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Frank Schäfer, Friseur.

© Mike Wolff

DDR-Stilikone: Frank Schäfer: „Wennde reich bist, haste dann besseren Sex?“

Sein Vater war ein DDR-Fernsehstar, Frank Schäfer hatte stets Ärger mit der Polizei. Er frisierte im Palast der Republik – und kam bei Udo Walz gar nicht gut an.

Von David Ensikat

Frank Schäfer, 55, gilt als Stilikone des Ostens. Wer etwas über die Boheme oder Schwule in der DDR wissen möchte, stößt auf Fotos von ihm: wild geschminkt, die gefärbten Haare raspelkurz, bizarre oder keine Kleider. Schäfer war und ist Friseur, sein Laden befindet sich in Prenzlauer Berg.

Herr Schäfer, wann sind Sie das letzte Mal auf der Straße komisch angeguckt worden?

Sag Du zu mir, is’ mir lieber so! Aber warum sollte mich denn jemand komisch angucken?

Weil du anders aussiehst als die anderen?

Tu ich doch gar nicht. Ich find’ mich ganz normal. Gut, ich schminke mir die Augen – aber auch nicht immer.

Du hast dir Sterne auf den Kopf tätowieren lassen und läufst mit einem Pudel durch die Gegend, dem du schon mal das Fell rosa färbst.

Das mit der Färberei ist Jahre her. Damals ging es darum, aufzufallen. Da musste man bunte Haare haben und unglaublich viele Ohrringe. In den 90ern war’s auch cool, an sich rumschnippeln zu lassen. Das hat was mit dem Zeitgefühl zu tun. Davon lebe ich ja als Friseur: Ich gebe meinen Kunden das Zeitgefühl.

Warst du schon in deiner Ost-Berliner Schulzeit ein bunter Hund?

Kann sein. Ich hatte immer Westklamotten, hab’ Knautschlackstiefel und Maximäntel getragen. Aber ich hab’ fürchterlich gestottert und fand mich eher mauerblümerig. Nur mit der Dauerwelle kam ich mir ein bisschen komisch vor. Meine Mutter war mit mir beim Friseur, und hinterher sah ich aus wie Angela Davis. Da hab ich mich erst mal nicht in die Klasse getraut.

Wie lange? Einen Tag?

Eine Stunde vielleicht. Oder zehn Minuten. Aber dann war ich drin in der Klasse, alle haben gelacht und geschrien, dann war das Thema durch.

Hast du auf die anderen, die Stinknormalen, ein bisschen herabgeschaut?

Quatsch. Ich fand die anderen Jungs, die so’n bisschen nach Schweiß gerochen haben und so dicke Haare hatten, ganz süß und sexy. Auch wenn ich nie sein wollte wie die.

Findest du nicht Leute anziehender, die was aus sich machen, so wie du?

Ach was. Diese billigen Schlüsselreize! Ob es funkt oder nicht – da geht’s doch um was ganz anderes.

Du verkleidest und tätowierst dich nicht, um sexuell attraktiver zu sein?

Nö. Sexuell attraktiv ist man, wenn man jemanden gut angucken kann, oder wenn man das richtige Wort im richtigen Moment hat. Außerdem war ich nie der sexy Boy. Wenn man wen aufreißen will, donnert man sich nicht auf.

Sondern?

Man zieht weniger an.

Worum ging es dann, wenn du dich so extrovertiert gegeben hast?

Vielleicht hatte das was mit meinem Beruf zu tun. Ich musste mir doch eine Form schaffen, mit der ich auffalle. Ich war ein schüchterner, stotternder Mann mit einem Berufswunsch und hab’ mir überlegt, wie das gut funktioniert. Das waren die 80er Jahre, da war das Äußerliche wahnsinnig wichtig. Da gab’s Punk, Boy George.

Eigentlich sollte er Dirigent werden

Frank Schäfer, Friseur.
Frank Schäfer, Friseur.

