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„100 Jahre? Das lohnt sich.“ Sagt Fritz Koch, und der sollte es wissen: Er ist 108 Jahre alt. In seinem Heimzimmer hängen viele seiner Bilder. Die Malerei war schon immer seine Leidenschaft.

© Johannes Böhme

Berlin-Reinickendorf: 108 Jahre: Ältester Berliner feiert Geburtstag

Als Fritz Koch zur Welt kam, hieß Neukölln noch Rixdorf, am Berghain rollten Dampfloks. Jetzt hat er Geburtstag gefeiert – seinen 108. Ein Besuch am Frühstückstisch.

Ach ja, die Augen! Die sind nicht mehr so dolle, hören kann er auch nicht mehr gut. Und durch den Flur seines Altersheimes hier am Schäfersee bewegt er sich im Rollstuhl. Trotzdem, sagt Fritz Koch an diesem Morgen mit einem Lächeln, „werden Sie auch 100 Jahre alt, es lohnt sich!“

Und Fritz Koch sollte wissen, worüber er spricht, die Sache mit dem 100. Geburtstag liegt auch schon wieder ein Weilchen zurück. Fritz Koch hat gestern seinen 108. Geburtstag gefeiert; er ist der älteste Mann der Stadt. An seinem Feiertag gab’s zwar kein Sekt zum Frühstück, aber lecker Ei, Wurst, Käse, „und nachher hat die Familie noch eine Überraschung vorbereitet“, flüstern die Pfleger.

Der älteste Berliner, Herr Koch, ist nicht allein an diesem Tag. Seine Tochter ist extra aus den USA angereist, ein alter Kollege von der Post schaut vorbei und auch sein Nachbar aus der Laubenkolonie, der ihn mit „Vadder Koch“ anredet.

Wo heute das Berghain ist, rollten früher Dampfloks

Als Koch 1907 geboren wird, gehört sein Geburtsort Reinickendorf noch gar nicht zu Berlin. Das KaDeWe ist gerade mal einen Monat alt, am Strandbad Wannsee beginnen erst die Bauarbeiten, Neukölln heißt noch Rixdorf und dort, wo heute das Berghain steht, fahren noch schwarze Dampflokomotiven. In Berlin regiert Wilhelm II., der letzte Kaiser von Deutschland und König von Preußen.

Koch sitzt in seinem kleinen Zimmer im „Vitanas Altersheim“ am Schäfersee in Reinickendorf, vor einer Bildergalerie aus seinem langen Leben. Hinter ihm hängen Berglandschaften, Blumen und Seen. Gemalt und gezeichnet hat er eigentlich immer. Angefangen hatte es mit dem Großvater, der dem kleinen Fritz das Malen beigebracht hat. Später sah Koch eine Annonce in der Zeitung: „Wir suchen einen Malerlehrling.“ Kurz darauf fing Fritz Koch seine Ausbildung als Zeichner an – er malte Firmenschilder, Grabsteine, Kriegerdenkmäler und immer wieder die Natur. „Ich habe viele Blumen gemalt.“

Sein Freund kam nicht zurück aus Stalingrad

Gemeinsam mit seinem bestem Freund, einem Buchhändler, unternahm er damals lange Ausflüge in die Wälder im Umland. Er malte, der andere schrieb auf, was er sah, sie ernährten sich vegetarisch und träumten von einem Leben als Künstler, im Einklang mit der Natur.

1939 brach der Zweite Weltkrieg aus, der Freund ging nach Stalingrad und kam nicht mehr zurück. „Er ist der beste und klügste Mann, den ich je kennengelernt habe.“ Bis heute redet Koch über seinen Freund im Präsens, als gäbe es doch noch eine Chance, dass der Verschollene zurückkehrt. „Sechs Freunde hatte ich vor dem Krieg. Von denen ist keiner wiedergekommen.“ Er selbst kam in russische Kriegsgefangenschaft, wo er erst in einem Berg Salz aus dem Stein schlagen musste. Jahre nach Kriegsende wurde er freigelassen. Zuhause wartetet auf ihn das nächste große Unglück. Seine erste Tochter war in den letzten Kriegstagen an Unterernährung gestorben und seine Frau hatte nicht daran geglaubt, dass er jemals zurückkehren würde – und einen neuen Mann kennengelernt. Als er abgemagert vor ihrer Haustür stand, begrüßte sie ihn mit den Worten: „Du kommst ja doch wieder.“ – „Da war unsere Ehe kaputt.“

