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Emanuel Feuermann: Die Ein-Mann-Revolution

Emanuel Feuermann unterrichtete schon mit 16 Jahren, faszinierte die Welt durch sein Spiel – und ist heute dennoch fast vergessen.

Nur sieben Minuten. Mehr Filmaufnahmen sind von Jahrhundertcellist Emanuel Feuermann nicht entstanden. Es sind inszenierte Bilder, Dreharbeiten unter Regieanweisung, er spielt Dvorak und Popper. Der Ton wurde getrennt eingespielt. Diese wenigen Minuten geben eine Anschauung zu den in immer neuen Superlativen sich überbietenden Kritiken seiner Zeit. Auf Videoplattformen im Internet wird so die oft beschriebene erhabene Leichtigkeit seines Spiels sichtbar, eines Spiels ohne Effekte und Extravaganzen, wie sie bei denen zur Gewohnheit werden, die in ihrer Karriere mehr als sieben Minuten vor der Kamera stehen.

Ansonsten ist Emanuel Feuermann ein Mythos für das Ohr. Es ist Winter 1939, Philadelphia, USA. Kurz nach dem Film entsteht eine inzwischen legendäre Tonaufnahme. Eugene Ormandy dirigiert Brahms’ Doppelkonzert für Violine und Cello, besetzt mit dem Dream-Team Jascha Heifetz und Feuermann. Das unwahrscheinliche Verdikt: Der Held dieser epochalen Einspielung ist der Cellist. Feuermann hat sich gegen den besten Geiger behauptet, eine Sternstunde für das Cello, das unterprivilegierte Instrument.

Und doch hat man ihn beinahe wieder vergessen. Im engen Kreis der Celloexperten ist man sich einig, dass er ein Genie epochalen Ranges war, ebenbürtig mit den Allergrößten dieser Disziplin, mit Pablo Casals, Gregor Piatigorsky und Mstislaw Rostropowitsch. Für das breitere Publikum aber hat der Name Feuermann nicht die Aura des Legendären, ist nicht Synonym singulärer Meisterschaft, wie etwa der seines Freundes Heifetz oder der seines Klavierpartners Rubinstein.

Mit dem Cello kann man es nur schwer zu Weltruhm bringen. Die Musikliteratur enthält eine geringe Zahl an Meisterwerken, verglichen etwa mit dem reichen Fundus an Kompositionen für die Violine. Man spielt das Instrument im Sitzen und umklammert mit beiden Beinen den dicken Korpus. Mit einem Stachel krallt sich das Cello an den Boden. Eine Haltung zum Musikmachen, nicht zur Selbstdarstellung.

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Sie hat Emanuel Feuermann schon als Knabe lieb gewonnen, als er die Geige senkrecht gegen den Boden stemmte und wie ein Cello spielte. Zum Star geboren schien aber Sigmund, sein älterer Bruder. Mit fünf spielte er Mendelssohns Violinkonzert, ein Wunderkind und der Stolz des Vaters Meier Feuermann, eines Stadtmusikanten im galizischen Kolomea. Sigmunds wegen verlässt die Familie ihr Schtetl, eine jüdische Parallelgesellschaft in der östlichen Peripherie von Österreich-Ungarn, und zieht nach Wien, die Stadt der Musik. Emanuel reift derweil im Windschatten seines Bruders.

Es ist Winter 1914, es ist Krieg. Eine Wiener Aufführung von Brahms’ Doppelkonzert, besetzt mit den Brüdern Feuermann, Sigmund und Emanuel, 14 und zwölf Jahre alt. Ein Kritiker lobt: Die Wunderkinder hätten gute Instrumente, sähen wohlgenährt aus. Keine Selbstverständlichkeit in jenen Tagen. Die beiden treten jetzt in ganz Europa auf, wie die kleinen Mozarts. Es droht das unbeständige Leben der armen Musikantensensation, dirigiert von der Willkür von Gönnern und den unberechenbaren Läufen jener Zeit. Als aber am Kölner Konservatorium eine Professur frei wird, empfiehlt Cellolehrer Julius Klengel nachdrücklich den erst 16-jährigen Emanuel für die verantwortungsvolle Position.

