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Solidarität in Kreuzberg. Der Protest konnte die Räumung einer Wohnung in der Lausitzer Straße nicht verhindern.

© Christian Mang

Politischer Ungehorsam: Lederer ruft zu massivem Widerstand gegen Zwangsräumungen auf

Nach der Räumung einer Wohnung in Kreuzberg ruft der Landeschef der Linken zu heftigem Widerstand auf. Und ein grüner Politiker stellt Strafanzeige gegen die Gerichtsvollzieherin.

Die Zwangsräumung der Familie Gülböl in Kreuzberg löst weitere politische Nachbeben aus. Zum einen wird sie am Montag den Innenausschuss des Abgeordnetenhauses beschäftigen, weil die Oppositionsparteien Grüne, Linke und Piraten die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes mit starkem Polizeiaufgebot am Donnerstag anzweifeln. Zum anderen forderte der Vorsitzende der Linkspartei, Klaus Lederer, über den Kurznachrichtendienst Twitter zum Protest auf: „Es ist so krass geworden, dass wir – mit allen verfügbaren Kräften – jede Zwangsräumung mit zivilem Ungehorsam zum Symbol machen sollten.“ Außerdem regt Lederer ein „Räumungsmoratorium“ an. Auch die Oppositionsfraktionen fordern eine Diskussion über die Verdrängung einkommensschwacher Mieter aus den Innenstadtbezirken.

Am vergangenen Donnerstag hatten 400 Beamte die Wohnung der Familie Gülböl in der Lausitzer Straße geräumt; hunderte Demonstranten hatten zuvor die Straße blockiert. Die Familie hatte vor Gericht im Streit um eine Mieterhöhung gegen den privaten Vermieter verloren und daraufhin nicht fristgerecht bezahlt. Immer wieder wurden in den vergangenen Jahren Zwangsräumungen von massiven Polizeieinsätzen begleitet. In der Regel waren es bekannte Objekte der linken Szene, wie die Yorckstraße 59, die Brunnenstraße 183, die Liebigstraße 14 oder das Tacheles. Erstmals engagierte sich jetzt die linke und linksextremistische Szene für eine Familie. Künftig müsse jede Räumung von solchen Protesten begleitet werden, ist auf vielen linken Seiten zu lesen. Die Polizei glaubt dennoch nicht, dass sich die Zahl der Einsätze deutlich erhöhen wird. „Das war eine Ausnahme“, heißt es im Präsidium.

Klaus Lederer ist anderer Meinung. Es gehe inzwischen darum, dass Menschen sich massenhaft ihre Wohnungen nicht mehr leisten könnten und aus der Innenstadt verdrängt würden, sagte Lederer dem Tagesspiegel. Wenn dies zu Zwangsräumungen führe, dürfe man es nicht hinnehmen. Dies sei nicht mehr ein „individuelles Phänomen, sondern ein gesellschaftliches Problem“. Der Meinung ist auch Oliver Höfinghoff von den Piraten. Blockaden gegen Räumungen seien „das einzig verfügbare demokratische Mittel“. Er plädiert außerdem für eine Enquetekommission „Soziales Wohnen in Berlin“.

Bei der SPD-CDU-Koalition gibt es kein Verständnis für Lederers Forderungen. Die baupolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Iris Spranger, ist gegen ein Moratorium: „Wenn ein Mieter bewusst gegen alles verstößt und nicht zahlt, muss eine Räumung möglich sein.“ Der innenpolitische Sprecher der CDU, Robbin Juhnke, nennt Lederers Vorstoß eine „Anbiederung an die autonome linke Szene“, um neue Wählerschichten für die Linkspartei zu rekrutieren. Lederer zeige mit seinen Äußerungen, welches Rechtsstaatsverständnis er habe. Die Aufforderung zu zivilem Ungehorsam bedeute letztlich Militanz und nehme Ausschreitungen bei Räumungen mit in Kauf.

Der grüne Abgeordnete Dirk Behrendt stellte unterdessen am Sonntag bei der Staatsanwaltschaft Strafanzeige gegen die Gerichtsvollzieherin, die am Donnerstag die Räumung vollzogen hat, wegen Missbrauchs einer Polizeiuniform. „Das ist strafbar nach Paragraf 132 StGB“, sagte Behrendt, der selbst Richter ist. Zudem will er bei der Aufsicht der Gerichtsvollzieher auf ein Disziplinarverfahren drängen. Auch müsse geprüft werden, ob gegen die Polizei wegen Beihilfe oder Anstiftung ermittelt werden müsse. Wie berichtet, hatte die Polizei die Gerichtsvollzieherin mit Uniformteilen ausstaffiert, um sie unauffällig ins Haus zu bekommen. Am Montag will Polizeipräsident Klaus Kandt im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses zu den Vorwürfen Stellung nehmen.

Der Linkspartei warf der Grüne Behrendt allerdings vor, in zehn Jahren Regierungszeit das Thema Mietsteigerungen verschlafen zu haben. „Das jetzige Engagement hätte ich mir früher gewünscht.“

Beim Mieterbund geht man davon aus, dass in den vergangenen Jahren die Zahl der Zwangsumzüge gestiegen ist. Eine Statistik wird aber bei den Amtsgerichten nicht geführt. Experten schätzten die Zahl der jährlichen Zwangsräumungen in Berlin auf weit mehr als 1000.

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