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Die Video-Installation mit dem Titel "More Sweetly Play The Dance" in der Ausstellung "No it is!" im Martin-Gropius-Bau.

© Jörg Carstensen/dpa

William Kentridge im Martin-Gropius-Bau: Die Welt als Wille und Wunderkammer

Poesie und Politik: Die fantastischen Werke des südafrikanischen Multimediakünstlers William Kentridge sind im Berliner Martin-Gropius-Bau zu sehen.

Wenn William Kentridge „Wunderkammer“ sagt, dann sorgt das kurz für Irritation. Der gebürtige Südafrikaner spricht Englisch, und das deutsche Wort ragt aus seinem Redefluss heraus. Es gibt keine Übersetzung dafür und verzaubert allein durch Kentridges eigentümliche Betonung: Wundérkammer. In seiner Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau bezeichnet der Begriff die beiden Eckräume, die als Gelenkstücke zu den anderen Teilen der Präsentation dienen und einen Blick in sein Atelier in Johannisburg erlauben. Sie gleichen tatsächlich entfernt jenen fürstlichen Wunderkammern des 17. Jahrhunderts – mit ihrem technischen Gerät, Zeichnungen, Grafiken, Skulpturen, der feinen Privatsammlung des Meisters mit Blättern von Dürer, Picasso, Beckmann und Hopper.

Multiplizität ist Kentridges Element. Der 61-Jährige hat etwas von einem Universalkünstler der Renaissance, er ist Maler, Regisseur, Schauspieler in einer Person, sein Metier sind Film, Theater, Oper, Kunst, er zeichnet, dichtet, konstruiert, entwirft Bühnenbilder, schreibt Stücke, inszeniert. Als Wunderkammer könnte man letztlich seine gesamte Schau bezeichnen, die den kryptischen Titel „No it is!“ trägt – Nein? Doch, ja! Die vorangestellte Negation ist eine Redewendung aus Südafrika, einem Land, das den geraden Weg zum Ziel nicht kennt. Kentridges Arbeiten erzählen von den Vorwärts- und Rücksprüngen nicht nur seiner Heimat. Flucht, Migration, Diskriminierung sind auch die großen Themen Europas. Doch zunächst lockt er einen in den verwunschenen Raum seiner Fantasie, im ersten Saal mit dem Titel „Reversals of Fortune“, einer Dunkelkammer mit Projektionen auf allen vier Wänden.

Kentridges Kunst fördert auch Verdrängtes zutage

Von Umkehrungen, Rückläufen, Überzeichnungen ist Kentridges gesamtes Werk geprägt. Es hat seinen Ursprung im Animationsfilm, der Abfolge klassischer Kohlezeichnungen. Das zunächst Gezeichnete wird mit jeder neuen Einstellung weiter überlagert. Oder der Künstler spult zurück, indem er die Rewind-Taste drückt, deckt dadurch auch politisch Verdrängtes auf, lässt erneut Gras darüber wachsen. Da kann es passieren, dass der Körper eines toten Afrikaners irgendwann nur noch als Mulde in der Landschaft erscheint, in der sich Wasser sammelt, zuletzt badet der Künstler darin. Eine grauenvolle Vision. Die Geschichte des Ermordeten wäre dem Vergessen anheimgegeben, würde die Sequenz nicht von vorn beginnen.

Kentridges Ansatz gleicht dem der Wahrheitfindungskommissionen seiner Heimat zur Aufklärung der Apartheid-Verbrechen. Nur bedient er sich einer poetischen Methode. Der Künstler erforscht die Zeit, mit einer Technik, die zugleich alt und überraschend neu ist. Er zeichnet, nimmt auf, mobilisiert das Bild, das dennoch immer als statisches Motiv erkennbar bleibt. Die verwischten, wegradierten Stellen verschwinden nicht, denn im Material selbst lagern sich die Veränderungen ab. Wer 1997 seinen Film „Felix in Exile“ auf der Documenta X gesehen hat, der kennt die Verstörung über die sich wandelnden surrealen Bilder der Massaker. Nun ist das knapp neunminütige Werk in Berlin wieder zu sehen, unverändert stark.

Trotz der politischen Sujets liegt eine große Heiterkeit über der Ausstellung, der im Juli weitere Auftritte des Künstlers folgen, Performances, Lectures, Puppenspiele und Liederabende von und mit Kentridge im Rahmen des Festivals „Foreign Affairs“ (5.–17. 7.). Bei aller Traurigkeit – die Musik, das Tempo der Veränderungen reißen jedes Mal mit. Kentridge ist ein Zauberer, er kennt die Tricks. Abgeschaut hat er sie sich beim Filmpionier Georges Méliès, dem die Installation mit drei Videoarbeiten im Entree gewidmet ist: die Umkehrung der Tonwerte von Schwarz in Weiß, das Rückwärtsabspielen für wundersame Luftmanöver, bei denen die Dinge zurückfliegen, Verschüttetes wieder zurückkehrt.

