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Tim Jackson arbeitet an der englischen Surrey Universität in Guildford. Der Wohlstandskritiker war auch schon als Umweltberater der britischen Regierung tätig.

© Jana Demnitz

Interview: "Wir können der Finanzkrise auch dankbar sein"

Zwanzig Jahre nach dem Umweltgipfel in Rio de Janeiro findet am Wochenende an der Technischen Universität der „Bewegungskongress McPlanet“ statt. Eröffnet wurde das Forum am Freitag mit dem englischen Wachstumskritiker Tim Jackson. Tagesspiegel.de sprach mit dem Wirtschaftswissenschaftler.

Herr Jackson, genau 20 Jahre nach dem Umweltgipfel in Rio sprechen wir immer noch über die gleichen Probleme wie damals: gravierende Umweltzerstörung, Armut, Entwicklungshilfe. Frustriert Sie das nicht? 

Nein, ich bin nicht wirklich frustriert. Wir haben auf jeden Fall ein noch größeres Bewusstsein für die dringendsten Probleme entwickelt wie z.B. den Klimawandel. Uns ist viel bewusster geworden, welchen Mut und welche gewaltigen Anstrengungen es verlangt, diese riesigen Probleme anzupacken. Aber der Fehler lag damals schon in der DNA von Rio, wie ich es einmal nennen möchte. Wir haben einfach versäumt, damals schon die wichtigsten Fragen anzusprechen, wie das gewaltige Ausmaß der wirtschaftlichen Ungleichheit zwischen dem Norden und dem Süden und wie wir den unterschiedlichen Entwicklungsstadien wirklich gerecht werden können. Vor 20 Jahren sind wir noch mit der Idee davon gekommen, das Wirtschaftswachstum sei unendlich, die Lösung aller Fragen seien Grüne Technologien und die armen Länder würden irgendwann zu den reichen Ländern aufschließen. In gewisser Weise können wir der Finanzkrise auch dankbar sein. Sie hat uns vor Augen geführt, dass wir mit dieser Einstellung nicht davon kommen werden. 

Sie schreiben in Ihrem Buch "Wohlstand ohne Wachstum", Wirtschaftswachstum sei nicht die Lösung unserer Zukunftsprobleme. Aber unser westliches Wirtschaftssystem basiert nun einmal auf Wachstum und dem täglichen Konsum. Wie wollen Sie das ändern?

Regierungen können natürlich nicht von heute auf morgen einfach die Ansichten und die Gewohnheiten der Menschen verändern. Das ist meiner Meinung nach auch sehr gefährlich. Wozu ich anregen möchte, ist, dass die Menschen in unserer Gesellschaft die Logik hinter diesem System – Konsumieren und Wachstum – verstehen. Die Menschen sollen auch nicht überredet werden, sondern ihnen soll eine Alternative angeboten werden. Ich möchte, dass sie verstehen, warum wir ständig konsumieren. Zum einen weil wir dadurch unsere persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnisse im wahrsten Sinne des Wortes untereinander aushandeln. Das Beschaffen und Anhäufen von materiellen Werten ist die Sprache unserer heutigen Gesellschaft. Dadurch erlangen wir eine Identität und gesellschaftlichen Stellenwert. Zum anderen funktioniert dieses System eben nur, wenn wir täglich kaufen, kaufen, kaufen. Die Regierungen sagen den Menschen: wenn du nicht konsumierst, gerät das System aus den Fugen. Aber wir müssen einen Ansatz finden, der vom Materialismus wegführt. Es gibt auch andere Möglichkeiten, unseren Status in der Gesellschaft auszuhandeln. Möglichkeiten, die weniger materiell sind und mehr auf persönlichen Bindungen basieren wie Familie und Freundschaften.

Wie bewerten Sie in diesem Kontext die Occupy-Bewegung, die speziell in den Vereinigten Staaten auf gravierende Umwelt- und Gesellschaftsprobleme wie soziale und ökonomische Ungleichheit aufmerksam macht?

Die Occupy-Bewegung, die im letzten Jahr ihren Anfang in Spanien fand, ist für mich ein Indikator für einen Prozess, der in der Gesellschaft begonnen hat. In Deutschland hatte die Bewegung meiner Meinung nach nicht so einen Einfluss, weil durch die Soziale Marktwirtschaft und das deutsche Sozialsystem viele Probleme aufgefangen wurden. Aber in anderen Ländern wie Spanien, Griechenland und Portugal ist diese Bürgerbewegung sehr aktiv. Das sind auch nicht nur protestierende Jugendliche. Alle Altersgruppen sind darin vertreten, die sich auf einer intellektuellen Ebene untereinander austauschen. Sie informieren sich gegenseitig über die Hintergründe der Systemkrise und was sie für eine bessere Zukunft tun können.

Der „McPlanet-Kongress“ nennt sich in Anlehnung an die Bankenrettung „Too Big to Fail“ – „Zu groß, um zu scheitern“. Ein hochgestecktes Ziel für einen dreitägigen Kongress.

Das ist natürlich überspitzt formuliert. Aber ich glaube, es muss uns einfach gelingen, den Menschen bewusst zu machen, welche Probleme uns bevorstehen. Und das ist eben auch mein Job, ein Gesprächsforum mitzukreieren, wo Menschen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft über Zukunftsmodelle sprechen können. Aber auch wenn wir auf ein ökologisches Desaster hinsteuern, wir sollten dennoch nicht den Glauben an die Menschlichkeit verlieren.

Der „Bewegungskongress McPlanet.com 2012“ findet vom 20. bis 22. April in der Technischen Universität Berlin statt. Anmeldungen vor Ort sind noch möglich. Referenten sind unter anderem Mariann Bassey, Anwältin, Umwelt- und Menschenrechtsaktivistin aus Nigeria und Peter Ahmels, Leiter der Abteilung Erneuerbare Energien bei der Deutschen Umwelthilfe. Weitere Informationen finden Sie unter: www.mcplanet.com

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