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Bauarbeiten in Berlins historischer Mitte: Unter den Linden: Boulevard der Bretterzäune

Gerüste am Pariser Platz, Rohre an der Schlossbrücke, Gruben allerorten: Zwischen Brandenburger Tor und Alex wird heftig gewerkelt Die prominente Meile ist nicht mehr wiederzuerkennen.

Im Gleichschritt schlendern zwei Männer mit kurzen, an den Hüften kneifenden Shorts Unter den Linden zur Schautafel, die Geschichtliches über Berlins berühmtesten Boulevard festhält. „Holy Shit!“ entfährt es einem und er zieht den runden, kahlen Kopf ein, weil eine Böe den Staub vom gerodeten Mittelstreifen aufwirbelt. Weiter unten, an der Kommandantur, lugt ein Rentner – schlohweißes Haar, schwarze, vorm Bauch baumelnde Kamera – in die Zufahrt zur BVG-Baustelle. Seine Frau zerrt ihn zurück. „Vom Bodensee“ kommen sie her. „Dass hier eine U-Bahn gebaut wird, die keiner braucht“, wissen sie seit der Busrundfahrt. Auch dass dafür 54 Linden fielen, ohne dass sich Protest erhob – „undenkbar in Stuttgart“, sagt er süffisant.

Ein Gerüst vorm Allianz-Forum am Pariser Platz, drei Sandhügel am Zollernhof, wild rankende Rohre an der Schlossbrücke, Gruben auf Gehwegen und Mittelstreifen rund um die Friedrichstraße, Baustellenzäune vor der Staatsoper, eine Containerstadt neben der Staatsbibliothek – und immer wieder Bauzäune jeglicher Größe, Farbe und Beschaffenheit. Wer Berlins erste Adresse im Jahr 775 nach der Stadtgründung besichtigt, wird auf der Suche nach dem Glanz vergangener Zeiten Unter den Linden allenfalls in der Buchhandlung „Berlin Story“ fündig: auf historischen Fotos von Bucheinbänden. Anno 2012 muss die Geschichte der Linden neu geschrieben werden: Als Chronik ewiger Baustellen, chaotischer Planungen und geplatzter Baubudgets. Und der Höhepunkt dieses epochalen Durcheinanders steht der Stadt noch bevor. Denn während der Bauarbeiten für die „Kanzlerlinie“ wird es zeitweilig eng für Fußgänger. Autofahrer müssen sich ab Juli auf die „Vollsperrung der Südfahrbahn“ einrichten, werden wohl mal links, mal rechts vom Mittelstreifen im Slalom über den barocken Prachtboulevard gelotst. Auch die Kreuzung Friedrichstraße wird gesperrt. „So etwas hatten wir noch nie hier“, sagt Mittes Baustadtrat Carsten Spallek (CDU).

Der Kahlschlag auf dem Boulevard in Bildern:

Die Vorarbeit für den Doppelbahnhof der U-Bahn-Linien 6 und 5 ist nur eine der vielen Baustellen Unter den Linden. Und wenn man den Verlauf der Arbeiten mit einer Operninszenierung vergleicht, dann wird zurzeit erst die Ouvertüre gespielt. Die zweite U-Bahn-Grube, die hinter dem blickdichten Bauzaun vor der Kommandantur ausgehoben wird, die 150 Meter lange Baustelle zwischen Glinka- und Neustädtischer Kirchstraße, wo die Wasserbetriebe Rohre erneuern – Motto: „Damit’s klar bleibt“ –, das alles ist nur das Vorspiel für den großen Auftritt der Bagger und Tieflader am Schlossplatz zur Rekonstruktion des Schlüterbaus und zum Bau des Freiheits- und Einheitsdenkmal. Das große Finale mit Staub, Lärm und donnernden Baumaschinen wird erst noch gegeben, drei Jahre lang, zwischen 2015 und 2018.

Der Glanz vergangener Zeiten - Berlins historische Mitte im Wandel:

Ende 2015, das ist auch der neueste Termin für die Übergabe der Staatsoper Unter den Linden, falls das Wort von Senatsbaudirektorin Regula Lüscher aus der vergangenen Woche das letzte dazu sein sollte. Sicher ist das nicht. In der Chronik der Berliner Bau- und Planungspannen kommt die Opernsanierung kurz nach dem GAU am Großflughafen. Der Einzug von Tenören, Orchestern und Verwaltung ist nun zum zweiten Mal verschoben. Dafür sei das Budget „momentan“, so Senatsbaudirektorin Regula Lüscher, noch eingehalten. Allerdings könnten Baufirmen wegen der Verzögerung „Nachforderungen“ stellen, warnen Experten. Auch der Bezirk Mitte hält die Hand auf für den öffentlichen Raum, den die Baukolonnen besetzen. Rund 170 000 Euro „Sondernutzungsentgelte“ will der Leiter von Mittes Tiefbauamt Harald Büttner vom Land, das die Staatsoper saniert. Der Senat habe sich gewehrt gegen diese Forderung, die Schlichtungsstelle aber zugunsten des Bezirks entschieden.