© Mike Wolff

Dein Vater war in der DDR ein Fernsehstar. In TV-Schwänken hat er den Maxe Baumann gespielt, einen einfachen, heftig berlinernden Rentner in Cordhose …

… der er überhaupt nicht war. Eher das Gegenteil. Der war ein hysterischer, kluger, sehr eitler Mann mit schwarzem Humor. Er hat sich gern schön gemacht, immer gepudert und parfümiert. Als bei mir die Achselhaare kamen, war klar, man muss die rasieren. Bei uns war’s selbstverständlich, dass man sich enorm viel Mühe gibt, gut auszusehen. Auch das Auto musste ein besonderes sein. Wir hatten einen Diplomaten-Mercedes.

Wenn alles so besonders sein sollte – was hielten deine Eltern von deinem Berufswunsch: Friseur?

Ich hab’ mich jahrelang gar nicht getraut, das denen zu sagen. Zuerst sollte ich Dirigent werden, weshalb ich auf einer sehr strengen Musik-Spezialschule war.

Aus der sie dich rausgeschmissen haben.

Weil ich ’ne Sweet-Platte aus dem Westen zur Schuldisko mitgebracht hatte. Ich war froh, da runter zu sein. Dann sollte ich Kostümbildner werden. Also hab’ ich Modegestaltung gelernt und kam zum Fachschulstudium nach Reichenbach. Da waren fast nur Mädels, und das war toll! Es gab jeden Abend eine Party, und ich stand ganz schnell auf fünf. Ich fand’s super, meine Eltern fanden’s schlimm.

Hattest du da schon ein schwules Leben, mitten unter den Frauen?

Ich war verlobt mit einer und konnte, wie das so ist bei jungen Leuten, sowieso mit beiden. Ich dachte auch, dass ich die mal heiraten werde. Obwohl ich längst mit Männern Sex hatte. Seit ich 13 war. Nur das Wort „schwul“ kannte ich so früh noch nicht. Ich hab’s auch nicht als Problem gesehen. Ich dachte, man hat das, man spricht nur nicht darüber.

Kein schwieriges Coming-out?

Nee, das gab’s bei mir nicht. Wie mit dem Stottern – ich hab’ da nie ein Problem drin gesehen.

Der Mann, mit dem du als 13-Jähriger deinen ersten Sex hattest, hat sich schwer strafbar gemacht.

Aber klar, der war Mitte 30. Aber eigentlich hab’ ich ihn ja verführt.

Wie das?

Mein Vater hat mich zu einem Pantomime-Zirkel geschickt. Wenn sein stotternder Sohn schon nicht Schauspieler werden konnte, dann wenigstens das. Das war in der Nähe vom Alex, und ich war so schüchtern, dass ich mich nicht reintraute. Ich hatte also Zeit, bin zum Alex und hab’ mich da an den Brunnen gesetzt. Den nannte man Nuttenbrosche, und das klang so schön gefährlich, nach Abenteuer. Aber da passierte nüscht. Dann musste ich mal und bin da runter auf die öffentliche Toilette …

… die damals eine Klappe war, ein Ort, wo sich Männer zum Sex trafen.

Wovon ich natürlich keine Ahnung hatte. Ich sah nur die Männer, die da rumstanden, und dachte, dass die Westgeld tauschen oder Westspione sind. Irgendwas Schlimmes jedenfalls. Ich wieder hoch, und da lief mir ein Mann nach. Der guckte mich so an, dass ich ahnte, worum es geht. Ich setzte mich auf eine Bank beim Fernsehturm, er setzte sich neben mich – und dann war’s gar nicht er, der was sagte, sondern ich: Sollen wir’s gleich hier machen, oder gehen wir zu dir?

Ganz ohne Angst?

Weiß ich nicht. Meine Mutter hatte mich ja gewarnt: Lass dich nie ansprechen von fremden Männern. Irgendwie dachte ich dann auch, dass der ein Kindermörder sein musste. Und bin trotzdem mitgegangen. Keine Ahnung, warum. Ich hab noch meine goldenen Ringe von den Fingern gezogen und weggesteckt.

Dann kam’s zum Sex – hattest du Ahnung davon?

Nüscht wusst’ ick. Ich hatte bei meinen Eltern mal Pornohefte gefunden. Daher wusste ich so’n bisschen, aber nicht, dass Sex was mit Rhythmus zu tun hat. Ich hab’ mich natürlich saublöd angestellt.

Haben deine Eltern je davon erfahren?

