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Schnee in Berlin: Wer hätte damit rechnen können?

© dpa

Es schneit in Berlin: Damit konnte nun wirklich niemand rechnen

Kaum ist der erste Schnee gefallen, bricht das Chaos in Berlin aus. Ob wir diesen Horrorwinter überleben? Unsere Kolumnistin Hatice Akyün kann die Aufregung über den Wintereinbruch nicht verstehen. Denn: Wie viel Schnee es auch schneit, er bleibt nicht bis zum Sommer.

Ein Wunder ist geschehen, es hat geschneit. Ja, wie konnte denn das passieren? Und ausgerechnet im Januar. Der RBB unterbricht sein Programm und bringt eine Sondersendung. Der ADAC gibt eine Glatteiswarnung heraus und hat schon eine Trilliarde Unfälle gezählt. Und da, in Mitte misst der rasende Reporter den Schneestand und gibt ihn millimetergenau an den Kollegen im Studio durch. Der Meteorologe doziert über die Zusammensetzung von Schnee. Sensationell. Schnee schmilzt, gefriert, Oberflächen werden spiegelglatt, ein Naturereignis. Jetzt schaltet sich auch Stadtentwicklungssenator Michael Müller ein: Der Senat werde alles daran setzen, damit es zu keinen schneebedingten Bauverzögerungen komme. Im KaDeWe ist das Speisesalz ausgegangen, was die Umweltbehörde auf den Plan ruft, die nun gegen Schwaben ermittelt, weil die im Prenzlauer Berg Meersalz mit Kräutern gestreut haben sollen.

Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. Im Tagesspiegel schreibt sie einmal pro Woche über ihre Heimat.
Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. Im Tagesspiegel schreibt sie einmal pro Woche über ihre Heimat.

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Senatssprecher Richard Meng verspricht den von Frost betroffenen Kleingärtnern unbürokratische Soforthilfe. Berlinale-Chef Dieter Kosslick erweitert spontan sein Festival-Programm mit einer Sondervorstellung von „Ice Age“, die Einnahmen sollen schneetraumatisierten Kindern zugute kommen. Die S-Bahn errichtet eine Hotline, um den Einsatz der drei in ihrem Besitz befindlichen Schneeschieber nach Bedarf sicherzustellen. In Hellersdorf findet eine Demo vor der Asylbewerberunterkunft statt. Die Demonstranten fordern: Deutscher Schnee für deutsche Staatsbürger. In einer Herrenboutique auf dem Kudamm wird eine Lieferung Designereiskratzer geklaut.

Was für ein Chaos! Ob wir diesen Horrorwinter überleben? Fällt jetzt der Frühling im Januar für immer aus? Vor dem Kanzleramt wird eine Protestaktion der Femen-Frauengruppe gewaltsam aufgelöst. Die Frauen skandierten barbusig in der sibirischen Eiseskälte von 3 Grad: „Harte Nippel auf bloßen Brüsten sind besser als eine weiche Haltung gegen das Ausspionieren.“ Alice Schwarzer meldet sich zu Wort und ergreift Partei für Frau Holle. Und aus unbestätigter Quelle wird berichtet, Aldi bemühe sich um eine weitere Lieferung von kolumbianischem Schnee.

Wenn Weihnachten kein Schnee liegt, ist die Erderwärmung schuld. Wenn der Winter endlich da ist, geht gleich die Welt unter. Ist der Frühling verregnet, springt die Konjunktur nicht an. Haben wir einen heißen Sommer, müssen wir uns vor der Bullenhitze schützen und die Nation leidet. Ja, wenn gar nichts mehr geht, Wetter als Thema geht immer. Oder wie mein Vater sagen würde: „Kar ne kadar cok yagsa, yaza kalmaz.“ Wie viel Schnee es auch schneit, er bleibt nicht bis zum Sommer.

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