Auch auf der Schlossbaustelle geht es voran.

Auch von der „Stiftung Berliner Schloss Humboldtforum“ verlangt der Bezirk Entgelte. Dabei verspricht Stiftungschef Manfred Rettig, dass auf der Schlossbaustelle ein Gewerk ins nächste greifen wird wie bei einem Uhrwerk. Am Donnerstag geht es los mit „vorbereitenden Arbeiten“: Beton und Kies werden unter das Fundament des Kolosses eingebracht, um den Boden zu befestigen unter dessen Grundmauern. Nächstes Jahr wird der Grundstein gelegt und danach bis ins Jahr 2018 hinein gebaut.

Wie das Schloss einmal aussehen wird, zeigt eine Musterfassade am östlichen Ende der Linden: heller Sandstein, Kanülen an plastisch ausgeformten Fensterrahmen, unter dem Dachband ein königlicher Adler – solide wirkt das und nicht wie die Kulisse einer Disney-Produktion, wie Kritiker der historisierenden Schlossfassade befürchten. Noch steht das Muster einsam und eingerüstet da am Rande des fußballfeldgroßen Rasens, aus dem das Schloss emporwachsen wird.

So entsteht das Stadtschloss:

Vor das westliche Schlossportal, das mit der Kuppel, kommt das Einheits- und Freiheitsdenkmal. Auch die Arbeiten für die „Einheitswippe“, wie die begehbare und bewegliche Skulptur wegen ihrer Form genannt wird, müssen mit Schloss- und U-Bahn-Bauten abgestimmt werden. Noch in diesem Monat werden die „nördlichen und östlichen Gewölbebereiche“ des bestehenden, historischen Sockels saniert, der einmal das Bismarck-Nationaldenkmal trug und nun in den Dienst der Wippe gestellt wird. Das gemauerte Gewölbe muss mit Beton gegen seitlich eindringendes Erdreich geschützt werden. Ein ganzes Jahr werden diese Arbeiten dauern. Der Termin für die Errichtung der Wippe selbst steht laut Bundesamt für Bauwesen noch nicht fest.

Gebaut wird auch an der nahe gelegenen Schlossbrücke: Ein Gerüst verbirgt die Nike, als verhülle die Siegesgöttin schamhaft ihr Antlitz vor dem Anblick der abgeholzten Straße. „Abbruchgefährdet“ sind ihre Flügel. Sie sollen durch „werkgerechte Kopien“ ersetzt werden.

So soll die "Einheitswippe" aussehen:

Hinter den Holzplanken laufen die Rohbauarbeiten für den U-Bahnhof der Linie 5, „Museumsinsel“. Und Ecke Friedrichstraße baut die BVG den Kreuzungsbahnhof der U5 „Unter den Linden“ – und sperrt dazu große Teile der Kreuzung für ein ganzes Jahr. Bis Herbst 2014 arbeitet sich die Tunnelbohrmaschine unter der Erde voran. In vier Jahren werden die Baugruben wieder verfüllt und die blauen und grauen Wasser-, Strom- und Gasleitungen, die auf Bürgersteige und Straßen gezerrt wurden, wieder unter der Erde versteckt. Aber bis Sommer 2019 wird es dauern, bis die letzten Baukolonnen abziehen, so lange dauert der Innenausbau der Bahnhöfe bis die Strecke Alexanderplatz–Brandenburger Tor endlich öffnet.

Die Linden, so viel ist sicher, verschwinden auf Jahre hinaus unter einer Wolke aus Staub und Lärm – und keiner steuert mit harter Hand Ablauf und Timing der zahllosen Baustellen, beklagen Händlerinitiativen. Die U-Bahnlinie 6 wird von Juli bis Oktober nächsten Jahres unterbrochen und die „Französische Straße“, Haushaltestelle der „Galeries Lafayette“, ab 2019 nicht mehr angefahren. Vor allem ärgert Mateusz Hartwich von der „Interessengemeinschaft Friedrichstraße“ aber, dass „die Koordinierung der Baustellen die Stadt vollkommen überfordert“, was die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zurückweist: „Sämtliche Bauprojekte werden genau aufeinander abgestimmt und zentral koordiniert“.

Doch Hartwich nennt Beispiele: Obwohl die Sperrung einer Fahrbahn Unter den Linden den Ost-West-Verkehr in die Seitenstraße verdrängen werde, erwäge das Land, eine Spur in der Charlottenstraße zu sperren, um Platz für den Umbau des Gendarmenmarktes zu schaffen – da sei Verkehrschaos programmiert. Auch habe niemand „den Mumm“ gehabt, die Charlottenstraße von den Containertürmen der Staatsbibliothek zu befreien. Erst Proteste von Gewerbetreibenden ließen den Senat reagieren.

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