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Besteckübergabe. Alexandra Scholz (re.) überreicht Josie Dobrin den Löffel des Urgroßvaters Moritz Dobrin.

© Thilo Rückeis

Neue Stolpersteine in Grunewald: Konditorei Dobrin - einzig geblieben ist ein Löffel

Vor 85 Jahren kam dem jüdischen Kaffeehauskönig Moritz Dobrin ein Besteckteil abhanden. Seine Nachkommen erhielten es jetzt zurück.

Jahrzehntelang hatte der Löffel in der Küche in einer Dose gesteckt, löffelte zuverlässig deren Inhalt, Zucker vermutlich, in Schalen und Tassen. Ein Gebrauchsgegenstand von schlichter Eleganz, nicht weiter auffällig, wären nicht die eingravierten Wörter auf dem Griff: vorne „Moritz Dobrin's Conditorei“; auf der Rückseite, als wirkungslose Warnung, „Entwendet“. Seit ihrer Kindheit kannte Alexandra Scholz aus Alt-Marzahn, heute 36, den Löffel, wusste aber mit dem Namen nichts anzufangen. Auch ihre Mutter Barbara konnte nicht helfen, als irgendwann die Neugier zu zwicken begann. Zum Glück gibt es nun Internet. Da fing sie an zu suchen, stieß auf zwei Stolpersteine, die in der Grunewalder Koenigsallee 34/34A an den Konditor Isidor Dobrin und seine Frau Rosalie erinnern, als Juden von den Nazis ermordet Sie fand auch Hinweise auf dessen Bruder Moritz, suchte nun Kontakt zu Helmut Lölhöffel, Sprecher der Stolperstein-Initiative für Charlottenburg-Wilmersdorf.

Eine Neugier mit erfreulichen Folgen. Irgendwann in den späten zwanziger oder frühen dreißiger Jahren hatte der Löffel unter nicht mehr ganz zu klärenden Umständen den Besitzer gewechselt, aus der Konditorei Moritz Dobrin zu Käthe Oetzel, der Großmutter von Alexandra Scholz. Am Mittwochmittag nun, rund 85 Jahre später, fand er den Weg zurück, hin zu Josie Dobrin und ihren beiden Schwestern, den in London lebenden Urenkelinnen des Berliner Konditors Moritz Dobrin und seiner Frau Helene, übergeben vor deren ehemaliger Villa in der Grunewalder Hagenstraße 19. Denn das war für Alexandra Scholz und ihre Mutter selbstverständlich, dass der Löffel zur Familie des Ur-Besitzers zurückmusste. Nicht mal mehr benutzen wollten sie ihn: „Meine Mutter hat ihn geputzt wie verrückt.“

Vielleicht war das ja so mit dem Löffel: Der Urgroßvater von Alexandra Scholz war Schokoladenverkäufer, bot seine Waren auch in Kaffeehäusern an, begleitet von seiner kleinen Tochter, die dazu Lieder sang. Gut möglich, dass sie den Löffel bei einem der Auftritte stibitzt hat, doch könnte er ihr auch geschenkt worden sein. Spielt ja auch letztlich keine Rolle, verglichen mit der berührenden Begegnung an diesem sonnigen Sommertag in Grunewald: hier mehrere Generationen der in London und Jerusalem lebenden Nachkommen der Dobrin-Brüder, dort Alexandra und Barbara Scholz aus Berlin, dazu Wolfgang Burat, Inhaber einer Detektei und seit den siebziger Jahren Besitzer des Hauses, das in sehr schlechtem Zustand gewesen sein soll und heute ein Schmuckstück ist, orginalgetreu restauriert.

Und zwischen den Worten der Erinnerung, des Gedenkens an die beiden ursprünglichen Bewohner des Hauses die Hammerschläge von Dirk Saager, Ausbildungsleiter für Straßenbau am Lehrbauhof Berlin-Brandenburg in Marienfelde, der vor dem Haus zwei neue Stolpersteine verlegte, nach einigem Hin und Her, wo genau dies am besten zu erfolgen habe. „Das ist Ihr Haus, Sie sollen entscheiden“, erklärte Jeremy Cohn, Enkel von Isidor Dobrin, während Burat den Dobrins die Entscheidung überlassen wollte.

Der Löffel ist das Einzige, was den Dobrin-Nachkommen außer einigen Fotos und Dokumenten von den sieben Konditoreien Moritz Dobrins geblieben ist. Das Haus hatten er und seine Frau 1919 bezogen, sein Berliner Konditoreiimperium war da schon 23 Jahre alt – und im alten Berlin eine Institution, mit Filialen etwa am Kurfürstendamm und in der Lennéstraße. „Je nach Lage des Lokals bevorzugte Dobrin Stilzusammensetzungen, die dem Publikum das anheimelnde Gefühl verschaffen sollten, sich beim Tee oder Kaffee wie zu Hause zu fühlen“, hieß es in einer alten Werbebroschüre von 1931.

Moritz und Helene Dobrin.
Moritz und Helene Dobrin.

© privat

In der Reichspogromnacht 1938 wurden auch Moritz Dobrins Konditoreien attackiert, er konnte den Betrieb aber anfangs noch weiterführen. 1941 mussten er und seine Frau ihre Villa verlassen. Am 5. August 1942 wurden sie über den Bahnhof Grunewald nach Theresienstadt deportiert, wo Helene Dobrin am 14. April 1944 starb – verhungert. Moritz Dobrin überlebte. Er gehörte zu einem Transport von 1200 Juden, die Anfang Februar 1945 in die Schweiz transportiert wurden, Ergebnis einer Geheimverhandlung Heinrich Himmlers mit dem früheren Schweizer Bundespräsidenten Jean-Marie Musy – ein Versuch des Reichsführers SS, seine Position nach der absehbaren deutschen Niederlage zu verbessern. Er wohnte übrigens seit den dreißiger Jahre in der Hagenstraße 22 – fast ein Nachbar der Dobrins.

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