Schon ein paar Wochen später. Da wollte ich unbedingt einen Film im Fernsehen sehen, „Fantomas“, und durfte das nicht. Ich war so sauer. Und habe ihnen erzählt, dass ich Sex mit einem Mann hatte. Als Strafe sozusagen.

Und sie?

Hatten noch mehr Angst um ihren Jungen. Der stottert, und jetzt ist er auch noch schwul! Als ich beim Modestudium in Reichenbach auf fünf stand, schlugen sie wieder die Hände überm Kopf zusammen. Da hab’ ich mich endlich getraut zu fragen: Soll ich nicht doch Friseur werden? So kam ich zur Ausbildung bei der PGH „Modische Linie“ auf der Schönhauser Allee. Da fand ich’s toll. Ich war nicht besonders gut, meine Lehrmeisterin sagte: Frank, aus dir wird nüscht, aber wenn du den Spiegel raffiniert hältst, sieht keiner, was du geschnitten hast, dann reicht dit schon. Bist ja ’n Mann.

Dir hat’s gefallen, obwohl du’s nicht gut konntest?

Klar! Ich hatte einen Job mit Feierabend, den meine Eltern nie hatten. Ich wollte anders leben als die. Als Friseur, dachte ich, steht man rum, dreht Locken ein und quatscht den ganzen Tag. Dit fand ick supa! War ja auch so: Ich hab’ den ganzen Tag Köppe gewaschen und Farbe aufgetragen und mit den Leuten gequatscht – so hab’ ich mir mein Berufsleben vorgestellt.

"Die sah dann aus wie Abba."

Frank Schäfer, Friseur.
Frank Schäfer, Friseur.

© Mike Wolff

Gar kein Ehrgeiz?

Der Knoten ist bei mir geplatzt, als ich bei einem Jugendweihefrisieren mitmachen durfte. Da hab’ ich eine ganz schlichte Frisur gemacht, weil, die komplizierten konnte ich nicht. Die sah dann aus wie Abba. Da dachte ich: Vielleicht biste ja doch ein ganz guter Friseur. Wenn ick so mache, wie ick will. Keinen Turmaufbau, sondern ganz schlicht.

Du bekamst Beraterverträge vom Modeinstitut, warst als Visagist gefragt. Du konntest ein ziemlich freies Leben in der DDR führen.

Konnte ich. Wollte ich aber gar nicht. Ich wollte immer im Friseurladen arbeiten. Nebenher schminken und so weiter, das war schick und gut fürs Ego, aber ich bin regelmäßig zur Arbeit gegangen.

Wie kamst du denn in die freie Mode- und Künstlerszene?

Ich bin über Sven Marquardt, den Fotografen, da reingerutscht ...

... der viel später als Türsteher des „Berghain“ berühmt werden sollte.

Mit diesen Szenemenschen hatte ich sonst nicht viel zu tun. Ich konnte gar nicht verstehen, warum man so lebt wie die. Mein strukturiertes Leben fand ich viel besser als das freie, das die so hatten. Ich hab’ auch nicht in Prenzlauer Berg gewohnt, sondern am Ostbahnhof.

Du warst der Werktätige, der nur am schrillsten aussah?

Kann sein. Hat mich aber gar nicht interessiert. Ich hab’ auch nicht mitbekommen, wovon die gelebt haben. Sie nähten Sachen und verkauften sie ganz gut. Ich dachte immer, die sind bitterarm, und hab’ ihnen die Haare umsonst geschnitten. Die dachten, ich sei schwerreich. War ich gar nicht.

Du hast bei Modeschauen mitgemacht ...

... und ich stand auch bei Konzerten auf der Bühne. Ich war so eine Art Gogoboy bei Punkbands, „Die Firma“, „Feeling B“ – die jetzt „Rammstein“ sind. Da hab’ ich so getan, als würde ich singen, und sah hübsch aus. Vorher hatte ich mir überlegt, was die von mir erwarten, hab’ eine Flasche Wodka getrunken, und dann konnte ich das schärfste Punkteil auf der Bühne darstellen.

Am nächsten Morgen bist du wieder brav in den Frisiersalon gelaufen. Ein Punk, der mit der Gesellschaft nichts zu tun haben will, warst du nicht.

