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Mythos West-Berlin: Das Stadtmuseum hat ihm sogar eine Ausstellung gewidmet. Bis 28. Juni 2015 läuft sie noch im Ephraim-Palais.

© Soeren Stache

Lüül von den 17 Hippies: Ein neues Lied fürs alte West-Berlin

Lutz Ulbrich, "Lüül", der einst Nico begleitete und heute bei den 17 Hippies spielt, hat West-Berlin ein neues musikalisches Denkmal gesetzt. Er war die Speerspitze der Avantgarde, sagen Weggefährten. Lüül hat unseren Autor mitgenommen auf einen Rundgang durch seine Erinnerungen.

Unser Meer war der Wannsee,

unsere Insel West-Berlin.

Alles war möglich…

…wenn die Sonne schien!

West-Berlin, was war das doch gleich? Glitzerding im grauen Osten. Frontstadt im Kalten Krieg. Pfahl im Fleische der DDR. Vor 25 Jahren ist dieses seltsame Konstrukt der Nachkriegszeit de facto abgeschafft worden, jetzt feiert es ein Comeback, pünktlich zum 50. Geburtstag des Europa-Centers. Oskar Roehler widmet der Halbstadt den Kinofilm „Tod den Hippies – Es lebe der Punk!“, im Ephraim-Palais gibt es eine gut besuchte West-Berlin-Ausstellung. Und Lüül hat ein Lied geschrieben. Gitarre, Geige, Gesang, die Melodie drängt sich genauso unverschämt auf wie der Refrain mit der Insel und dem Meer namens Wannsee.

Lüül heißt eigentlich Lutz Ulbrich und seit seiner Heirat Lutz Graf-Ulbrich, aber das ist ein zu vernachlässigendes Detail für Pass- und Meldeämter. In Berlin kennt man ihn nur unter dem Spitznamen, den ihm die Schwester mal verpasst hat. Lüül ist 62 Jahre alt und hat die aufregenden Siebziger und Achtziger mitgestaltet, als West-Berlin Kristallisationspunkt für neue Musikstile und Lebensinhalte war. Als David Bowie und Iggy Pop in Schöneberg lebten, Annette Humpe mit Ideal die Neue Deutsche Welle anschob und Lüül die elektronische Musik revolutionierte.

Lüül: ein globales Gesamtkunstwerk

Später bildete er mit der von Andy Warhol angebeteten Sängerin Nico privat und musikalisch ein Duett, hatte mit „Morgens in der U-Bahn“ einen Hit und tourt bis heute mit den 17 Hippies durch die Weltgeschichte. Als Gesamtkunstwerk steht Lüül für ein West-Berlin jenseits von Filz, Baumafia und Wilmersdorfer Witwen.

Für den Nachmittag ist ein Videodreh zum West-Berlin-Song angesetzt. Lüül trägt blauen Anzug, weißes Hemd und rote Krawatte. An der Wand seines Büros in der Kulturbrauerei hängen Konzertplakate, auf dem Tisch steht ein Kosmos-Technikbaukasten, mutmaßlich aus den Siebzigern, auf einem Gitarrenkoffer klebt der Aufkleber: „Woodstock war Scheiße!“ Lüül wohnt seit ein paar Jahren in Prenzlauer Berg, „aber ich fahr immer mal wieder in den Westen“. Es sind Reisen in eine gemütliche Vergangenheit. Zur Dicken Wirtin oder in den Zwiebelfisch am Savignyplatz, „das ist West-Berlin noch wie früher. Letztens war ich in einer Bäckerei am Klausenerplatz, da hat die Frau hinterm Tresen zu einem Kunden gesagt: ‚Coffee to go? Tut mir leid, so was führen wir hier nich’.“

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Unsereiner ist hier geboren,

Berlin hatte Hunger

und den Krieg verloren.

Ruinen verfielen,

verführten zum Spielen.

Die Avus schmeckte nach Autobenzin,

der Teufelsberg war wildes Kurdistan,

nachts tanzten Tote auf der Rodelbahn.

"Mehr West-Berlin geht nicht"

Lüül ist ganz in der Nähe des Teufelsbergs aufgewachsen. In Eichkamp, wo die Stadt vom Grunewald aufgesogen wird, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Funkturm, Avus, Messegelände und Deutschlandhalle. „Mehr West-Berlin ging nicht“, sagt Lüül. Für das Cover der neuen Single hat er mit dem Handy ein Foto von der Avus-Raststätte gemacht, mit dem dicken runden Turm, dessen Fassade mit der Schultheiss-Reklame heute so aussieht wie 1989. „Das war ein ganz besonderer Ort für mich“, sagt Lüül. „Nach Stunden auf der Transitstrecke durch die DDR wusste ich hier: Jetzt bist du wieder zu Hause!“

Nico fand die Grenzer in ihren Uniformen sexy, aber Lüül hatte jedes Mal Respekt, wenn es mit dem Tourbus auf Reisen ging. „Immer wieder haben die uns nach Drogen gefilzt und immer wieder vergeblich.“ Einmal ging ein gemütlich wirkender Offizier auf die Musiker zu und fragte, wie das denn so sei mit diesem Haschisch. „Einer von uns hätte ihm beinahe ein Stück gegeben, damit er mal probieren kann. Hat er dann glücklicherweise doch nicht gemacht.“

Die Kneipen waren voll in West-Berlin.

Mit Haschrebellen, mit roten Zellen,

mit Kommunarden, mit Blödelbarden,

ewigen Studenten,

die die Zeit verpennten,

die utopierten, Parolen schmierten:

High sein! frei sein!

Terror muss dabei sein!

