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Kirche und Politik: Berliner Bischöfe mit politischer Mission

Der eine besuchte Ulrike Meinhof, der andere legte sich mit der Stasi an: Politisch aktive Bischöfe haben in Berlin Tradition. Rainer Maria Woelki, Nachfolger des verstorbenen Erzbischofs Georg Kardinal Sterzinsky, sieht seine Aufgaben bisher eher im geistlichen Wirken.

Ich bin Bischof und kein Politiker, und meine Berufung ist eine andere.“ Das sagte der neue katholische Erzbischof von Berlin, Rainer Maria Woelki, als er am 5. Juli zum ersten Mal seit seiner Ernennung vor die Presse trat. Lange freilich wird Woelki das nicht durchhalten können. Denn ein Blick in die Geschichte zeigt: Die Berliner Bischöfe, evangelisch wie katholisch, haben sich immer auch in das Leben der Stadt eingemischt. Für die Politik wie für die eigenen Gläubigen waren sie oftmals unbequem.

Das gilt auch für die katholischen Bischöfe in der Zeit der deutschen Teilung. Dabei waren Kirchenleiter wie Julius Döpfner oder Alfred Kardinal Bengsch zu besonderer Diplomatie herausgefordert. Denn anders als die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg, die sich 1972 in einen West- und einen Ost-Bereich mit je einem Bischof und einer Kirchenverwaltung an der Spitze aufspaltete, war das katholische Bistum Berlin stets eine Einheit geblieben. Die Bischöfe galten als Integrationsfiguren, über die Grenze hinweg, mussten aber gerade deswegen auch Rücksicht auf die Befindlichkeiten des SED-Regimes nehmen. Da sorgte es für Aufsehen, als Alfred Kardinal Bengsch, der von 1961 bis 1979 Berliner Bischof war, die Strippen des in seiner Wohnung angebrachten Abhörgerätes der Staatssicherheit durchschnitt. Der Bischof wurde verhaftet und verhört – doch er protestierte: Sein Ordinariat ließ eine „ernste Beschwerde“ bei den DDR-Ministerien für Post und Staatssicherheit bekannt geben. An anderen Stellen musste er Kompromisse machen: Bengsch erwies sich „als flexibel genug, um das von Spannungen nicht freie Verhältnis der katholischen Kirche zum atheistischen Staat und der staatstragenden Partei in wohldosierten kleinen Schritten zu entkrampfen“, hieß es in dem Nachruf, den der Tagesspiegel nach dem Tod des Kardinals im Dezember 1979 veröffentlichte. „Territorialfragen und Bistumsgrenzen waren ebenso wie Freiheitsraum für die kirchliche Entfaltung in Schule und Familie die ständigen Probleme der Auseinandersetzung mit einer ungeliebten Realität, in der er als Oberhirte Maßstäbe für ein religiöses Leben zu setzen hatte.“

Die Protestanten waren zu dieser Zeit politischer, vor allem jene im Westen der Stadt. Kurt Scharf, Bischof der Westregion der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, besuchte die Terroristin Ulrike Meinhof im Gefängnis, verhandelte mit Rudi Dutschke und plädierte für die Freilassung von Rudolf Heß aus dem alliierten Kriegsverbrechergefängnis in Spandau. Mit der unter seiner Regie entstandenen Ostdenkschrift setzte sich die EKD für die Anerkennung der Oder- Neiße-Grenze ein. Nicht alle Gläubigen verstanden Scharf: Kirchenaustritte waren nicht selten die Folge seiner Einmischung. Die gab es auch bei den Katholiken, allerdings aus anderen Gründen. Vor allem zur Zeit von Joachim Meisner als Berliner Bischof wuchsen die Meinungsverschiedenheiten zwischen Ost und West. Eine „totale geistige und geistliche Verwirrung“ attestierte der im Osten der Stadt residierende, von Marienfrömmigkeit geprägte Bischof den eher liberalen Katholiken im eingemauerten West-Berlin. Besonders zu seiner Zeit lebten sich die beiden Bistumsteile auseinander, die Brüche sind bis heute spürbar.

Meisners Nachfolger Georg Kardinal Sterzinsky konnte sie nicht völlig kitten. Dafür aber war er der erste Berliner Oberhirte, der gleich zweimal vor dem Bundesverfassungsgericht erschien: Gemeinsam mit der Evangelischen Kirche und ihrem Bischof Wolfgang Huber klagte Sterzinsky gegen das brandenburgische Schulfach „Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde“ und die Aufweichung des Berliner Ladenschlussgesetzes. Das von beiden Theologen unterstützte Volksbegehren „Pro Reli“ spaltete die Stadt. Und gemeinsam demonstrierten beide Bischöfe für den Fortbestand der Schulen in freier Trägerschaft. Dazu bezog Sterzinsky Position für Flüchtlinge und Obdachlose, während der intellektuelle wie diskussionsfreudige evangelische Bischof Huber bis heute ein gefragter Experte für alle Fragen der Bioethik ist. Manche Ziele haben die beiden Theologen nicht erreicht, aber sie standen stets für Positionen.

Und manches Thema wird auch ihre Nachfolger beschäftigen: Der Streit um die freien Schulen etwa scheint im Land Brandenburg derzeit eine Neuauflage zu erleben. Die Schere zwischen Arm und Reich geht in Berlin weiter auseinander. Auch der interreligiöse Dialog erhält angesichts immer größerer religiöser Vielfalt in Berlin mehr Bedeutung.

Doch in den Fußstapfen von Huber und Sterzinsky ist noch Platz: Der aktuelle evangelische Landesbischof Markus Dröge engagiert sich leidenschaftlich im interreligiösen Dialog und in der Entwicklungspolitik, ein lautstarkes öffentliches Auftreten aber ist nicht seine Sache. Dröge ist ein Seelsorger und Vermittler, der lieber hinter den Kulissen wirkt. Für Rainer Maria Woelki könnte das zu einer Chance werden – vorausgesetzt, er will sich wie seine Vorgänger einmischen in das politische Leben der Stadt.

Am Sonnabend beginnt um 15 Uhr in der St. Hedwigs-Kathedrale am Bebelplatz die Totenmesse für Georg Kardinal Sterzinsky.

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