lässt dort jene Menschen stehen, denen geholfen werden soll. So ist es bis heute. Tagesspiegel-Leserinnen und -Leser engagieren sich in Flüchtlingsinitiativen, geben Sprachunterricht, gehen mit zu Ämtern, nehmen Flüchtlinge in ihren Wohnungen auf oder erkunden, was diese mittellosen Menschen benötigen, um sich schnell integrieren zu können.

Ohne diesen Einsatz, der in allen Bezirken zu beobachten ist, wäre das Bemühen der Verwaltung nur unvollkommenes Stückwerk. Mitmenschlichkeit kann man eben nicht organisieren und nicht verordnen; man kann als Zeitung aber Haltung zeigen und die engagierten Menschen unterstützen. Es ist ermutigend, dass es in dieser Stadt so viel Mitmenschlichkeit gibt in diesen schwierigen Tagen.

Schon vor dem Mauerfall endete die Hilfe nicht an Grenzen

Unübersehbar war die Hilfe des Tagesspiegels in der Vergangenheit aber durchaus. Auch grenzüberschreitend. So spendete die Tagesspiegel-Stiftung in den 80er Jahren eine halbe Million D-Mark, um den sichtbaren Verfall der Heilandskirche in Sacrow zu stoppen. Das im damaligen Todesstreifen gelegene architektonische Kleinod, von der DDR-Führung vernachlässigt, wies massive Schäden auf. Ohne die Tagesspiegel-Aktion, die Bausubstanz zu retten, wäre nach dem Mauerfall die durchgreifende Sanierung zu spät gekommen.

Aber die Tagesspiegel-Leser schauten auch immer über die Berliner Grenzen hinaus. Nach der Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes 1956 sammelte die Zeitung innerhalb von drei Tagen 250.000 Mark. Nach der Hamburger Flutkatastrophe 1962 war die mitfühlende Geldhilfe so gewaltig, dass „Spiegel“-Chef Rudolf Augstein in seinem Hamburger Magazin bewundernd schrieb: „Ist es wahr, dass die Berliner hilfsbereiter sind als wir in der Bundesrepublik?“

Lesen und helfen – nach dieser Maxime handeln Tagesspiegel-Leser seit vielen Jahren. Seit Anfang der 90er Jahre stellt der Tagesspiegel vor Weihnachten Organisationen vor, die sich um Bedürftige kümmern. Die riesige Resonanz zeigt Jahr für Jahr das große Vertrauen der Leserinnen und Leser in ihre Zeitung, dass ihre Spenden an die richtige Adresse kommen und dort mit dem Geld verantwortungsvoll umgegangen wird.

Leser mischen sich ein - für eine bessere Stadt

In diesen Tagen, in denen wir 25 Jahre Deutsche Einheit würdigen, ist auch an die Leningrad-Hilfe im Oktober 1990 zu erinnern. Der damalige Lokalchef Günter Matthes regte eine Hilfsaktion an, nachdem der Leningrader Bürgermeister einen Hungerwinter befürchtete. Innerhalb von drei Wochen waren 2,5 Millionen DM auf dem Konto. Spendabel zeigten sich die Leser auch nach der Oderflut 1997 oder 2004, als ein Tsunami die Küsten Südasiens überrollte. Oder auch nach dem furchtbaren Erdbeben in Haiti im Jahre 2010.

Aber es ist nicht nur ihre Spendenbereitschaft, es ist das Engagement für die Stadt, das Tagesspiegel-Leser auszeichnet: Sie mischen sich ein, im besten Sinne demokratische Kultur, besonders, wenn es um Berlin geht. Ein Beispiel war die große Debatte, die der Tagesspiegel 1996 anstieß, als namhafte Architekten gebeten wurden, ihre Visionen für die Bebauung des Schlossareals vorzustellen. Zwei Jahre nach der Präsentation der Schlossattrappe brachte das Schwung in die festgefahrene Streitfrage.

Auch die erfolgreiche Serie „Platz da!“ machte Druck auf Bezirkspolitiker, vernachlässigte und planerisch vermurkste Plätze zu verschönern. Erst wählten unsere Leser mit einer Online-Abstimmung die unattraktivsten Plätze aus. Dann zeigten Landschaftsarchitekten, was man aus diesen städtischen Schmuddelkindern machen könnte – und nach jeder Folge diskutieren Leser, Planer und Politiker über die Vorschläge. Am Ende gelobten manche Bezirke eine städtebauliche Aufwertung.

Ein Plädoyer für besseres Bauen war auch die Serie zur Vergabe des Berliner Architekturpreises vor zwei Jahren. Architekten zeigten eindrucksvoll, dass in der Boomtown Berlin nicht nur hässliche Betonkästen entstehen müssen, sondern auch inspirierte bauliche Qualität möglich ist. Unter großer Beteiligung unserer Leser wurde der Publikumspreis vergeben.

Gelebte Verantwortung für die eigene Stadt, das zeichnet unsere Leser aus – welch ein Kapital für eine Zeitung. Und eine Verpflichtung, der wir uns auch in Zukunft gerne stellen.

Die Hilfe für Flüchtlinge war in den letzten Wochen das beherrschende Thema in Deutschland. Hier finden Sie eine Übersicht, wie Sie selbst Schutzsuchende in Berlin unterstützen können.

Dieser Text erscheint zum 70-jährigen Bestehen des Tagesspiegels. Lesen Sie weitere Beiträge zum Geburtstag auf unserer Themenseite.

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