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Torben P. hatte einen Mann nach einem Streit mit einer Flasche niedergeschlagen und viermal gegen den Kopf getreten.

© dpa

Der Fall Torben P.: Im Ausnahmezustand

Nach den Angriffen in der U-Bahn wird Torben P. zu zwei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt.

Mehr als anderthalb Stunden dauerte die Urteilsverkündung, das Gericht wollte seine Strafe für die brutalen Fußtritte am U-Bahnhof Friedrichstraße im April des Jahres erklären: Zwei Jahre und zehn Monate Haft für den 18 Jahre alten Torben P., ein Erste-Hilfe-Kurs und eine Zahlung von 250 Euro für den gleichaltrigen mitangeklagten Nico A. Es sei nicht so gewesen, dass die Angeklagten es in der Tatnacht darauf angelegten hätten, sich ein Opfer zu suchen. „Die Situation war offen“, schilderte Richter Uwe Nötzel die Minuten vor dem gefährlichen Angriff. Beide, Opfer wie Täter, seien enthemmt und alkoholisiert gewesen. Nico A. habe den Streit mit dem auf einer Bank wartenden Markus P. begonnen, der habe abgewehrt, dann sei Torben P. aufgesprungen und hätte dem später Geschädigten ins Gesicht geschrien. Der 30-Jährige, der provoziert worden sei, habe nicht stillgehalten, sondern „körperlich dagegengehalten“. „Aber das durfte er“, betonte Nötzel, die Rollen von Angreifer und Angegriffenem seien, anders als Torben P. es im Prozess dargestellt habe, nicht vertauscht gewesen.

P. habe dem Opfer eine gefüllte Plastikflasche an den Kopf geschleudert, dann viermal wuchtig zugetreten und sei, nach tänzelnden Seitenschritten, wieder zu Markus P. zurückgekehrt und habe ihn mit der Fußspitze erneut treten wollen. „Sein Schicksal war ihm egal“, sagte der Richter und sprach von einem „Vollendungsstreben“. Auch angesichts der durch Alkohol erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit habe der Angeklagte die mögliche Tötung hingenommen; es sei nur Zufall gewesen, dass Markus P. nicht gestorben sei.

Torben P. blickte nach unten, als der Richter auf seine Tat einging, knibbelte an seinen Fingernägeln. Sieben Tage hat er vor seinen Richtern gesessen. Er hinterließ, auch am Tag des Urteils, einen zwiespältigen Eindruck. Müde wirkte er manchmal, teilnahmslos, öfter unterdrückte er nur mühsam ein Gähnen. Dann wieder unerwartet konzentriert, wenn es noch etwas beizutragen galt zu seiner Biografie oder seinen Lebensumständen. Zur Aufklärung der Tat trug er nicht weiter bei, auch der Prozess half ihm nicht über seine vorgebliche Erinnerungslücke. Er saß da wie einer, der am liebsten woanders sitzen und den Grund vergessen würde, weshalb er hier war. Oder eben auch wie einer, der die Kraft für Interesse am Geschehen einfach nicht mehr aufbringt, wie einer mit Symptomen einer Depression. Außer seiner Einlassung zum Auftakt sagte er kaum etwas, und wenn, kamen merkwürdig gewundene Sätze wie aus einem Benimmkurs, etwa wenn er erzählte, das afrikanische Essen einer Freundin auf der Party am Tatabend habe ihm, dem Vegetarier, „sehr gemundet“. Verließ er den Saal, ging der groß gewachsene junge Mann gekrümmt, er wollte sich kleiner machen, als er ist, das auch am Urteilstag blaue gebügelte Hemd steckte artig in der Hose.

Spielte er den Braven vor dem Landgericht und auf dessen Gängen nur, tat er dies zumindest diszipliniert. Die Erscheinung hatte wenig vom Blindwütigen, der in den Videoszenen auf sein Opfer eintrat. Auch an Gewicht und Muskelkraft schien er verloren zu haben, seit er sich in der Tatnacht dem Publikum auf dem Bahnsteig mit einem unbändigen Übermut präsentierte. Sah man ihn jetzt an und hörte seine Freunde über ihn reden, war zu ahnen, dass sich hier ein junger Mann in eine verhängnisvolle Ausnahmesituation hineingesteigert und hineingetrunken hat, so schicksalhaft und zerstörerisch für sein Opfer und dessen Angehörige wie für ihn selbst und seine Familie. Man durfte ihm glauben – und auch das Gericht tat es jetzt –, wenn er immer wieder sagte, dass er seine Tat nicht verstand, auch war das Entsetzen über sich selbst wohl echt, als er auf den Videos in Gegenwart der psychiatrischen Gutachterin erstmals sein selbstgefährdendes jungmännisches Gehabe auf dem Bahnsteig und im Gleisbett zeigte. Was aber alles noch nicht bedeutete, ihm zu glauben, dass er sich nicht an seine Tat erinnerte.

Diese Lücken kauften die Richter dem Angeklagten nicht ab. Er habe die Tat unmittelbar danach einer Zeugin im Detail geschildert. „Der Angeklagte hat Reue und Einsicht gezeigt“, sagte Nötzel, und er war bei der Tat nicht so besinnungslos, wie er glauben machen wollte. „Herr P. wusste auch Stunden nach der Tat genau, was er tat“, und er habe auch gewusst, dass seine Tritte tödlich enden könnten. Ein Mordversuch, den die Nebenklage behauptet hatte, war es jedoch nicht, es sei kein Angriff aus „niedriger Gesinnung“ gewesen. Nach allem sei aufgrund des „Handlungsunrechts“ der Tat eine Bewährungsstrafe nicht in Betracht gekommen. Das Gericht mochte aber auch dem Strafantrag der Staatsanwaltschaft von vier Jahren nicht nachkommen. Torben P. sei strafrechtlich unbelastet, „es handelt sich nicht um einen typischen Schläger“, die Opfer, auch der Helfer Georg Baur hatte sich verletzt, litten nicht unter bleibenden Folgen. P. habe sich der Polizei gestellt und einsichtig gezeigt.

Richter Nötzel machte deutlich, dass das Urteil die Pläne Torbens, wieder eine öffentliche Schule zu besuchen, nicht durchkreuzen muss. Bereits nach einem Drittel der Haft, also nach rund elf Monaten, könne über eine Aussetzung zur Bewährung nachgedacht werden. Zudem könne angenommen werden, dass der Verurteilte nach Rechtskraft des Urteils in den offenen Vollzug komme und eine Schule besuchen dürfe.

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