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Zügig in die Zukunft. Stracksen Schritts eilt diese Dame über die Kaiserdammbrücke in Charlottenburg. Im Hintergrund kreuzt der Messedamm.

© Ernst Hahn/Signalberg

Ein Student streift durch das Nachkriegsberlin: Tagebuch eines Fotoschülers

Unsere Mütter, unsere Väter, unsere Trümmer: Ein neuer Bildband zeigt das Berliner Leben um 1950, wie es Ernst Hahn mit der Kamera festgehalten hat.

Gar nüscht weiter, sagt Ernst Hahn, wenn man ihn fragt, mit welcher Absicht, welcher Haltung er die Straßen, Häuser und Menschen Berlins im Frühjahr 1950 und 51 geknipst hat. Die Bilder seien fotografische Tagebuchnotizen eines Fotoschülers, Punkt, aus. „Ich war nie auf Künstlertum aus. Ein Fotograf muss sich mit dem Konkreten abgeben, der Begriff Kunstfotografie existiert für mich gar nicht.“

Mit seinen 86 Jahren hat der heute in Wilmersdorf lebende Fotograf so einiges gesehen und viel davon festgehalten. Im Gespräch ist er ein gelassener und lakonischer, keineswegs ein gefühliger Mann. Mehr als 60 Jahre sind seine Streifzüge mit der Rolleiflex durch das verheerte Nachkriegsberlin jetzt her. Im vergangenen Jahr erst hat Hahn die bis dahin von ihm nach einer damaligen Veröffentlichung in der „Neuen Zürcher Zeitung“ nicht weiter beachteten Negative aus einer alten Blechschachtel in seinem Archiv gekramt. Und trotz all den seitdem verstrichenen Jahrzehnten weiß Ernst Hahn noch genau, welches Gefühl ihn erfüllt hat, als er die verheerte Stadt nach dem Krieg wiedersieht. „Schaudern“, kommt die prompte Antwort. Schaudernd sei er die Straßen entlanggelaufen, angesichts der unbegreiflichen Bilder, die er so nicht erwartet habe. Natürlich hatte er Trümmerfotos von Kriegsreportern gesehen, das schon, aber die waren nichts gegen die Gänsehaut machende Wirklichkeit, die ihm in Berlin im eigenen Augenschein entgegentrat.

Volk vor Ruine. Der Platz der Republik vor dem Reichstag sieht nach der 1. Mai-Kundgebung 1951 mit einer halben Million Menschen recht struppig aus.
Volk vor Ruine. Der Platz der Republik vor dem Reichstag sieht nach der 1. Mai-Kundgebung 1951 mit einer halben Million Menschen recht struppig aus.

© Ernst Hahn/Signalberg

Jetzt sind Ernst Hahns Fotos erstmals als Buch in der Edition Friedenauer Brücke erschienen. „Berlin um 1950 – Fotografien von Ernst Hahn“ heißt der alles andere als effekthascherische Band, der bei aller Verwüstung eine erstaunlich aufgeräumte, teils menschenleere, teils neu erwachende, lebendige Stadt zeigt. Am gestrigen Freitagabend wurde er vorgestellt, im Bauhaus-Archiv in Tiergarten, mit dem der Fotograf seit vielen Jahren verbunden ist.

Ernst Hahns damals so deutlich empfundener Stoßseufzer „Dem Himmel sei Dank, dass wir dieses Inferno durch Gottes Gnade überlebt haben“ schwebt als erstaunter Unterton über den sachlichen, einem schlichten Dokumentaristenstil verpflichteten Bildern von Straßenzügen und Gebäuden, die – immer wenn Menschen ganz nah ins Spiel kommen – auch viele als Fotoreportage aufgezogene Straßenszenen beinhalten: Kinder auf einem Rummel in Moabit, fein gemachte Passanten auf dem Kurfürstendamm, Straßenhändler auf einem Trümmergrundstück in der Potsdamer Straße, Arbeiter, die historische Laternen auf dem demolierten Schlossplatz abreißen. Es wundere ihn immer noch, wie sauber die Straßen waren und wie ordentlich gekleidet die Leute, sagt Ernst Hahn. „Die haben mit aller Macht versucht, die zivilisatorische Ordnung wiederherzustellen.“

Die kannte der Fotograf, der als Gärtnerssohn in Nowawes – heute Potsdam-Babelsberg – aufgewachsen ist, ebenso wie Nazi-Zeit und Bombenkrieg aus eigener Anschauung. Von Ausflügen – mit der Schule zur Granitschale im Lustgarten, mit den Eltern ins Naturkundemuseum, zu Wertheim am Potsdamer Platz oder zu den Olympischen Spielen. Aber eben nur bis 1944. Dann wurde der wegen Tuberkulose nicht zum letzten Aufgebot der Wehrmacht eingezogene Jugendliche in die Schweiz nach Davos verschickt. Dort schafft er es schließlich nach mühsamer Genesung und Einweisung ins Internierungslager an die vom Bauhaus beeinflusste Kunstgewerbeschule Zürich. Die Berlin-Fotos entstehen auf Heimatbesuchen, die der damals 23 Jahre alte Student, der später etwa die Fotowerkstatt der legendären Ulmer Hochschule für Gestaltung und 30 Jahre lang das Fotoatelier von Siemens und Halske in Berlin leitet, bei den Eltern macht.

Huch, was macht er jetzt? Ein Straßenhändler verblüfft seine Kundschaft auf dem Trümmergrundstück Ecke Potsdamer Straße/Bülowstraße.
Huch, was macht er jetzt? Ein Straßenhändler verblüfft seine Kundschaft auf dem Trümmergrundstück Ecke Potsdamer Straße/Bülowstraße.

© Ernst Hahn/Signalberg

Ganz zufällig gerät er dabei auf die 1.-Mai-Kundgebung vor der Reichstags- Ruine, wo sich eine halbe Million Menschen aus beiden Teilen der noch nicht von der Mauer durchtrennten Stadt versammelt, um – wie schon 1948 während der Blockade – Bürgermeister Ernst Reuter reden zu hören. „Ich wusste gar nicht, was Reuter für die Berliner war und war völlig überwältigt von der Menschenmenge.“ Mit dem Glück des Ahnungslosen und etwas Ellbogeneinsatz schafft er es sogar auf die Tribüne und schießt atemberaubende Bilder. Historisch und atmosphärisch ergänzt werden sie durch den flankierenden Text, den der Autor Hermann Ebling diesem und den anderen neun Kapiteln des geografisch unterteilten Bildbandes voranstellt.

Was Ernst Hahn sich bei den Nachgeborenen, die seine Fotos sehen, für Erkenntnisse erhofft? „Das frage ich Sie“, sagt er. Recht hat er. Was soll man lange reden, es ist ja alles zu sehen.

Ernst Hahn: Berlin um 1950, Hardcover, 216 S., 280 Abb., Edition Friedenauer Brücke, 39 Euro

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