zum Hauptinhalt
Im Schatten des Schweines. Mega-Werbung am Alexanderplatz

© Kai-Uwe Heinrich

Gegen die Vermarktung der Stadt: Berlin verkommt zur Werbefläche

Immer mehr Reklame auf herausragenden Gebäuden, Straßen als Partyzone: Berlin verzehrt seinen Markenkern – mit der Verscherbelung öffentlicher Räume für Events und Profite. Ein polemischer Ausblick.

Werden Straßennamen demnächst an den Meistbietenden verhökert? Wandelt sich öffentlicher Raum zur Partyzone für kaufkräftige Zielgruppen? Müssen herausragende Gebäude künftig als Reklameträger die eigene Existenzberechtigung einspielen? Es gibt sicher Gründe, all jenen einen attraktiven Auftritt zu bieten, die für unsere Stadt wichtig sind: weil sie einflussreich, bedeutend waren, für unsere Vorgeschichten eine Rolle spielen; weil sie mehr Steuern zahlen, Arbeitsplätze schaffen.

Schon früher entstanden Bauten aus kapitaler Einflussnahme

So sind auch die Verdienste des Rübenwesens um den Fortschritt Berolinas kaum abzuleugnen. Deshalb sollten Andreas Sigismund Marggraf, der Entdecker des Runkelzuckers, und der erste Rübenzuckerfabrikant Franz Achard unbedingt einen Thron in unserem Bildungsspeicher behaupten. Die Rübenindustrie jedenfalls sah das so und unterstützte anno 1892, dass am Haus Dorotheenstraße 10 (Mitte), wo sich ein Labor der Akademie der Wissenschaften mit Dienstwohnung befunden hatte, imposante Porträtbüsten beider Rübenpioniere samt Gedenktafel enthüllt wurden. Im Folgejahr illustrierten sogar zwei ganzseitige Fotos der Denkmals-Fassade die erstmals erscheinende Publikation „Berliner Gedenktafeln“, entnommen aus der „Neuen Zeitschrift für Rübenzucker-Industrie“. Am Wirkungsort von Marggraf und Achard vermehrten deren Büsten bis zur Kriegszerstörung den Ruhm des Chemikerstandes und der Lebensmittelindustrie; ob solche Kunst am Bau den Zuckerkonsum zu fördern vermochte, kann freilich kaum nachgewiesen werden.

Thomas Lackmann.
Thomas Lackmann.

© privat

Dieser Text vertritt eine altmodische Position. Er möchte darlegen, dass die Vermarktung der Kommune auf Kosten der Schönheit unserer Stadt, ihrer Architektur und ihrer Kunstwerke, die guten Sitten, die historische Ehrerbietung, das kollektive ästhetische Selbstwertgefühl und die Wahrnehmung der Bürger-Geschichte beschädigt.

Dabei sind Bauten und Namensgebungen, Markierungen zur Nachruhmsicherung über den Tod der Protagonisten hinaus auch in früheren Zeiten schon aus politischen Interessen und kapitaler Einflussnahme entstanden ; spätere Gestalter entscheiden dann aus ideologischen, nostalgischen, pragmatischen Gründen, ob sie solche Zeugnisse bewahren.Beispielsweise heißt die Jordanstraße in Treptow heute noch so – obwohl Max Jordans Fabrik für Teerfarbstoffe 1872, Jahre vor der Straßenbenennung, bereits in der Agfa aufgegangen war, deren Bauten bis heute in diesem Viertel zu finden sind. An einem Agfa-Gebäude von 1901 bei der nahen Lohmühlenstraße ist vor wenigen Jahren allerdings das legendäre, die komplette Brandmauer schmückende Weltmarken-Logo durch den Neubesitzer entfernt worden. Es wurde nicht als Industriedenkmal bewahrt, da der heutige Markeninhaber (die Firma Agfa gibt’s nicht mehr) dem Hausbesitzer für die Erhaltung nichts zahlen wollte. Obwohl sich in diesem Fall der schnöde Werbeauftritt eines ehemaligen Weltkonzerns längst zum historischen Dokument vergessener Unternehmensgeschichten gewandelt hatte.

Rückblickend lässt die Patina das Profitkalkül verblassen

Rückblickend gewürdigt wirken kommerzielle Nutzungen der Stadträume offenbar weniger gemein. Zudem lässt Patina das Profitkalkül verblassen. Bilder eines Pferdeomnibusses von 1870 mit Reklametafeln erscheinen heute diskreter als unsere komplett überschminkten BVG-Busse. Neben solcher Vermietung der Oberflächen für Reklamebilder bringt aber auch die Schaffung touristischer Schneisen unserer Landeskasse Einnahmen, steigende Steueraufkommen und Nutzungsgebühren. Darum wird am Alexanderplatz gerade ein Oktoberfest nachgestellt und vor dem Brandenburger Tor die deutsche Einheit, unter patriotischem Feigenblatt, tagelang mit Schlagern und Becherbier nachgefeiert - private Festivitäten im öffentlichen Raum.

