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Filmkritik "Wer ist Hanna?": Ein märchenhafter Thriller

Joe Wrights Actionthriller "Wer ist Hanna?" ist keine unerhört originelle Geschichte. Aber wie häufig bei Genrefilmen ist es die Ausführung, die den Film aus der Masse hervorhebt.

In einer friedlichen Schneelandschaft stapft ein Rentier durchs Unterholz, geräuschlos verfolgt von einem Mädchen, einer Teenagerin, vielleicht 14 Jahre alt: Hanna. Kaum hat sie das Tier gekonnt mit Pfeil und Bogen zur Strecke gebracht, wird sie von einem Mann attackiert und in einen heftigen Ringkampf verwickelt. Es ist ihr Vater Erik, mit dem Hanna in einer malerischen Holzhütte in der polaren Einöde lebt. Er ist ihr einziger menschlicher Kontakt und lehrt sie alles, was sie weiß: Kämpfen und Jagen sind essentielle Bestandteile ihrer Ausbildung, Fremdsprachen ebenso, und für alles Weitere gibt es eine Enzyklopädie, deren Definitionen sie auswendig lernt.

Es ist ein primitives Paradies, das Vater und Tochter bewohnen, auch wenn ihre Isolation, wie sich bald zeigt, nicht frei gewählt ist: Sie halten sich versteckt vor einer Vergangenheit, die sie einzuholen droht. Hannas Erziehung zur polyglotten Jagd- und Kampfmaschine dient der Vorbereitung auf den unausweichlichen Ernstfall. Die Vertreibung aus dem Paradies jedoch ist, wie die biblische, eine selbstbestimmte, bewusste Entscheidung. Über einen Sender stellt Hanna Kontakt zur Außenwelt her. Auf Dauer ist nicht alles im Leben über Wörterbuchdefinitionen befriedigend erfahrbar.

Es bleibt noch Zeit, einen Treffpunkt zu vereinbaren, dann trennen sich die beiden: Erik macht sich zu Fuß auf den Weg durch den Schnee, Hanna erwartet in der Hütte die Ankunft der Einsatzkräfte, vermutlich Navy Seals, die mit dem Befehl kommen, Erik zu töten, und stattdessen ein augenscheinlich verstörtes, harmloses Mädchen vorfinden. Hanna wird zur Untersuchung in eine abgelegene Hochsicherheitseinrichtung gebracht, aus der sie entkommen kann, wobei sie sich weder als verstört noch als harmlos erweist.

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Es folgt Hannas Flucht, die den größten Teil des Films ausmacht, eine Flucht vor der undurchsichtigen Top-Agentin Marissa Wiegler (Cate Blanchett) und ihrem exzentrischen Jagdkommando, aber auch eine Flucht zum vereinbarten Treffpunkt – und zu sich selbst. Es beginnt in einer dunklen Geröllwüste, dem, nach der Schneewelt der Anfangsszenen und dem Beton-Labyrinth des Geheimdienstes, dritten unwirklichen, abstrakten Schauplatz. Als sich das Geschehen konkret raumzeitlich verortet, hat das was von einer verblüffenden Wendung.

Doch dieses Nebeneinander von Fantasie und Wirklichkeit ist ein konsequentes erzählerisches Prinzip. Die Drehbuchautoren Seth Lochhead und David Farr tun gut daran, der in maximaler Abgeschiedenheit aufgewachsenen Hanna auf ihrer Reise eine britische Familie zur Seite zu stellen, die an Gewöhnlichkeit kaum zu überbieten ist – was Hanna, für die alles außergewöhnlich ist, entgehen muss. Die banale Alltäglichkeit ist eine angenehme Erdung für die kühn konstruierte Thriller-Handlung mit Science-Fiction-Elementen. Sie bietet Regisseur Joe Wright die Gelegenheit, aus diesem Kontrast komische Funken zu schlagen. In diesen Momenten erinnert „Hanna“ an Mark Romaneks „Alles, was wir geben mussten“, dessen Protagonistin Kathy eine Seelenverwandte Hannas ist: Beide existieren zu einem (fremd)bestimmten Zweck; abgeschnitten von der Welt werden sie auf ihre Aufgabe vorbereitet und kommen erst spät mit einer äußeren Wirklichkeit in Kontakt. Auch zum identitätsverwirrten Agenten aus der „Bourne“-Reihe gibt es Parallelen, oder zur Comicverfilmung „Kick-Ass“, in der ein von Nicolas Cage gespielter Vater seine Tochter zur Superheldin erzieht.

Es ist keine unerhört originelle Geschichte, die „Wer ist Hanna“ erzählt. Aber wie häufig bei Genrefilmen geht es hier weniger um das Was als um das Wie, ist es die Ausführung, die den Film aus der Masse hervorhebt. Dazu tragen die ausgezeichneten Darsteller bei, allen voran Saoirse Ronan als Hanna, sicher eine der begabtesten Schauspielerinnen ihrer Generation und bereits 2008 für ihre Rolle in „Abbitte“ mit gerade einmal 13 Jahren für den Oscar nominiert. Sie holte „Abbitte“-Regisseur Wright ins Boot, der den Film mit seinem Stilwillen erheblich bereichert. So inszeniert er die prägnant choreographierten Kampfszenen mal als Schnittgewitter à la Paul Greengrass, mal ganz ohne Schnitt als lange Kamerafahrt, mal als elegische Zeitlupenstudie.

Wrights wichtigster Beitrag ist jedoch sein Einfall, die Thriller-Story als Märchen zu erzählen. Dafür streut er bekannte Motive ein, betont die fantastischen Elemente und setzt Cate Blanchett als eine Mischung aus Hexe und böser Schwiegermutter in Szene. Auch die Musik der Chemical Brothers entrückt das Geschehen ins Traumhafte und entführt den Zuschauer in Hannas Welt des Staunens. Im Kern sind praktisch alle Märchen Initiationsgeschichten – und damit die geeignete Form für Hannas Flucht zu sich selbst.

Ab 25. Mai in 16 Berliner Kinos

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