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Einen Betrunkenen zu spielen ist eine große Kunst, meint unsere Kolumnistin. Deshalb ist sie Fan der Buddy-Komödie Hangover.

© dpa

Berlinale und Alkohol: Nüchtern betrachtet ist die Schauspielerei ein hartes Geschäft

Unsere Kolumnistin kennt viele Menschen, die sich im Laufe ihres Lebens an den staatlichen Schauspielschulen der Republik beworben haben. Es muss eine echte Katastrophe sein.

Die jungen Leute nehmen sich teure Coaches zur Vorbereitung, die sie von ihrem spärlichen Lohn als Aktmodell für Kunststudenten bezahlen oder waten vollständig bekleidet in einen See und schreien dabei den Monolog einer Verzweifelten. Die Jury muss sehr böse sein, sagt man. Man wird schon von der Bühne geschickt, bevor man das erste Wort ausgesprochen hat. Man muss sich nach zittriger Darbietung sagen lassen, was für ein erbärmlicher Wurm man ist. Es muss sich schon einer mit Blut und Sperma besudeln, damit er überhaupt auffällt. Jahrelanges Mitwirken in der Theater-AG des Moerser Gymnasiums? Pfff!

Die Jury könnte sich die Überprüfung schauspielerischen Talents viel leichter machen. Alle Anwärter sollten einen Betrunkenen spielen. Wer das kann, hat das Zeug zum Star! Das nämlich geht in Film und Fernsehen immer so furchtbar schief, dass das inflationär geäußerte Gefühl der Fremdscham wirklich angebracht ist. Lediglich in dem Film „Hangover“ ist dies vielleicht in Ansätzen gelungen, dem Inbegriff des Buddy-Movie, in dem eine Gruppe Männer in Las Vegas einen Junggesellenabschied feiert. Vorbei die Zeit, in der sich die Filmschauspieler damit behelfen konnten, einfach tatsächlich betrunken zum Set zu kommen. Man traut das nur noch Birol Ünel zu. Oder vielleicht Martin Semmelrogge. Der Rest meditiert lieber.

Anstehen für die begehrten Tickets: Wie die Film-Fans bibbern.

Vielleicht liegt das Problem an dem unrealistischen Umgang mit dem Thema Betrunkenheit im Bereich Film. Es gibt den sogenannten Film-Kater: Der Betroffene wacht mit rasenden Kopfschmerzen auf und kann sich an nichts erinnern, was am Vorabend passiert ist. Wer ist die Frau neben ihm im Bett? Woher kommen die Hühner im Kleiderschrank? Und warum zum Teufel hat er plötzlich eine Tätowierung? Hat der Protagonist aber eine Aspirin mit einem frisch gepressten O-Saft runtergewürgt, ist das Schlimmste überstanden. Kein stundenlanges Siechtum mit regelmäßigem Erbrechen in den Badmülleimer, kein Verzehr von Pizza im Liegen, kein Gregor-Samsamäßiges, käferhaftes Liegen auf dem Rücken, kein wattiger Kopf, der das Verständnis einer Folge „Lenßen und Partner“ zum Problem werden lässt. Ein wichtiger Anruf, und der Kater ist wie weggeblasen. Die Verfolgung eines Tatverdächtigen mit Hockwenden über Mauern und Zäune? Das Lösen eines Kriminalfalls? Alles kein Problem.

Axel Milberg ist der „Tatort“-Kommissar mit dem wahrscheinlich größten Alkoholkonsum seiner Zunft. In fast jeder Borowski-Folge ist er irgendwann betrunken, manchmal wacht er mit dem Kopf auf dem Tisch auf. Ruft aber der Auftrag, ist der Kater vergessen. Bald wird Til Schweiger „Tatort“-Kommissar. Viele wollen das nicht, weil es fest zum Zielpublikum gehört, Schweiger doof zu finden. Er aber hat immerhin mit einer respektablen Betrunkenheitsszene in „Der bewegte Mann“ von sich reden gemacht. Es hat meines Wissens nie wieder in einem Film jemand so realistisch in einem Unterhemd besoffen zu dumpfem Techno getanzt wie Schweiger in der Rolle des Axel. Er musste am nächsten Morgen zwar auch nur kurz duschen und der Kater war passé, aber trotzdem...

Bald ist Berlinale. Ich gucke mir dort gerne Filme an. Fast noch lieber gucke ich die Boulevard-Magazine, in denen berühmte Schauspieler auf Berlinale-Partys interviewt werden und über ihre Kleider oder die Trennung von Heidi und Seal sprechen müssen. Dort wird den Schauspielern dann eine noch schwierigere Rolle abgerungen: Nüchtern spielen, obwohl man betrunken ist.

An dieser Stelle wechseln sich ab: Elena Senft, Moritz Rinke, Christine Lemke-Matwey und Jens Mühling.

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