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Porträtkunst im Bode-Museum: Schönheit des Augenblicks

Die spektakuläre Schau "Gesichter der Renaissance" vereint die Meisterwerke italienischer Porträtkunst im Bode-Museum.

Steif und starr blicken sie alle drei nach links, die feinen Nasen gereckt, das Kinn entschlossen nach vorn geschoben. Die blonden Haare der Schönen sind kunstvoll hochgesteckt und mit Bändern sowie perlenbestickten Gazestoffen aufwändig drapiert. Alle drei tragen sie Gewänder, die zwar jeweils nur im Schulteransatz zu sehen sind, die sich jedoch als eigene Kunstwerke in Brokat erweisen. Schön, reich und gut verheiratet müssen die drei Damen gewesen sein, von denen man heute nicht einmal mehr den Namen weiß. Allein die Schöpfer ihrer Bildnisse sind bekannt: das Florentiner Brüderpaar Antonio und Piero del Pollaiuolo, das in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts eine schwunghafte Werkstatt für Gemälde, Goldschmuck und Skulpturen betrieb. Wer im Florenz des Quattrocento auf sich hielt, bestellte hier sein Ebenbild: als Hochzeitsporträt, als Machtausweis, als Erinnerung im Todesfall.

600 Jahre später sind die jungen Frauen wieder vereint, in Berlin, auf der Museumsinsel, wohin die Bildnisse aus dem New Yorker Metropolitan Museum, dem Mailänder Museo Poldi Pezzoli und auf kurzem Wege aus der Gemäldegalerie am Kulturforum angereist kamen. Ein Spitzentreffen der besonderen Art, denn solch fragile, auf Holz gemalte Werke lässt man als Leihgaben sonst ungern ziehen, egal wie weit. Im Bode-Museum kommen die Damen mit rund 170 weiteren Porträts der damaligen Zeit zusammen. Noch nie waren so viele Exponate einer Gattung aus derselben Epoche gemeinsam zu sehen, noch nie wurde in einer Ausstellung der Bogen über alle Techniken gespannt: Malerei, Skulptur, Zeichnung, Medaille sind hier versammelt.

„Gesichter der Porträtkunst“ nennt sich schlicht das Unterfangen, doch bedeutet es im Ausstellungsbetrieb eine Sensation. Möglich wurde dies durch die enge Kooperation zwischen Gemäldegalerie und Metropolitan Museum, die bereits mit ihren eigenen Beständen eine spektakuläre Schau zustande gebracht hätten. Als die Partner im Louvre, bei der Queen oder den Uffizien um Bilder baten, öffneten sich ihnen in Paris, London, Florenz bereitwillig die Türen, bei 50 Häusern insgesamt. Allein das Bode-Museum als erste Ausstellungsstation noch vor New York ist eine Besonderheit. Das 1904 von Wilhelm von Bode als Renaissance-Museum gegründete Haus mit eingebauten Architekturelementen jener Zeit kehrt damit vorübergehend zurück zu seiner ursprünglichen Bestimmung. Tilman Riemenschneider und das Mittelalter mussten weichen, um erlebbar zu machen, wovon man auf der Museumsinsel schon lange träumt: einer Wiedervereinigung von Malerei und der sonst hier gezeigten Skulpturensammlung.

Doch dieses Berliner Politikum dürfte ein internationales Publikum, das die Ausstellung eigentlich avisiert, kaum interessieren. Was den Ort so reizvoll macht, ist die Kombination der Bilder mit originalen Türlaibungen, Kaminsimsen der Renaissance – Wegweiser für die Zeitreise ins einstige Florenz, Venedig und zu den kleineren Fürstenhäusern Ferrara, Bologna oder Mantua, denen die Ausstellung ihre Säle widmet. Ansonsten bleibt der Blick in den abgedunkelten Räumen auf die Werke konzentriert. Wie Juwelen werden sie auf mal samtweichen, mal mattschwarzen Wandmodulen präsentiert, die Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen und Münzen sind auf einem Fries gleichrangig vereint. Plötzlich treten diese Köpfe in Beziehung zueinander – eine Kommunikation, die über Zeit und Raum reicht.

