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Kunstsalons Cassirer: Als Berlin Nabel der Kunstwelt war

Ein Ereignis: Zwei Bände über die glorreichen Jahre des "Kunstsalons Cassirer" 1898 bis 1905.

Edouard Manets Gemälde seines Landhauses in Reuil gehört zu den Schätzen der Berliner Nationalgalerie. 1882 entstanden, war es im Spätherbst 1899 in der Berliner Viktoriastraße 35 am Rand des Tiergartens zu sehen, in den Räumen des Kunstsalons Cassirer. „Diese Ausstellung ist ein Ereignis für Berlin“, konstatiert Oscar Bie bündig im „Börsen-Courier“. Das war nach der Eröffnung der Ausstellung mit Werken von Manet, Edgar Degas, Puvis de Chavannes und Max Slevogt. Manet ist die unbestrittene Hauptfigur. Von ihm sind nicht weniger als 17 Arbeiten zu sehen, darunter „Das Frühstück im Grase“, unter seinem französischen Titel als „Déjeuner sur l'herbe“ geläufig. Es ist ein Hauptwerk Manets und war der große Skandal des Jahres 1863. Im Jahr der Berliner Ausstellung liegt das jahrzehnteweit zurück.

Und doch ist es brandaktuell. Wenige Monate vor der Ausstellung bei den Vettern Bruno und Paul Cassirer hatte Kaiser Wilhelm II. sich darüber empört, dass seine Lieblingsbilder in der Nationalgalerie „durch Bildwerke der modernen Kunstrichtung ersetzt worden sind“ – solche des Impressionismus, darunter Manets „Wintergarten“, unverändert ein Höhepunkt des Museums. Der Kaiser behielt sich fortan die Genehmigung aller Neuzugänge für die Nationalgalerie vor; auf Verkäufe war für die Cassirers nicht mehr wie zuvor zu hoffen, da der Wind sich derart gedreht hatte. Der Kunstsalon stand mitten in der Kunstdebatte, die nun in aller Schärfe entbrannte.

„Im Rückblick kann kein Zweifel bestehen, dass es sich hier um eine epochale Ausstellung handelte, die wie ein Signal des Wandels am Ende des 19. Jahrhunderts stand“, schreibt Bernhard Echte. Der Literaturwissenschaftler hat mit dem Kunsthändler Walter Feilchenfeldt, dem Sohn des Eigentümers des Kunstsalons Cassirer nach dem Tod des Inhabers 1926, die Geschichte der Galerie erforscht. Denn erforscht musste sie werden, sind doch die Unterlagen des Hauses nach 1933, bei der Emigration nach Amsterdam, verloren gegangen. Nun liegen die ersten zwei der auf fünf Bände angelegten Darstellung über die Jahre 1898 bis 1905 des Kunstsalons Bruno & Paul Cassirer vor, und was damals „Ereignis“ war, kehrt nun als Ereignis der Kunstgeschichtsschreibung wieder.

Die Vettern Cassirer, beide aus begüterten, eng verflochtenen Elternhäusern, eröffneten ihren Kunstsalon am 1. November 1898, Bruno 26, Paul 27 Jahre alt. Alfred Lichtwark, der Direktor der Hamburger Kunsthalle, kommentierte lakonisch: „Die Besitzer sind reich. Der eine ist Kunsthistoriker und Doktor. Zugleich haben sie einen vornehmen Kunstverlag angefangen. Hier scheinen mir für Berlin die Bedingungen des Gelingens gegeben.“

Die „Bedingungen", das war die Zugehörigkeit zur Berliner Bourgeoisie vornehmlich jüdischer Prägung. Hier fand Cassirer, der den Kunstsalon bereits ab 1901 allein führte, seine Kunden. Eduard Arnhold etwa erwarb im Lauf der Zeit Kunstwerke für über eine Million Reichsmark, ungeachtet seiner kaisertreuen Haltung. An die Nationalgalerie verkaufte Cassirer Liebermanns „Schusterwerkstatt“ von 1881 für bemerkenswerte 25 000 Mark. Das war 1906, als der Kunstsalon auch eine der bedeutendsten französischen Sammlungen des Impressionismus ausstellen konnte – in Berlin, weil die Aufgeschlossenheit für die Moderne hier größer war als anderswo.

