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Kinder, die auf dem Tempelhofer Feld inlineskaten.

© dpa

Tempelhofer Feld: Die Leere verteidigen

Berlin hat es der Allgegenwart von Grün und freier Fläche zu verdanken, dass die Stadt die am wenigsten gestresste Metropole Europas ist. Doch nun sieht es so aus, als würden die Orte verschwinden, die den Zauber der Hauptstadt ausmachen, glaubt unsere Autorin. Ein Plädoyer für die Leere auf dem Tempelhofer Feld.

Am 1. Januar ging ich noch leicht benebelt über das Tempelhofer Feld, um das neue Jahr zu begrüßen. Ich habe mich für diesen Spaziergang entschieden, weil der Ort für mich die Freiheit verkörpert, das Alles-ist-möglich auf den noch nicht ausgetretenen Wegen von 2014: eine Steppe, so weit das Auge reicht, verlassen, schweigend, wie durch ein Wunder mitten in der Stadt. Im improvisierten Garten am Rand der Landebahn steht zwischen einem Gemüsehochbeet und einem Büschel Wildpflanzen ein Stuhl aus Holz. Er zeigt nach Westen. Ich setze mich hin, um dem Untergang der bleichen Wintersonne zuzuschauen. Ja, wegen genau solcher Orte liebe ich diese Stadt und mein Leben hier, seit fast einem Vierteljahrhundert.

Die Natur rebelliert in Berlin

Paris ist eine mineralische Schönheit, kompakt, ohne Leerstellen, jeder Quadratzentimeter ist bebaut. Nur wenige gepflegte Parks bilden Löcher im Gewebe. In Paris steht die Natur in Reih und Glied, in Berlin rebelliert sie, wuchert wild. Zweifellos verdankt Berlin es dieser Allgegenwart von Grün und freier Fläche, dass die Stadt die am wenigsten gestresste Metropole Europas ist. Wer durch die Straßen schlendert, glaubt sich eher in einer friedlichen Provinzstadt als in der nervösen und selbstbewussten Hauptstadt der wichtigsten europäischen Wirtschaftsmacht. Nie bekommt man Erstickungsanfälle oder empfindet diese besondere Art Erschöpfung nach einem Tag voll Lärm, Autos, verpesteter Luft, Gedränge auf den Gehsteigen.

Berlin wuchert - während die Natur in Paris in Reih und Glied steht: Das Tempelhofer Feld im Januar.
Berlin wuchert - während die Natur in Paris in Reih und Glied steht: Das Tempelhofer Feld im Januar.

© Kitty Kleist-Heinrich

Ein gigantisches Terrain hat sich befreit

Das Tempelhofer Feld verkörpert alles, was uns Ausländer an dieser Stadt anzieht, ob Touristen oder Adoptivberliner. Ein gigantisches Terrain hat sich befreit, da, wo der von Hitler gebaute kleine Flughafen liegt. Fantasie ist gefragt, und die Berliner lassen sich nicht lange bitten: Inlineskaten auf den Landebahnen, Modellflugzeuge und Drachen am Himmel, Hundebesitzer und Jogger, Kindergeburtstage, Liebespaare im hohen Gras, Musiker, Nudisten und Yogis, türkische und arabische Familien beim Grillen. Ein zweites Leben, anarchisch und fröhlich an diesem so geschichtsbeladenen Ort.

Keine 0815 Hauptstadt für die Deutschen!

Lange Zeit habe ich mir keine Sorgen um diese Stadt gemacht, von der es in Frankreich heißt, sie sei „nicht richtig Deutschland“, also nicht so geleckt wie München, nicht so effizient wie Stuttgart, nicht so langweilig wie Düsseldorf oder so adrett wie Bonn. Zu rebellisch, zu alternativ, zu arm, zu wenig attraktiv für Spekulanten, zu stur, zu verrückt … niemals würde die Stadt sich von Mainstreamern, Globalisierern, Immobilienspekulanten, den Planern von Fußgängerzonen oder Gentrifizierern bändigen lassen. Keine 0815-Hauptstadt für die Deutschen!

Die besonderen Orte beginnen zu verschwinden

Seit einiger Zeit bin ich jedoch beunruhigt. Es sieht so aus, als würden die Orte verschwinden, die den Zauber Berlins ausmachen. Eine ganze Reihe von Brachen hat sich bereits in domestizierte Parks mit Blumenbeeten, künstlichen Teichen und öffentlichen Toiletten verwandelt. Das Schicksal des Prinzessinnengartens in Kreuzberg ist ungewiss. Erinnern Sie sich an das Hotel Esplanade, einen Solitär mitten auf dem Potsdamer Platz. Es wurde gesäubert, renoviert, zu einem seelenlosen Haus verschnürt. Und das Hotel Bogota, eine Tragödie! Wie konnte das geschehen? Ein so melancholischer Ort, so voll Geschichten! Auf der Leipziger Straße wird demnächst ein weiteres Einkaufszentrum eröffnet, mit den immergleichen Boutiquen, dem immergleichen Look. Und die Bürohäuser sprießen aus dem Boden wie Pilze nach dem Herbstregen.

Wenn das so weitergeht, kommen wir Ausländer nicht mehr nach Berlin! Bis Montag um 21 Uhr läuft die Unterschriftensammlung für die Erhaltung des Tempelhofer Felds. Nur wenige Stunden bleiben, um ein Stück vom Paradies zu retten!

Aus dem Französischen von Elisabeth Thielicke. – Pascale Hugues ist Kolumnistin des Tagesspiegels, sie lebt als Publizistin in Berlin. Zuletzt ist von ihr erschienen: „Ruhige Straße in guter Wohnlage. Die Geschichte meiner Nachbarn“ (Rowohlt).

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