Der Betrachter ist sofort gebannt, wie diese ferne Gesellschaft sich ihm freundlich zuneigt, ihre modischen Vorlieben und Schönheitsideale zu erkennen gibt und zugleich in ihrem strengen Formenkodex bleibt. Die Renaissance bedeutete zwar die Entdeckung des Menschen, seine Individualisierung, doch verharrt die Porträtkunst zunächst beim Regelwerk: wie jene drei Florentiner Damen, die sich ihren Gatten im Profil präsentieren, weil sich dabei ganz in antiker Münzen-Manier am besten ihr Wesen studieren lässt.

Nicht nur von den Medaillen, sondern auch den marmornen Büsten des Altertums, den mittelalterlichen Stifterbildern und Reliquiaren ließen sich die Renaissancekünstler inspirieren. Der Ausstellungsauftakt demonstriert dies furios mit Donatellos Bronzebüste des heiligen Rossore von 1425 aus Pisa, die zu da Settignanos schöner Marmordame (Berlin) und Verrocchios junger Frau mit Lockenpracht aus der New Yorker Frick Collection hinführt. Hier, im ersten Saal, der Florenz gehört, animiert die Skulptur zum nächsten Schritt in der Malerei. Die Vielansichtigkeit der Bildhauerei verleitet die Künstler dazu, ihre Modelle zu drehen und im Dreiviertelporträt zu malen, bis die Dargestellten frontal zu sehen sind. Die Ausstellung springt nicht nur zwischen den Medien, sondern zeigt auch deren gegenseitige Einflussnahme und Weiterentwicklung. Wie bei jener Büste des Florentiner Kaufmanns Filippo Strozzi, die man in Berlin als Terrakotta kennt und die nun neben dem fertigen Marmorwerk aus dem Louvre steht.

Es mag ermüden, sich in diese Feinheiten, minimalen Veränderungen zu vertiefen, doch frischt sich der Blick mit jedem neuen Bildnis auf, weil der Betrachter in eines Menschen Antlitz schaut, das er neugierig immer wieder auszuforschen trachtet.

Auch die Abermillionen Bildnisse unserer modernen Mediengesellschaft machen immer noch nicht satt, sondern fesseln umso mehr, wenn plötzlich drei fast identische Botticelli-Bilder von Giuliani de’ Medici – aus Berlin, Bergamo und Washington – nebeneinander hängen. Der beim Attentat im Florentiner Dom getötete Bruder von Lorenzo dem Prächtigen bescherte der Kaufmannsfamilie einen Märtyrer, dessen Konterfei die Parteigänger des einflussreichen Clans ergeben in ihren Häusern präsentierten. Neben Frisur, Gewand und Haltung sind sich die Darstellungen vor allem in einem gleich: Giuliano schlägt die Augen nieder, als käme er aus dem Jenseits.

Umso lebensvoller erscheint dagegen seine Geliebte Simonetta Vespucci mit ihrem kaskadenhaft fallenden Haar, dem zarten Antlitz, der gehobenen Brust, die Botticelli gleich zweimal malte – das eine Bild stammt aus Berlin, das andere aus Frankfurt. Ihr ist ewige Jugend eingeschrieben, so wie es Leon Battista Alberti in seinem Traktat von 1435/36 formulierte: „Die Malerei birgt in sich eine wahrhaft göttliche Kraft, indem sie nicht bloß gleich der Freundschaft bewirkt, dass ferne Menschen uns gegenwärtig sind, sondern noch mehr, dass die Toten nach vielen Jahrhunderten noch zu leben scheinen.“

Als größter Magier und Beschwörer einer lebendigen Vergangenheit aber erweist sich Leonardo, dessen „Dame mit dem Hermelin“ (1490) die Ausstellung bekrönt. Die Leihgabe des Krakauer Czartoryski Museums markiert den Wendepunkt in der Porträtkunst der Renaissance, die fortan psychologisiert. Die junge Frau schaut nicht streng geradeaus oder nach links, sondern wendet sehnsuchtsvoll den Blick über die linke Schulter, derweil sie einen Hermelin sanft streichelt. Was sieht die 16-jährige Geliebte des Herzogs Ludovico Sforza in der Ferne? Was verrät das possierliche Tier über ihr Schicksal? Nur schwer löst sich der Betrachter von dem Bild, in dem die Figur aus einem geheimnisvollen Dunkel auftaucht – so wie die Bilder in den Ausstellungsräumen. Das Licht der Erkenntnis glimmt im Schein der Schönheit.

Bode-Museum, bis 20.11.; tägl. 10-18, Do bis 22 Uhr. Katalog (Hirmer) 29 €.

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