Klengel ist selbst eine Ausnahmeerscheinung, sowohl als Spieler wie auch als Lehrer, und sein Urteil hat Gewicht. Dennoch ist es für das Kölner Lehrerkollegium unvorstellbar, jemanden in ihren Kreis aufzunehmen, der jünger ist als fast alle Schüler des Konservatoriums. Doch man lässt Emanuel vorspielen und erlebt eine Offenbarung, eine „einzigartige Erfahrung“. In Arbeit und Brot kann er sich vom Wunderkind zum Künstler entwickeln. Ein Schritt, der Bruder Sigmund nie ganz gelingen sollte.

Die Evidenz von Feuermanns Begabung war oft stärker als die Konvention. Auch privat gelang es ihm, unüberwindlich scheinende Grenzen einzureißen. In Köln trifft er auf die Reifenbergs, eine der reichsten jüdischen Familien der Stadt. Diese hatte ihre Kinder alle taufen lassen, und ihr Hochdeutsch unterschied sich merklich von dem Feuermanns, das hier und da noch vom Jiddischen angehaucht war. Dennoch akzeptieren ihn die Reichenbergs, und er wird Teil ihres familiären Lebens. Zu seiner eigenen Familie wächst die Distanz. Später sollte er die jüngste Tochter der Reichenbergs, Eva, heiraten. Feuermann, der Aufstiegsmensch, der seine Schulbildung mit zehn Jahren beendet hatte und den das Leben selbst bildete, dominierte die Beziehung intellektuell. Das sollte seine Ehe mit der jungen Frau, der wenig ehrgeizigen Wohlstandstochter, zeitlebens belasten.

Feuermann gibt nun immer häufiger Konzerte und gibt deshalb seine Lehrstelle auf. Erst ab 1928 unterrichtet er wieder, an der Berliner Hochschule für Musik, wiederum als der jüngste ihrer Professoren. Wie für viele seiner Kollegen ist 1933 für Feuermann in Deutschland der Vorhang gefallen, als „untragbarer Jude“ wird er aus dem Dienst entlassen.

Nach erfolgreichen Konzertreisen über den ganzen Globus und einigen Jahren der Zuflucht in Zürich emigriert er schließlich mit seiner Frau in die Vereinigten Staaten, die neue Heimat für so viele Genies des alten Kontinents. Seine Auftritte werden auch hier bejubelt, Kritiker sehen in ihm eine „Ein-Mann-Revolution“ am noch wenig populären Violoncello. Mit einer Virtuosität habe er sein Instrument gespielt, wie man es nur bei der Violine für möglich gehalten hatte, mit natürlicher Eleganz selbst in schwierigsten Passagen. Feuermann ist auf dem Weg, eine Berühmtheit zu werden. Mit seinem Cello posiert er, der leidenschaftliche Raucher, schon für Zigarettenwerbung. Als strenger Lehrer begeistert er seine Studenten, die ihn ebenso fürchten wie verehren, für das schwierige Instrument. Doch dann stirbt er plötzlich 1942, an den Folgen einer Routineoperation, im Alter von nur 39 Jahren.

Zahlreiche Einspielungen sind mit Emanuel Feuermann entstanden, ein verstaubtes Zeugnis seines makellosen Spiels – an den großen Fortschritten der Tontechnik in den 50er Jahren konnte er nicht mehr teilhaben.

In dieser unvollkommenen Überlieferung bewahrt sich für Kenner der Mythos eines idealen Cellisten. Und in jenen sieben Minuten Filmmaterial lebt er weiter, der Gentleman mit großem Spiel am großen Instrument, als ein Gegenentwurf bemüht extrovertierten Musizierens.

Bojan Krstulovic

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