Nö, warum auch? Ich hab’ die DDR nicht gemocht, aber die DDR hat mir die Möglichkeit gegeben, meinen Beruf aufzubauen. Es war so schön leicht, gegen die DDR zu revoltieren. Im Westen wäre es viel härter gewesen. Da wäre ich vielleicht Stricher geworden und auf Heroin gelandet, wer weiß.

Warum bist du dann 1988 in den Westen gegangen?

Weil es mich irgendwann genervt hat im Osten. Ich bin laufend von der Polizei festgenommen worden. Zum Beispiel im Palast der Republik, wo ich regelmäßig beim Schaufrisieren aufgetreten bin. Danach haben sie mich jedes Mal festgenommen, weil ich so’n klein bisschen anders aussah mit meiner Strassbrosche, paar Nietengürtelchen, bisschen Glitzer, bisschen blaue Stehhaare – mein Gott! Auf meiner rosa Lederjacke stand weder „Fuck Honecker“ noch irgendwas.

Jedes Mal, wirklich?

Jedes Mal! Drei Wochen später kam der Vertrag fürs nächste Schaufrisieren. Auf dem Weg zum Friseurladen, auf dem Alexanderplatz, haben sie mich auch laufend weggeschnappt. Ich kam dann zu spät zur Arbeit, die Kunden mussten warten.

Was passierte bei der Festnahme?

Da hieß es Gürtel raus, Schnürsenkel raus, ab in die Zelle. Dann wollten sie immer wissen, was dieses und jenes zu heißen hat. Es gab ja kein politisches Statement. Strassgürtelchen, Lidschatten – was sollte das denn heißen?

Er wollte bei Aldi arbeiten.

Frank Schäfer, Friseur.
Frank Schäfer, Friseur.

© Mike Wolff

Das muss ziemlich nervenaufreibend gewesen sein.

Ätzend, aber super für mein Ansehen bei Freunden. Wurde ja keiner so oft festgenommen wie ich.

1988 durftest du in den Westen, um bei einer Heiner-Müller-Inszenierung zu schminken. Da bist du dortgeblieben.

Mein Freund hatte mich drauf gebracht, dass ich drübenbleiben und ihn nachholen sollte. Also hab’ ich gleich nach einem Job gesucht und dachte, das Tollste wäre, bei Aldi aufzupacken. Dass ich als Friseur arbeiten könnte, hätte ich nie gedacht.

Warum denn?

Wegen der Stotterei. Weil ich dachte, das wäre alles viel härter. War aber Quatsch. Ich hab’ ganz schnell gemerkt, dass wir im Osten viel schräger drauf waren als die im Westen. Ich hatte ganz schnell einen Friseurjob und hab’ auch bald wieder für Modeschauen gearbeitet. Die West-Berliner Szene war ja genauso klein wie die in Ost-Berlin.

So einfach war das?

Manches ging auch schief. Als ich zum Udo Walz gegangen bin wegen eines Jobs, hab’ ich mir Luftballons an die Sachen getackert. Ich dachte, da muss man was Besonderes machen. Und er dachte, ick hab ’ne Scheibe. Sonst kam ich mit meiner schrägen Ostnummer sehr gut an.

Was war denn anders im Westen?

Ich habe im Westen gleich hochpreisig gearbeitet, was ich ganz furchtbar fand. Ein Schnitt, der im Osten 13 Mark gekostet hat, kostete da 60. Dafür musste man eine Stunde rumschnippeln und so tun, als ob man ewig nachepiliert. Im Osten war dasselbe in zehn Minuten fertig.

Seit ein paar Jahren hast du deinen eigenen Laden. Dort ist es nicht so teuer.

Der Laden läuft bombastisch, wir sind auf ewig ausgebucht. Es kommen auch jede Menge reiche Leute. Aber wenn ich’s teurer machen würde, blieben ja die Kunden weg, die ich am meisten mag. Wofür also?

Mehr Geld brauchst du nicht?

Wozu? Mein Vater war wohlhabend, deshalb ist Geld für mich nichts Exklusives. Dieses Denken ist mir fremd: Wennde reich bist, dann kannste ... ja, was? Haste dann besseren Sex? Ich find’ ja, ich bin reich: Wie viele Turnschuhe ich hab, zehn, 15 Paar! Aber ich hab ja nur zwei Füße.

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