Um zu erahnen, wie sich dieser Trend zur Selbstvermarktung konsequent weiterentwickeln soll, belauschen wir exklusiv eine Sondernutzungs-/Straßenbenennungskommission des Jahres 2019: In fünf Jahren haben es der Wowereit-Nachfolger und seine integrierende Volkspartei geschafft, konträr agierende Interessengruppen – Unternehmer, Erinnerungsprofis, ideologische und pragmatische Politiker – bei der Gestaltung, Privatisierung und Vermietung öffentlicher Räume an einen Tisch zu bringen. 2019 entscheidet die Kommission nicht mehr bezirksweise, sondern hauptstadtweit.

Dass die Adaption des zugkräftigen Straßennamens Ku’damm wie 2014 vorgeschlagen in der früheren Tauentzienstraße zur Umsatzsteigerung einiger Händler geführt habe, wird in der Sitzung aus den Reihen der City AG begrüßt. Zwischenrufe eines Hardcore-Historikers, der die Umbenennung von Straße des 17. Juni in Fanmeile und die Aufwertung des Alexanderplatzes zum Johnny-K.-Forum als „Eintagsfliegen-Amnesie“ geißelt, kommen weniger gut an. Elegant gelingt es Grünen und Sozialdemokraten, den IHK-Vertretern ihre Zustimmung für Straße der Gleichstellung (Friedrichstraße) und Inklusionsallee (Hindenburgdamm) im Tausch gegen Seitenbacher- (vorher: Paul-Lincke-)Ufer und Beate-Uhse-Park (Tiergarten) abzuluchsen. Unmut entsteht bei dem Antrag, für das Konzerthaus, an dessen Erstnamen Schauspielhaus sich nur wenige erinnern, ein profitables Angebot à la O2-Arena zu einzuholen (SAP-Halle?).Vertagt werden muss die Runde nach dem Referat eines Experten, der vorträgt, welche Label-Wechsel ein starkes Produkt über Jahrtausende aushalten könne: Zum Beispiel "Jerusalem / Aelia Kapitolina / Al Quds". Weshalb für unsere Stadt, die ja beinahe schon einmal "Germania" geheißen hätte, eine haushaltssanierende Neuorientierung in Richtung "Vattental" nicht tabu sein dürfe.

Die Flächen in Berlin werden Monopoly-like aufgelistet

2013 hat der Bezirk Mitte für Sondernutzungen des öffentlichen Raumes – wozu neben Veranstaltungen und Baustellen auch Straßenausschank, Märkte, Fahrradständer, Filmaufnahmen, Infostände, Stelltafeln gehören – rund 6,4 Millionen Euro eingenommen. In den „Grundsätzen zur Definition eines überwiegenden öffentlichen Interesses an Sondernutzungsgenehmigungen für Veranstaltungen im zentralen Bereich von Berlin“ werden Nutzen oder Schaden für die „historische, städtebauliche oder denkmalschutzrechtliche Bedeutung“ eines Ortes sowie die „akkumulierende Auswirkung“ der „Gesamtheit aller Veranstaltungen“ abgewogen. Die „Wertstufeneinteilung“ I bis III listet diverse Flächen Monopoly-like auf, wobei Mitte viel Schloßallee bietet.

Dem Papier merkt man die Bemühung an, der Dauer-Hanswurstiade Berlins als eventfixierte Tourismusplattform Paroli zu bieten. Nur „herausragendes öffentliches Interesse“ rechtfertige Feten mit Zugangsbeschränkung; Produktwerbung sei zulässig, wo der Reklameaspekt „hinter die übrigen Veranstaltungsaspekte zurücktritt“. Am Brandenburger Tor sei zu fragen, inwieweit Sondernutzungen den „symbolischen Gehalt“ des Bauwerks „zeitgemäß erneuern, statt ihn bloß aufzuzehren“. Am Tor finde „traditionell“ das Deutschlandfest, Marathon, Silvester-Fez und die Fanmeile statt, am Bebelplatz – wo die „stadträumliche Wirkung“ des an die Bücherverbrennung erinnernden Kunstwerkes „Bibliothek“ zu achten sei – unter anderem die adventliche Eisbahn. „Tradition“ bezeichnet hier lediglich: dass etwas irgendwann schon mal passiert ist. Eigentlich heißt Tradition ja: Überlieferung.

Lasst die Stadt einfach Stadt sein, wie sie ist!

Dies ist kein sentimentaler, sondern ein ökonomisch orientierter Text, der davon ausgeht, dass die Aufzehrung eines Markenkerns nicht revidierbar wäre. Seit dem Aufschwung der märkischen Rübenindustrie haben die Verscherbelungsbegehrlichkeiten und technischen Möglichkeiten flächendeckender Kommerzmarkierung zugenommen. Der Generationenvertrag zur Überlieferung zerbröselt, wenn ein abgezockter Umgang mit Architektur und identitätsstiftenden Stadtbildern Alten und Jungen vorführt, dass jede Wert-Sache verkäuflich ist. Wer die Verramschung von Schönheit und Würde normal findet, kann auch Regeln des Zusammenlebens nicht mehr nachvollziehen.

Liebe Ideologen, Kapitalisten, Finanzpolitiker: Erspart der Stadt eure Botschaften und Inszenierungen – lasst sie so schäbig, skurril, grandios, wie sie ist, einfach Stadt sein!

Zur Startseite