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© Pleul/dpa

FUNDSTÜCKE: Der Schnabel der Welt

Seit 25 Jahren deutet die Künstlergruppe InterDuck die Kulturgeschichte um. Jetzt gibt es erstmals einen Katalog mit dem Gesamtwerk.

Perikles bleibt spurlos verschwunden, die Fahndung der Kripo verlief ohne Erfolg. Im vergangenen Herbst war die Büste des griechischen Staatsmannes mit dem elegant geschwungenen Schnabel bei der Frankfurter Buchmesse gestohlen worden, seitdem ist das InterDuck-Universum um eine Kuriosität ärmer. Dem Gesamteindruck, zu dem das „Duckomenta“ betitelte Oeuvre der Berliner Künstlergruppe InterDuck verleitet, tut das keinen Abbruch: Enten und Mäuse beherrschten über Jahrtausende die Welt, sie prägten Kultur und Zivilisation – bis sie sich vor einigen Jahrzehnten enttäuscht zurückzogen.

Seit inzwischen 25 Jahren untermauern die InterDuck-Künstler ihre kuriose These von der Ver-Entung der Welt. Die kontinuierlich wachsende Wanderausstellung mit von Walt Disney inspirierten Kunstwerken und Zivilisationszeugnissen tingelt seit 1986 quer durch Deutschland und Europa – aktualisiert ist sie ab dem heutigen Sonntag im Schloss Neuhardenberg östlich von Berlin zu sehen. Außerdem liegt das Gesamtwerk jetzt erstmals als opulenter Katalog vor.

Die Idee entstand Anfang der 1980er Jahre bei einem Seminar, erzählt Eckhart Bauer, 67, emeritierter Professor der Kunstsoziologie und Gründer der heute aus fünf Kernmitgliedern bestehenden Gruppe, beim Gespräch im InterDuck-Hauptquartier, einem Galeriebüro in der Karl-Marx-Allee in Friedrichshain.

Bauer war in den 70er Jahren über eine geschenkte Donald-Duck-Figur zum Sammler von Disney-Merchandising geworden. Eines Tages, berichtet Bauer, brachte er zu einem Seminar über Warenästhetik seine Sammlung von Spielzeugfiguren, Pullovern oder Handtüchern mit Micky Maus, Donald und Co. mit. Daraus entstand ein Workshop, bei dem er und seine Studenten die ersten Kunstwerke im klassischen Stil schufen.

Inzwischen umfasst das InterDuck- Universum 400 Exponate, erzählt Anke Doepner, 49, ebenfalls von Anfang an dabei und heute als Managerin mit der weltweiten Vermarktung der Duckomenta befasst. Die hellen Räume, in denen sie und ihre Kollegen sich regelmäßig treffen, sind bis unter die Decke mit Zeichnungen, Gemälden und Skulpturen gefüllt, auf denen sich vertraute Werke der Kunstgeschichte finden – mit dem Unterschied, dass Nofretete, Mona Lisa oder der arme Poet in der Dachkammer hier nicht als Menschen, sondern als Enten oder, in selteneren Fällen, als Mäuse zu sehen sind.

Für die Künstler – allesamt studierte Fachleute, die auch jenseits der Duckomenta in ihrer Disziplin etabliert sind – ermöglicht die Arbeit an der alternativen Kunstgeschichte neue Blicke auf die Welt. „Für dieses Bild habe ich mich wochenlang mit der Zeit seiner Entstehung beschäftigt und nachempfunden, wie die Leute damals dachten und malten“, sagt Ommo Wille, im Hauptberuf Lehrbeauftragter für digitale Bildgestaltung an der Universität der Künste. Er zeigt auf das von entspannten Enten bevölkerte Bild „Frühstück im Grünen“. Laut Katalog stammt es von „Edouard Manente“ und ähnelt frappierend dem gleichnamigen Werk von Èdouard Manet.

Andere Werke reichen von einem an Dagobert erinnernden „Alchemisten“ im Stile Spitzwegs über eine gefiederte Kahla Kerbel, welche einer namhaften mexikanischen Künstlerin ähnelt, oder den „Turm der blauen Enten“ aus dem Atelier Franz Darks, Mitbegründer der Künstlergruppe „Die blaue Ente“, bis hin zu einem sensationellen historischen Foto, das vor gut 40 Jahren auf dem Mond aufgenommen wurde. Es zeigt den unverkennbaren Abdruck eines Entenfußes.

Die Duckomenta ist ein ironisches Spiel mit der Wahrnehmung des Betrachters. Für ihre Schöpfer ist dieses Universum jedoch weit mehr als ein netter Gag, an dem sich Comic-Fans und kunstgeschichtlich versierte Bildungsbürger gleichermaßen erfreuen können.

„Diese Enten gab und gibt es wirklich“, schreibt die Enten-Expertin Marion Egenberger in einem der Aufsätze, die den jetzt erschienenen Katalog abrunden. Egenberger war 15 Jahre lang Pressesprecherin des Egmont-Ehapa-Verlages, der die Disney-Geschichten aus Entenhausen in Deutschland veröffentlicht. Für den im gleichen Verlag erschienenen Duckomenta-Katalog hat sie die InterDuck-Werke mit Texten versehen, die das Entenuniversum in sich schlüssig erklären. Bis hin zu der Tatsache, dass heute von den einst so dominanten Federtieren auf der Erde nicht mehr viel zu sehen ist: Das liege daran, dass sich die Enten gegen Mitte des 20. Jahrhunderts zunehmend von den Menschen ignoriert fühlten, auch hatten sie den Schnabel voll von sich ewig wiederholenden Kriegen, Revolutionen und Moden – sie machten sich auf den Weg ins All, aus dem sie einst zur Erde gekommen waren. „Wir sind davon überzeugt, dass diese Enten real existieren“, behaupten die InterDuck-Künstler. Sie seien nur von der Geschichtsschreibung vergessen worden. „Wir geben ihnen ihre Kunst zurück.“

InterDuck: „Art of the Duckomenta“, 400 Seiten mit dreisprachigen Texten, Egmont, 49,95 Euro. Die Ausstellung läuft vom 14. März bis 13. Juni im Schloss Neuhardenberg. Eröffnung ist an diesem Sonntag um 14 Uhr, danach immer dienstags bis sonntags und an Feiertagen 11–19 Uhr. Mehr unter
www.duckomenta.de. 

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