Kentridge hat Méliès’ „Reise zum Mond“ von 1902 adaptiert, er selber tritt als Reisender im ersponnenen Kosmos seines Studios auf. Als Rakete dient ihm eine Espressokanne, als Fernrohr die Mokkatasse, als Mond die Untertasse. Ob Tinte oder Kaffee, beides sind Kraftstoffe des künstlerischen Schaffens, alles spielt mit, wird Schrift, wird Bild, verwandelt sich zu immer neuen Scherenschnitt-Figuren, die in anderen Arbeiten erneut auftauchen wie jene beladenen Männer und Frauen, die tief gebeugt Lasten auf ihren Köpfen tragen.

William Kentridge in der Berliner Ausstellung.
William Kentridge in der Berliner Ausstellung.

© dpa/Jörg Carstensen

Der Gropius-Bau zwingt zur großen Form, manchen Künstler sah man hier scheitern. Das Mandat „Think big!“ tat Günter Uecker, Rebecca Horn, Anish Kapoor bei ihren Ausstellungen in diesen Räumen gar nicht gut. Kentridge dagegen, der sich immer schon in verschiedenen Sparten betätigt hat, auch als Regisseur großer Opern, weiß den Platz zur Entfaltung seiner Installationen bestens zu nutzen. Zur Bühne wird der große Saal mit der raumgreifenden Installation „More Sweetly Play The Dance“. Der Titel lehnt sich an eine Zeile aus Paul Celans berühmtem Gedicht „Todesfuge“ an: „Spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland“.

Den Tross von Kentridges riesiger Installation treibt eine hinreißende Brass-Band an

Über fünf riesige Tableaux erstreckt sich die Prozession vor einem mit Kohle gezeichneten Landschaftshintergrund. Die lebensgroß projizierten Figuren tanzen einen modernen Totentanz, deren dunkle Silhouette durch die leicht farbige Kleidung Körper-Volumen gewinnt. Sie zerren an Karren, drehen sich im Kreis auf ihrem Weg, führen Luftkämpfe aus, tragen wie Palmwedel die Schattenrisse von Helden-Porträts. Die als Arbeiter, Hausmädchen, Sekretärin angelegten Typen stehen für den afrikanischen Befreiungskampf, doch repräsentieren sie den Wunsch aller Menschen auf Gleichberechtigung – nicht erst im Angesicht des Todes. Kentridge hat hier eine zutiefst humanistische Botschaft aus dem Mittelalter ins 21. Jahrhundert übersetzt.

Den Tross treibt die hinreißende Musik einer Brass-Band an, die sich ebenfalls eingereiht hat. Der Komponist Philip Miller ist hier als Kentridges Zaubergehilfe am Werk. Auf ihn geht ein Gutteil der Popularität auch der jüngsten Documenta-Arbeit „The Refusal of Time“ von 2012 zurück, die nun ebenfalls in Berlin zu sehen ist. Wieder ist Kentridge der Hauptdarsteller, wieder ist sein Studio das Setting. Doch diesmal führt der Künstler nicht seine Talente auf heitere Weise vor, sondern steht unter dem Diktat der Zeit. Ein hölzerner Webstuhl in der Raummitte, Symbol für Industrialisierung und Effizienz, gibt mit seinen stampfenden Bewegungen den Takt vor, gegen die Millers Musik mit der Polyrhythmik Afrikas opponiert.

William Kentridge glaubt an die Kraft der Kunst

Die Performerin Dada Masilo demonstriert in der großen Installation, wie man sich nicht nur der Zeit, sondern auch der Wirklichkeit verweigern kann. Etwa indem man den Liebhaber vor dem Ehemann einfach unter einer Tischdecke versteckt und, schwupps, ist er im nächsten Bild verschwunden. William Kentridge glaubt mit jeder Faser an die Kraft der Kunst: als Überwinderin von Zeit und Raum und todtrauriger Realität. Mag er auch allzu häufig als guter Onkel, als der Künstler mit dem Borsalino im eigenen Werk auftauchen, der Betrachter glaubt es mit ihm sofort.

Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, bis 21. 8.; Mi bis Mo 10–19 Uhr. Katalog (Verlag Walther König) 26 € bzw. 29,80 € folgt.

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