Wir waren alle kleine Che Gueveras

nach dem Schuss

von Karl-Heinz Kurras.

Der Mann für den Videodreh kommt und fragt, welches Motiv sie denn zuerst anfahren sollten. „Ich dachte, erstmal zur Kongresshal… ach, Scheiße, heißt ja jetzt anders!“ Lüül quetscht sein altes Klapprad in den Kombi, setzt sich ans Steuer und kurvt ein Weile durch den Tiergarten, bis er endlich einen Parkplatz findet. „Warum ist das bloß so voll? Früher war hier nie was los“, es sei denn, die Ramones oder Neil Young spielten im alten Tempodrom.

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Frontstadt Berlin, Eldorado für jeden

Eldorado West-Berlin, da wollten sie alle hin. Nach dem Mauerfall war der Ku'damm einer der Anziehungspunkte.
Eldorado West-Berlin, da wollten sie alle hin. Nach dem Mauerfall war der Ku'damm einer der Anziehungspunkte.

© dpa

Morgens in der U-Bahn, Orje und Kulle,

saßen da, aßen Paech-Brot-Stulle.

Bubi Scholz und Playboy Eden,

Frontstadt Berlin, Eldorado für jeden.

Schallmauer-Knaller der Russenflieger,

Tennis Borussia in der ersten Liga.

Jeder kannte jeden in West-Berlin

Als Gitarrist ist Lüül mit Nico durch die USA getourt, er wohnte in New York, Paris, London. Und kam doch immer wieder zurück. „West-Berlin war für deutsche Verhältnisse eine unglaublich weltoffene Stadt! Es herrschte eine familiäre Atmosphäre, jeder kannte jeden, wir waren eine schräge Mischung aus Alteingesessenen und verrückten Leuten von außen, die nicht zur Bundeswehr wollten und immer Lust zum Feiern hatten.“

Hat das auch die Musik beeinflusst? Die Berliner Schule mit Tangerine Dream oder Lüüls Bands Ash Ra Tempel und Agitation Free? „Kann schon sein“, sagt Lüül. „Wir spielten ja recht abgehobene Sachen, vielleicht war das ein Zeichen dafür, dass wir Grenzen überwinden wollten. Musste mal ’nen Psychologen fragen.“

Edgar Froese, der Frontmann von Tangerine Dream, ist Anfang des Jahres gestorben. Lüül erinnert sich an eine letzte Begegnung, „es war bei einer Vernissage, wir hatten uns 20 Jahre nicht gesehen. Als er mich sah, rief er aus: Lüül, du warst die Speerspitze der Avantgarde!’“

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Blumenkinder in Miniröckchen,

Goa-Fahrer mit Tempelglöckchen.

Orangene Mönche im Nieselregen,

orangene Müllmänner hielten dagegen.

Im Sportpalast gab’s mehrere Male

bei Haley und Zappa richtig Randale.

Die Stones in der Waldbühne

machten Skandale,

Claudia Cardinale kam zur Berlinale.

"Durch das Geld aus Bonn ging's allen gut"

Die Zeile mit Claudia Cardinale hat Lüül für seinen Musiker-Kumpel Manuel Göttsching geschrieben, „der hat sie mal als Taxifahrer durch Berlin kutschiert. Nur von unserer Musik konnten wir nicht leben, da waren wir auf solche Jobs angewiesen.“ Irgendwie habe es doch immer wieder gereicht, „auch das war schön in West-Berlin. Durch das viele Geld aus Bonn ging es allen ganz gut.“

An der alten Kongresshalle ist trotz der vielen Autos nichts los. Dem Videodreh zuliebe tänzelt Lüül fünf-, sechsmal die Freitreppe der alten Kongresshalle herunter und trällert unbeirrt: „... wenn die Sonne scheint!“ Was wohl die Passanten sagen würden, wenn es denn welche gäbe? Von hier aus ist es gar nicht weit bis nach Moabit, wo er mal gewohnt und gearbeitet und Inspiration für das Album „Mond von Moabit“ erfahren hat.

„Eine coole Zeit in einem uncoolen Bezirk, aber immerhin ist Tucholsky da geboren.“ Und wenn schon, die Zeit drängt und Moabit fällt aus. Weiter geht’s, zu anderen Fixpunkten des alten West-Berlin: Zoopalast, Gedächtniskirche, Checkpoint Charlie, einmal mit dem Klapprad um den riesigen Parkplatz am Olympiastadion.

Helga Goetze stand nackig

an ’ner Kirche,

Christiane F. am Bahnhof Zoo.

Wolfgang Neuss mit Ritchie

inner Talkshow,

Bolle brannte aus auf ’ner 1.-Mai-Demo.

Bekiffte Bullen tanzten mit Bob Marley,

die Welt war zu Ende

am Checkpoint Charlie!

Ach ja, der Osten. Hat die Avantgardisten aus dem Westen nie so recht interessiert. Einmal waren sie zu Besuch bei Musikern in Prenzlauer Berg, „im kultigen Prenzlauer Berg!“ Lüül lacht. „Es gab nichts außer öden, menschenleeren Straßen mit heruntergekommenen, trostlosen Häusern. Die Szene spielte sich wohl eher in Hinterhäusern ab.“ Die West-Berliner waren Fremde in der anderen Hälfte ihrer Stadt.

Am Dienstag, den 21. April 2015 stellt Lüül „West-Berlin“ auf einer Radio-Eins-Talkrunde in der Nikolaikirche vor. Mit dabei sind Annette Humpe, Tim Renner, Wolfgang Müller, Jörg A. Hoppe und WestBam. Die Veranstaltung beginnt um 19 Uhr. Mehr Informationen hier.

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