Paul Cassirer hat mit seinem Kunstsalon an dieser Aufgeschlossenheit viel Anteil – und er profitierte davon. Die Erfolgsgeschichte der Galerie ist zugleich eine Gesellschaftsgeschichte ihrer Zeit zwischen Wilhelminismus, Weltkrieg und Weimarer Republik. Cassirer nimmt darin eine merkwürdig verdeckte Rolle ein. Er muss ein schwieriger Charakter gewesen sein. „Seine Zeitgenossen“, schreibt Feilchenfeldt, „sprechen in ihren Memoiren oft mit Distanz von ihm, manchmal auch mit Ressentiment und meist ohne Sympathie." Karl Scheffler, scharfsichtiger Chronist der Stadt Berlin, weist in seinem Nachruf 1926 auf den wunden Punkt: „Paul Cassirer hat darunter gelitten, dass er, der Genosse von rein Geistigen, in dem verhältnismäßig engen und sozial nicht eben bevorzugten Beruf des Kunsthändlers gebannt geblieben ist.“ Und: „Der Beruf konnte die Fülle seiner Persönlichkeit nicht aufnehmen.“

Um sie geht es in den vorliegenden beiden Bänden nicht, aber es lohnt, die Person des Galeristen im Blick zu behalten. Der Widerspruch gegen den offiziösen Geschmack der wilhelminischen Epoche, die sich verschärfenden gesellschaftlichen und politischen Gegensätze, die am Gegenstand von Kunst und Kultur aufbrachen und sichtbar wurden – das ist das Umfeld, in dem Cassirer seine Wirksamkeit entfaltete. Mehr als 20 000 Kunstwerke waren in den Räumen der Viktoriastraße zu sehen. Doch „seine Sammler gibt es nicht mehr“, bilanziert Feilchenfeldt: „Die herausragenden Kunstwerke, die er in Deutschland verkaufte, sind zum großen Teil in aller Welt verstreut.“

In 1100 Farbabbildungen werden sie in den zwei Bänden vorgestellt, auf 1250 Seiten, reich gefüllt mit zeitgenössischen Rezensionen. Sie ermöglichten die Rekonstruktion der Cassirerschen Ausstellungen, deren frühe Kataloge – Verzeichnisse von geringem Umfang – ebenso verloren gingen wie die Geschäftsakten. Zu den Heldentaten Cassirers zählt die große Cézanne-Ausstellung, die er 1904 von seinen Pariser Geschäftsfreunden übernehmen konnte – und die in Berlin auch zum geschäftlichen Erfolg wurde. Mindestens 30 Gemälde waren zu sehen; ihre heutigen Standorte lesen sich als Verzeichnis allererster Museumsadressen. Zwei Versionen der „Kartenspieler“, zweimal „Madame Cézanne“ und etliche Stillleben, die mehr als dreißig Jahre Schaffenszeit überspannen – all das war einmal in Berlin vereint und ging von hier aus an Privatsammler, die nach 1933 in ihrer Mehrzahl verjagt und verfolgt wurden. Die Geschichte der Galerie ist eine Geschichte von Triumph und Tragik.

Max Liebermann, der zum Hauskünstler avancierte, hat Manet genau studiert. Sein „Landhaus in Hilversum“ von 1901 schlägt den Bogen zu Manets Haus in Reuil. 1903 war Liebermanns Gemälde bei Cassirer zu sehen, als Dreingabe zu einer umfangreichen Ausstellung des Russen Konstantin Somoff. Der ist heute vergessen. Paul Cassirer hat mit seinen Ausstellungen Furore gemacht, aber auch bei ihm gab es Fehlgriffe. Das eine wie das andere klären erst Verlauf und Urteil der Geschichte. Sie liegt nun anschaulich vor uns. Es ist dies ein Ereignis.

- Bernhard Echte, Walter Feilchenfeldt: Kunstsalon Cassirer. Die Ausstellungen 1898-1905. Nimbus Kunst und Bücher, Wädenswil (CH) 2011. 2 Bde., 504 S. /450 Abb. und 748 S./650 Abb., im Schuber 98 €.

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