zum Hauptinhalt
Zeitreise. „Der verschwundene Hochzeiter“ basiert auf einer österreichischen Sage.

© Enrico Nawrath

Vorspiel Bayreuther Festspiele: Wir sind nichts als Staub im Wind

Vorspiel zu den Bayreuther Festspielen: Klaus Langs Oper „Der verschwundene Hochzeiter“ wurde im Rahmenprogramm uraufgeführt.

Eine Uraufführung bei den Bayreuther Festspielen! Das hat es zuletzt 1882 gegeben. Damals hob Richard Wagner seinen „Parsifal“ aus der Taufe. Das passgenau fürs Festspielhaus konzipierte „Bühnenweihfestspiel“ wird hier seitdem allsommerlich im Wechsel mit den neun anderen „großen“ Musikdramen des Meisters gegeben. Mögen auch Komponistenkollegen wie Puccini und Rossini ihre Privatfestivals haben, in Torre del Lago respektive in Pesaro, Bayreuth ist und bleibt die bedeutendste, eigenartigste Pilgerstätte der Musiktheaterwelt.

Da heißt es, mit Innovationen vorsichtig umzugehen. Als Katharina Wagner, die Urenkelin und Festspielchefin, 2013, zum 200. Geburtstag des Meisters, seine Frühwerke „Die Feen“, „Das Liebesverbot“ sowie „Rienzi“ spielen lassen wollte, wählte sie dafür die Oberfrankenhalle, in der sonst Sportveranstaltungen stattfinden. Einen gehörigen Respektsabstand zum Festspielhaus wahrt nun auch Klaus Lang mit seinem Opus „Der verschwundene Hochzeiter“, das die Uraufführung am Dienstag im „Reichshof“ erlebt, einem Traditionskino am Bayreuther Markt. Als Auftrag von Katharina Wagner ist das Musiktheaterstück entstanden, finanziert von der Siemens-Musikstiftung, eingebettet in das „Diskurs Bayreuth“ genannte Rahmenprogramm der Festspiele.

Die märchenhaft-merkwürdige Zeitreise eines jungen Mannes

2017 wurde das Projekt gestartet, im vergangenen Sommer gab es ein Symposium zu „Wagner und der Nationalsozialismus“ sowie vier Konzerte. Diesmal nun sollte es zusätzlich noch eine ganz neue Oper sein. Allerdings ohne direkten inhaltlichen Bezug zu „Lohengrin“, der Hauptpremiere. Der 1971 in Graz geborene Komponist Klaus Lang hat sich eine alte österreichische Sage zum Sujet gewählt, die märchenhaft-merkwürdige Geschichte eines jungen Mannes, der spontan einen Fremden zu seiner Hochzeit einlädt. Der kommt auch, unterhält sich prächtig und konfrontiert den Bräutigam mit einer Gegeneinladung. Drei Tage später, so der Fremde, werde auch er nämlich den Bund der Ehe eingehen. Der frisch Verheiratete macht sich auf den Weg, übertritt bei dem Fest des Fremden aber das Gebot, nie länger zu tanzen, als die Musik dauert. Nach Hause zurückgekehrt, findet er lauter ihm unbekannte Menschen vor. Erst ein Blick in die Dorfchronik bringt Aufklärung. Vor 300 Jahren war der Besitzer des Hofes drei Tage nach seiner Hochzeit spurlos verschwunden. Mit der Tatsache seiner unfreiwilligen Zeitreise konfrontiert, zerfällt der Mann sofort zu Staub.

Eine kleine Guckkastenbühne ist im alten Kinosaal installiert, auf der zwei Balletttänzer agieren, während die Musiker des belgischen Ictus Ensembles und die Gesangssolisten sowie der Chor „Cantando Admont“ rund um das Parkett sowie im Rang platziert sind. Nachdem die Sage einmal aus dem Off erzählt worden ist, beginnt es auf der Bühne zu schneien – obwohl die Szenerie einen Innenraum zeigt, ein kleines, schäbiges Zimmer. In den beiden Fenstern wiederum tauchen wechselnde Landschaften auf.

Videos, Überblendungen und ein steter Strom der Töne

Schnell wird klar, dass hier mit Überblendungen gearbeitet wird. Vor der Spielfläche ist eine Gaze gespannt, auf die sich der Schnee ebenso projizieren lässt wie Figuren, die dann plötzlich im Zimmer zu stehen scheinen. Im Hintergrund laufen Videos ab (von Friedrich Zorn), die sich mal statisch geben, mal in rasende Geschwindigkeit geraten. Aus der linearen Erzählung der Geschichte wird so ein Vexierspiel, bei dem sich verschiedene Realitäten überlagern. Dabei sind einige raffinierte Effekte zu bestaunen, die sich jedoch bald schon abnutzen, weil Regisseur Paul Esterhazy die Tänzer weitgehend in Zeitlupe führt.

Interessanter ist Klaus Langs Musikkonzept. Er will das Verstreichen der Zeit erlebbar machen, einen Klangraum erschaffen, in dem sich das Publikum hörend bewegt, losgelöst von den üblichen Parametern des Alltagslebens. Ein steter Strom der Töne ergießt sich aus den Instrumenten wie den Sängerkehlen, ein Pulsieren und Flirren, zart und sinnlich, zugleich aber auch abstrakt. Wer sich in diese Musik versenkt, erlebt Ähnliches wie beim Betrachten von nicht gegenständlicher zeitgenössischer Malerei. Sanft trägt einen dieses klingende Kontinuum, 5373 Sekunden lang. Und während man das langsame Verstreichen der Zeit intensiv erlebt, schimmert ein Bezug zu Richard Wagner auf. Zum „Parsifal“ nämlich, in dem sich die Ebenen der Wahrnehmung ja auch auf wundersame Weise verschränken. Fast vermeint man im Dunkel des Kinosaals Gurnemanz flüstern zu hören: „Du siehst, mein Sohn, zum Raum wird hier die Zeit.“

weitere Aufführungen am 26. und 27. Juli

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false