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L40 in der Linienstraße: Das große Schwarze

Störfaktor oder bewohnbares Kunstwerk? Das „L40“ am Rosa-Luxemburg-Platz polarisiert - und sieht innen ganz anders aus, als man erwartet.

Die einen sagen: Das ist kein Gebäude, das ist eine Kriegserklärung. Die anderen sagen: Das ist große, aufregende Kunst. Sieben Stockwerke ragt der düstere Betonkoloss an der Kreuzung von Torstraße und Schönhauser Allee in die Höhe. Eine moderne, minimalistische Trutzburg. Zerklüfteter Monolith. Bloß zwei Dinge scheint dieser Bau gar nicht zu können: übersehen zu werden und seinem Betrachter egal zu sein.

Seit drei Jahren steht das „L 40“, benannt nach seinem Standort in der Linienstraße 40, nun auf dem schmalen, dreieckigen Grundstück am nördlichen Ende des Rosa-Luxemburg-Platzes. Wer drum herumspaziert, fragt sich unwillkürlich, was da wohl für Leute drin leben.

Solche wie Ralph Anderl, 43, Unternehmer beispielsweise. Öffnet er einem oben, im dritten Stock, die Wohnungstür, fällt der Blick als Erstes auf: eine Tischtennisplatte. Lauter schwarze Lederschuhe stehen drauf, aber keine Angst, sagt er, die sind sonst woanders untergebracht, die hat er gestern Abend bloß mal wieder eincremen wollen. Jede Wohnung im L 40 ist individuell geschnitten, diese hier besteht im Wesentlichen aus einem einzigen schmalen, extrem langgezogenen Zimmer, man könnte es glatt für einen Flur halten.

Wer das L40 mit seiner anthrazitfarbenen Fassade nur von außen kennt, käme niemals darauf, wie erstaunlich hell die Wohnungen innen sind. Viel Licht fällt durch die Fenster in der Decke, und das ist Absicht: Das L40 soll, so haben es sich die Planer gewünscht, Kunstsammlern Platz für ihre Exponate bieten. Dafür braucht es hohe, fensterlose Innenwände. Anderls Wohnung soll an die „long galleries“ elisabethanischer Landhäuser erinnern.

Er hat sich für eine barocke Hängung entschieden: Gemälde und Zeichnungen, Fotografien und Hirschgeweihe reihen sich dicht an dicht, Nacktbilder direkt neben Heiligenikonen, dazu Plakate, die Anderl von Bauzäunen abriss. Einige Werke stammen von ihm selbst. Man merkt: Hier hat sich einer ausgetobt.

Genau das tut Ralph Anderl auch mit dem Rest seiner 200 Quadratmeter. Weil die Wohnung so langgezogen ist, fährt er manchmal mit dem Fahrrad durch, bloß beim Wenden muss er aufpassen. An einem Ende verbreitet sich der Schlauch zu einer amerikanischen Küche, hier stehen auch Klavier und Bücherregal, Anderl hat Tatami-Matten als Sitzgelegenheit davorgelegt. Durch eine breite Fensterfront kann er runter auf die Torstraße blicken. Aber egal, wie viel Verkehr tagsüber herrscht oder wie viele Nachtschwärmer am Wochenende grölen, solange die Fenster geschlossen sind, hört Anderl keinen Ton. Wegen der zentralen Lage haben die Planer auf gute Schallisolierung geachtet, das gesamte Gebäude steht auf einer festen Schaumschicht.

Wer im L 40 leben will, braucht Geld. Ralph Anderl ist Gründer und Inhaber des Brillenherstellers „ic! Berlin“, in einem der oberen Stockwerke wohnt ein bekannter Modedesigner. Das Erdgeschoss ist an Unternehmen vermietet. Ralph Anderl hat zwei Kinder, die abwechselnd bei ihm und der Mutter leben. Für sie sei die Wohnung ein Traum. „Ein Kinderspieltraum, um genau zu sein.“ Wie für ihn selbst.

Er weiß, dass dieses Haus polarisiert. Dass manche es als Störfaktor empfinden. Eine Berliner Boulevardzeitung kürte es zu einer der größten Bausünden der Stadt. Als Ralph Anderl es selbst zum ersten Mal sah, war er gleich beeindruckt. Wahnsinn, dachte er da, eine begehbare Skulptur. An der Außenwand hing ein Zettel mit Telefonnummer. Er rief an, und was er nicht für möglich gehalten hätte: Es gab noch freie Wohnungen.

Kunst muss eben kompromisslos sein, sagt Anderl. Und sie brauche diese selbstbewusste Haltung, die sagt: „Mir doch egal, was die anderen denken.“ Um der grassierenden Verdurchschnittlichung etwas entgegenzusetzen!

Natürlich gehe das Spektakuläre auf Kosten bürgerlicher Nutzbarkeit. Außer dem schlauchförmigen Hauptraum mit Küche verfügt seine Wohnung noch über zwei kleinere Durchgangszimmer zum Bad, hier hat Anderl ein Matratzenlager eingerichtet, für sich und die Kinder. Wenn er ehrlich sei, finde er die Raumaufteilung recht unpraktisch, sagt er, jedenfalls für ein klassisches Familienleben.

Was ihn dazu veranlassen könnte, die Wohnung jemals aufzugeben? „Wenn die Kinder irgendwann in die Pubertät kommen und damit drohen, mich nie wieder zu besuchen – weil sie in diesem Haus keine Privatsphäre haben.“

Die Macher

Der Berliner Architekt Roger Bundschuh hat unter anderem die Hauptverwaltung von Dussmann in Mitte sowie die Sammlung Falckenberg in Hamburg entworfen. Er lehrt am „Dessau Institute of Architecture“ und berät Museen bei Umbauten, aktuell zum Beispiel die Hamburger Deichtorhallen. Für das Berliner Projekt L 40 arbeitete er mit der Kölner Konzeptkünstlerin Cosima von Bonin zusammen, die auf der documenta 12 in Kassel mit überdimensionierten Stofftieren auffiel. In der Vergangenheit haben die beiden bereits zwei Installationen zusammen gestaltet. Der Bau am Rosa-Luxemburg-Platz ist ihr erstes gemeinsames Architekturprojekt. Das Ergebnis nennen sie „einen Beitrag zur klassischen Moderne, einladend und abweisend zugleich“.

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