Koch, damals 40 Jahre alt, fing danach wieder von vorne an. Er heiratete eine Schulfreundin, die seine Passion fürs Malen teilte, er trat eine Stelle bei der Post an und er pachtete eine Gartenparzelle in der Kleingartenkolonie Panke, die er für die nächsten 50 Jahre behalten sollte.

Der Älteste im Heim ist er aber nicht, denn da ist ja noch eine Frau

Währenddessen änderte sich auch sein Heimatviertel: 1960 flog die erste Maschine der Air-France einen Linienflug nach Tegel. Seither bewegt sich das Viertel im Sound der Flugzeuge. Vor dem Altersheim liegt der Schäfersee, spiegelglatt, umsäumt von Trauerweiden. Alle paar Minuten rauscht ein Flugzeug über die Köpfe der Alten hinweg, die hier mit ihren Rollatoren und Rollstühlen kleine Ausflüge machen. Im Altersheim selber hört man den Lärm der Turbinen kaum.

Auf Kochs Bildern sieht man die Idylle der Natur ohne den Lärm des Viertels. Eine bessere, ruhigere Welt. Koch ist heute zufrieden mit sich und seinem Leben – trotz der vielen Rückschläge, Verluste und Enttäuschungen.

Der zweitälteste Bewohner des Heims in Reinickendorf ist mit sich und seinem Leben sichtlich zufrieden und … Moment, „zweitälteste Bewohner“?

Ja, genau, trotz seines Alter ist Koch nicht der älteste im Heim: Nebenan wohnt die älteste Frau Berlins. Sie heißt Elfriede Petrasch und ist noch drei Jahre älter als Koch.

Wie alt werden Berliner im Durchschnitt?

„100 Jahre? Das lohnt sich.“ Sagt Fritz Koch, und der sollte es wissen: Er ist 108 Jahre alt. In seinem Heimzimmer hängen viele seiner Bilder. Die Malerei war schon immer seine Leidenschaft.
„100 Jahre? Das lohnt sich.“ Sagt Fritz Koch, und der sollte es wissen: Er ist 108 Jahre alt. In seinem Heimzimmer hängen viele seiner Bilder. Die Malerei war schon immer seine Leidenschaft.

© Johannes Böhme

Die älteste Berlinerin heißt Elfriede Petrasch und ist 110 Jahre alt. Die älteste Deutsche ist 111 Jahre alt. Sie lebt heute in Rheinland-Pfalz. * * * Der Durchschnitts-Berliner ist 42,3 Jahre alt. Der jüngste Bezirk ist Kreuzberg-Friedrichshain, wo das Durchschnittsalter bei 36,7 Jahren liegt. Der Methusalem unter den Bezirken ist Steglitz-Zehlendorf mit einem Durchschnittsalter von 45,7 Jahren. * * * Berliner Männer werden laut Statistik im Schnitt 77,6 und Frauen 82,6 Jahre alt. * * * 34 Straßen gibt es in Berlin, die mit dem Wort „Alt“ anfangen. Von Alt-Biesdorf bis Alt-Wittenau. Zwei Ortsteile gibt es mit dem Wörtchen „Alt“ im Namen: Alt-Treptow und Alt-Hohenschönhausen.

* * * Das älteste Bauwerk Berlins ist die Nikolaikirche. Um den Titel des ältesten Wohnhauses Berlins streiten sich das Ribbeck-Haus, ebenfalls in Mitte und das Gotische Haus in Spandau. * * *

Alt wie ein Baum ist einer der berühmtesten Songs – der Berliner Band Puhdys. „Alt wie ein Baum möchte ich werden. Genau wie der Dichter es beschreibt. Alt wie ein Baum mit einer Krone weit, weit, weit, weit.“

Johannes Böhme

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