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Wenn Alberto Nebiolo durch Kreuzberg radelt, sind seine Papageien oft mit dabei. Meist ist der Böcklerpark das Ziel.

© Verena Eidel

Stadtmenschen am Sonntag: Der Papageno vom Böcklerpark

Alberto Nebiolo teilt seine Wohnung mit Papageien. Regelmäßig fährt er sie auf seinem Fahrrad zum Böcklerpark. Dort lässt er die Vögel einen Hauch von Freiheit spüren.

Es war Zufall, dass er an jenem Tag den dunklen und verrauchten Laden auf der Urbanstraße betrat. Aber es hat sein Leben verändert, von Grund auf, sagt Alberto Nebiolo mit angenehmer, ruhiger Stimme und schließt dabei die Augen, wie um sich diesen denkwürdigen Augenblick noch einmal zu vergegenwärtigen. Der Laden war eine Tierhandlung mit Reptilien. In einer Ecke aber saß in einem Käfig ein wunderschöner, grün-blau-gelb gefiederter Ara. „Sofort wusste ich: Das ist für mich“, sagt Alberto Nebiolo und öffnet die Augen, und man weiß nicht genau, ob er damit den Vogel meint oder den Moment oder beides zusammen.

Er kaufte den Papagei für viel Geld, 5000 Mark – und rettete ihm wahrscheinlich das Leben. Der Vogel hat von dem Zigarettenqualm, den der Ladenbesitzer verursachte, noch heute Atemprobleme. „Dann haben wir uns langsam angefreundet, ganz langsam“, sagt der gebürtige Italiener, „und dann, tja, dann wurden es immer mehr.“ Seine Hände machen eine schicksalsergebene Geste in der Luft und zeigen auf sein Fahrrad, auf dem sechs Papageien thronen und neugierig die Köpfe recken. Es ist vielleicht ein bisschen so wie mit Tattoos, überlegt er. Das erste kostet große Überwindung, doch hat man erst mal eins, dann werden es schnell mehr.

„Papageien sind das Beste, was es gibt gegen Depressionen“

Jetzt widmet Alberto Nebiolo neben seiner Arbeit als Koch im „Sale e Tabacchi“ jede freie Minute den Papageien. In seiner Wohnung hat er ein Schlafzimmer für sich - der Rest der Wohnung gehört inzwischen den Vögeln. Besuchen kann ihn dort niemand mehr, seine Papageien seien wahnsinnig eifersüchtig, erklärt er. Verreisen kann er auch kaum noch und wenn, dann nur kurz – denn sie sind außerdem ziemlich schnell beleidigt, wenn er sie vernachlässigt. Aber all das nimmt er in Kauf. Denn Alberto Nebiolo kann sich keinen besseren Ausgleich zu seinem Beruf vorstellen. In der Restaurantküche gehe es ja meistens ziemlich hektisch zu. Aber sobald er zu Hause ankommt, fühle er sich sofort geerdet. Das verdankt er seinen Tieren. Das sei immer schon so gewesen: Er hatte eine tiefe Verbindung zu Tieren allgemein und zu Papageien ganz besonders. Das sei einfach da, in ihm drin.

„Papageien sind das Beste, was es gibt gegen Depressionen“, sagt er. Man merkt schnell, was er meint, wenn man ihn auf seiner Spazierfahrt begleitet. Die grellen, bunten Farben scheinen etwas mit den Menschen zu machen. Zwei Jungen rufen überrascht: „Oha, sind die echt?“ Viele zeigen auf sie, einige stellen sich kurzerhand in den Weg und machen schnell ein Foto. Es ist das Ungewohnte, das uns aus den täglichen Abläufen reißen kann und uns für einen Augenblick erhebt - und das zaubert tatsächlich den allermeisten Menschen ein Lächeln aufs Gesicht. Und wenn dann noch dazu ein gekrächztes „Hallo! Hallo! Papagei!“ an sie gerichtet wird, scheinen sie ganz beseelt.

"Ich bin im Grunde auch ein schriller Vogel"

Ein bisschen ist es wie beim Papageno, der mit seinem grellen Federkostüm und seiner Unbedarftheit dem ernsten Ringen zwischen Nacht und Licht immer wieder die Schwere zu nehmen vermag. Obwohl er ja nichts ausrichten kann; es ist einzig und allein die Lebensfreude, die ansteckt. „Oder vielleicht ist es auch die Freiheit, die sie verkörpern“, versucht Alberto Nebiolo zu erklären, was die Tiere so anziehend macht.

Man sage ja auch, Italiener seien ein bisschen wie Papageien, meint Nebiolo. „Es stimmt schon: Wir reden unheimlich gern, kleiden uns gerne auffällig.“ Er macht eine Pause. „Ich bin im Grunde auch ein schriller Vogel.“ Und er genießt es, wenn die Menschen stehen bleiben und gucken. Das machen eigentlich alle. Natürlich hält er auch gerne hier und da ein Schwätzchen. Vielleicht ist es das, was er mit Ausgleich zu seiner Arbeit meint: keine Freizeitplanung, sondern die freie Zeit verbringen, ganz offen für das sein, was kommt.

Manchmal schimpfen die Tierschützer. „Aber die wissen nicht, dass diese Papageien alle hier in Deutschland geboren sind. Die würden im Dschungel nicht überleben.“

"Außerdem", fügt Alberto Nebiolo hinzu, "gebe ich mir wirklich die größte Mühe."

Auch Papageien tut Bewegung gut

Schließlich fährt er seine Papageien nicht nur auf der eigens gebauten Astkonstruktion vor dem Lenker mit seinem Fahrrad durch die frische Luft spazieren, sodass ihnen der Fahrtwind durchs Gefieder fährt, sein Ziel ist der Böcklerpark. Hier auf der versteckten Wiese zwischen Landwehrkanal und Wohnblock-Anlage, lässt er seine Tiere fliegen. Er bindet dem geduldig wartenden Ara eine weiße Schnur um das Fußgelenk. „Eigentlich fliegen Papageien nicht so gerne“, sagt er, „aber die Bewegung ist gut für sie.“

Dann erhebt sich der Vogel mit einem lauten Urwald-Kreischer in die Luft, sein sattes Blau, sein knalliges Rot und sein leuchtendes Gelb heben sich stark ab von den verwaschenen Fassadenfarben hinter der vertrockneten Wiese. Zwei Spaziergänger heben den Kopf und verfolgen mit dem Blick den Kreis, den der Papagei unter dem Kreuzberger Himmel zieht. Alberto Nebiolo rennt mit erhobenem Arm mit ihm mit und bringt ihn dann, sobald er gelandet ist, auf dem Arm wieder zum Fahrrad zurück. Leise flüstert er dem Papagei Worte zu, während er ihm über die Federn streichelt. Der große Vogel scheint ihm zuzustimmen. Unter heftigem Kopfnicken erwidert er, auch ganz leise: „Hallo, hallo, hallo, hallo.“

Von den Autorinnen erschien bereits: „111 Berliner, die man kennenlernen sollte“, Emons Verlag, 230 Seite, 16,95 €. Nun begeben sich Lucia Jay von Seldeneck und Verena Eidel für uns auf die Suche nach noch mehr Berlinern.

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