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Coming-Out-Beratung im Lambda-Jugendzentrum.

© Lambda/promo

Berlins erstes queeres Jugendzentrum: Krisen, Kisten, Karaoke

Berlins erstes queeres Jugendzentrum braucht neue Räume, weil so viele Rat suchen - doch die Mieten sind zu hoch. Ein Ortstermin.

Die Bücherkiste muss vom Schrank runter. Sannick Dehler stellt sich auf die Zehenspitzen und wuchtet den Karton auf den Boden. „Ganz schön chaotisch hier“, sagt er. Im queeren Jugendzentrum Lambda in Prenzlauer Berg werden Boxen verstaut und Sofas gerückt. Das Büro zieht vom Hauptgebäude in der Sonnenburger Straße ein paar hundert Meter weiter in ein Gemeinschaftsbüro an der Paul-Robeson-Straße. Mehrere Monate hat das Zentrum gesucht, eigentlich sollte das ganze Haus umziehen. Aber die Mietpreise waren nicht zu stemmen. „Unsere Ansprüche sind recht hoch“, sagt Dehler, Projektreferent bei Lambda, „besonders wichtig ist uns zum Beispiel Barrierefreiheit“.

Im Erdgeschoss hat das Jugendzentrum ein Café, einen Veranstaltungsraum und die Bibliothek untergebracht. Ins Souterrain, dessen Fensterfront in den Garten führt, gelangt man mit dem Rollstuhl über eine Rampe. Unten finden sich Beratungsräume, und nun, da das Büro umzieht, auch der neue Gruppenraum. „Das ist schon mal eine ganz gute Lösung, aber nur zum Übergang“, sagt Geschäftsführer Kay-Alexander Zepp. Bei der Suche hätten sie sich auch an verschiedene Bezirksbürgermeister*innen gewandt, etwas Passendes aber leider nicht gefunden.

Lambda betreibt die 300 Quadratmeter großen Räume schon seit 2014, gefördert vom Land wird das queere Netzwerk aber erst seit 2018. Die rot-rot-grüne Regierung hatte im Koalitionsvertrag festgelegt, dass ein queeres Jugendzentrum eingerichtet werden soll. Es gehört zu ihrer Regenbogenhauptstadt-Initiative. Dass es einen großen Bedarf für ein solches Zentrum und die dort geleistete Beratungsarbeit gibt, zeigt schon die hohe Suizidrate von queeren Jugendlichen. Sie liegt vier bis sieben Mal höher als bei gleichaltrigen Heterosexuellen.

Lambda Berlin-Brandenburg e.V. erhielt die Förderung von 175.000 Euro pro Jahr aus dem Haushalt für 2018/19. Für diese Summe wäre höchstens ein 100-Quadratmeter-Objekt auf dem freien Markt erhältlich. Laut Senatsbildungsverwaltung ist für den nächsten Haushalt auch keine Aufstockung vorgesehen, da die Förderung im letzten Jahr nicht ganz ausgeschöpft und kein „Mehrbedarf“ angemeldet wurde. Sobald landeseigene Räume frei werden, will die Verwaltung prüfen, ob sie infrage kommen.

Nun hat das Jugendzentrum erst mal selbst eine Zwischenlösung gefunden. Die Ehrenamtlichen sind mit der Situation aber nicht völlig zufrieden. „Nur weil wir das Büro ausgelagert haben, ist das nicht das beste Ergebnis“, sagt Jonatan Isakovic, der im Vorstand von Lambda sitzt. Das Problem: Nun ist nur noch eine hauptamtliche Person vor Ort, um die Jugendlichen zu betreuen, die anderen sind im Büro. In Notfällen können die insgesamt 80 Ehrenamtlichen keine Verantwortung übernehmen. „Die Krisen sollten nicht von uns gemanagt werden müssen“, kritisiert Isakovic. Auch bestehe durch zwei Standorte ein höherer Aufwand, sagt Geschäftsführer Zepp.

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Dabei wird die Nachfrage immer größer, denn jeden Monat werden mehr Jugendliche auf das Angebot aufmerksam. 100 von ihnen sollen regelmäßig herkommen. „Mittlerweile ziehen wir Jugendliche aus ganz Berlin und Brandenburg an“, sagt der 19-jährige Luca, der ebenfalls ehrenamtlich bei Lambda arbeitet. Vor drei Jahren stieß er zu dem Netzwerk, damals lebte er noch als „weibliche Person“, sagt er.

Im Lambda-Café hängt ein selbstgebasteltes Mobile mit bunten Pappschildern von der Decke. „Das ist unser Pronomen-Mobile“, erklärt Luca. Auf den Schildern stehen Informationen darüber, welche Pronomen es gibt oder warum jemand auf bestimmte Weise angesprochen werden mag. Als Luca 13 war, zog seine Familie aus einer Kleinstadt nach Berlin. „Damals versuchte ich, mich einem weiblichen Aussehen extrem anzupassen“, sagt er. Um akzeptiert zu werden, trug er lange Haare und Schminke. Trotzdem wusste er, dass etwas nicht stimmt. Später kamen die Nervenzusammenbrüche, mehrere kurz nacheinander.

Schutzraum für Jugendliche

„Psychologen haben mich nach dem Grund gefragt, warum ich mich als Mann fühle“, sagt er, „den konnte ich aber nie nennen.“ Bei Lambda sprach er zum ersten Mal frei über sein Gefühl. „Die Zeit und die Offenheit hier haben mich sehr verändert“, sagt er.

Lambda versteht sich als Schutzraum. Auch bei Stress mit der Familie oder Problemen in der Schule haben die Mitarbeiter*innen ein offenes Ohr. Außerdem setzt das Zentrum auf das Peer-to-Peer-Konzept. Das bedeutet, dass Gleichaltrige sich gegenseitig unterstützen. Unter der Woche treffen sich Gruppen im Jugendzentrum, die sich an den verschiedenen Bedürfnissen und Altersstufen der Jugendlichen orientieren. Bei „Lambda Hoch 2“ sind es zum Beispiel Queers mit Lernschwierigkeiten. Bei „Young*“ treffen sich 14- bis 19-Jährige und sprechen über ihre Erfahrungen. Die Gruppen veranstalten Koch- und Karaokeabende oder machen Ausflüge.

Auch auf den Dyke March wollen sie gemeinsam. Nur zur CSD-Parade gehen sie dieses Jahr nicht. „Die wird immer kommerzieller“, findet Jonatan Isakovic. Da sind die Jugendlichen lieber politischer.

Anima Müller

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