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Unbelegte Grabflächen: Berlins Friedhöfen gehen die Toten aus

Die Begräbnisstätten der Hauptstadt haben zu viel Platz. Wegen Urnenbestattungen und weniger Toten stehen große Flächen leer. Sie werden geschlossen und umgewandelt – auf einigen Arealen wird bereits gebaut.

Opa kann man sich jetzt über das Bett hängen – als Malerei aus Asche. Die Künstlerin Ina Pause-Noack gestaltet für Hinterbliebene Gedenkbilder aus der Asche ihrer Verstorbenen. Die Kunstwerke sollen sich als „neue Form der Bestattungskultur“ etablieren, sagt sie. Es ist nur ein Beispiel in der Reihe ausgefallener Bestattungsvarianten: Auf Wunsch wird die Asche der Toten in den Weltraum geschossen, auf 4000 Metern Höhe von einem Berggipfel verstreut oder zu einem Diamanten gepresst. Eine individualisierte Gesellschaft verlangt nach individuellen Bestattungen.

Knapp 870 000 Menschen sind im vergangenen Jahr in Deutschland gestorben. Und nur ein verschwindend geringer Teil hat tatsächlich eine derart extravagante Beisetzung gewählt. Etabliert haben sich seit einiger Zeit aber die alternativen Formen der Wald- und Seebestattungen: Rund 50 000 Menschen entscheiden sich pro Jahr für diese Arten der Beisetzung, mit steigender Tendenz. „Der Friedhof hat sein Monopol verloren“, sagt Oliver Wirthmann, Geschäftsführer des Kuratoriums Deutsche Bestattungskultur. Vor allem in Großstädten wie Berlin sähen sich die Menschen nach Alternativen um.

Alternative Bestattungsarten

Mehr als die Hälfte aller Verstorbenen wird in Deutschland mittlerweile verbrannt und in einer Urne bestattet. Vor 20 Jahren waren es noch weniger als 40 Prozent. Für die Friedhöfe ist das ein Problem: Selbst wenn es die Konkurrenz durch die alternativen Bestattungsformen nicht gäbe und alle Urnen weiterhin auf einem Friedhof beigesetzt würden, so benötigen die Urnen einfach weniger Platz als Särge. „Seit Jahrzehnten gehen die Erdbestattungen zurück“, sagt Jürgen Quandt, Geschäftsführer des Evangelischen Friedhofsverbands Stadtmitte. Er verwaltet mehr als 40 Friedhöfe in Berlin. Der Anteil der Urnenbestattungen liegt hier sogar bei 70 Prozent. Mehr als die Hälfte der Urnen liegt zudem in Gemeinschaftsgräbern. Dort haben etwa 100 Urnen auf der Fläche Platz, die sonst zwei bis drei Särge füllen würden. Die Konsequenz: Friedhöfe verwaisen.

Dabei wurde in Berlin noch in den 1970er Jahren mit einer Friedhofsknappheit gerechnet. Um ausreichend Platz zu haben, wurde die Mindestruhezeit um fünf auf 20 Jahre gesenkt und Gemeinschaftsgrabanlagen für Urnen wurden eingeführt. Doch die Zahl der Sterbefälle in der Stadt ist seit 1970 von knapp 60 000 pro Jahr auf heute gut 30 000 gesunken. Es sterben einfach nicht mehr genügend Menschen.

Betroffen vom Leerstand sind vor allem die zahlreichen Park- und Waldfriedhöfe in Berlin. Sie haben ohnehin schon große Flächen, auf denen nicht bestattet wird – doch ohne Bestattungen fehlen den Friedhöfen die Einnahmen. Die Grünanlagen müssen trotzdem gepflegt werden. Und so können die Kosten dafür entweder auf die restlichen Gräber verteilt werden, mit der Konsequenz, dass die Bestattungen insgesamt noch teurer werden als 3848 Euro, die sie zurzeit im Durchschnitt kosten. Oder der Friedhof wird verkleinert: „Wir haben angefangen, Friedhofsflächen zu schließen, um unsere Kosten zu reduzieren“, sagt Friedhofsmanager Quandt.

Wohnen auf dem Friedhof

2006 veröffentlichte der Berliner Senat den Friedhofsentwicklungsplan. Von den 1037 Hektar Gottesacker in Berlin sollten 290 Hektar geschlossen werden – eine Fläche größer als der Wannsee. Mehr als die Hälfte ist bereits geschlossen oder wird es bald. 30 Jahre müssen seit der letzten Beisetzung mindestens vergangen sein, bevor ein Friedhof anderweitig genutzt werden darf. Die ehemaligen Berliner Friedhöfe sollen größtenteils zu Erholungsflächen umgewandelt werden.

Rund ein Fünftel wird zu Bauland. So sollen auf einem früheren Teil des St.-Simeon-Friedhofs in Neukölln Wohnungen entstehen. Auf einem anderen Teil wird ein Rewe-Markt gebaut. Dort habe es aber nie Bestattungen gegeben, sagt Quandt. Supermärkte auf Friedhöfen – einfach ist diese Aussicht nicht für Pfarrer Quandt: Ein Friedhof sei „schon etwas anderes als eine Wirtschaftsfläche, auf der eben Gräber verkauft werden“. Das müsse sich auch in der Folgenutzung niederschlagen.

„Der Friedhof muss sich der Pluralität öffnen“, fordert hingegen Bestattungsexperte Wirthmann. Dann werde es auch kein Friedhofssterben geben. Damit meint er unter anderem die Öffnung für andere Religionen: eine bunte Gesellschaft, auch auf dem Friedhof. Bedarf gäbe es: Dem muslimischen Friedhof am Columbiadamm etwa geht der Platz aus, denn viele Muslime möchten mittlerweile in Berlin beerdigt werden. 2014 wird der Friedhof daher erweitert, auf das Gelände des Flughafens Tempelhof.

Fritz Zimmermann

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