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Ire ohne Einstecktuch. Chris de Burgh, 66, studierte einst Anglistik und Romanistik, dann packte ihn der musikalische Ehrgeiz. Heute hat er mehr als 45 Millionen Tonträger verkauft.

© picture alliance / dpa

Chris de Burgh in Berlin: Sir in Grau

Seit 40 Jahren steht Chris de Burgh auf den Bühnen der Welt, im nächsten Jahr kommt er ins Tempodrom – mit neuer CD und Lederjacke. Ein Treffen am Gendarmenmarkt.

Und dann, mitten im Gespräch, steht Chris de Burgh vollkommen unvermittelt auf. Schaut aus dem Fenster seiner Suite. Schweigt. So muss sich Irland anfühlen, denkt man sich. Ein Mann steht am Rande einer Klippe, schaut glasig Richtung Horizont und nur so in sein Herz. Hinter ihm die saftigen Wiesen, auf denen er seine Schafe hütet, der Wind trägt ein Lied an sein Ohr. Aber bevor die eigenen Gedanken im völligen Kitsch versinken, setzt er an, der kleine große Mann: „Sehen Sie das? Dort unten auf der Straße?“, fragt Chris de Burgh. Nein, leider nicht. Irlands Klippen sind schnell weit weg.

"Jaja, die Religion"

„Kommen Sie, kommen Sie her, ich will Ihnen etwas zeigen.“ Und dann deutet er hinunter auf die Straße, auf eine Gruppe verschleierter Frauen, die in Richtung Gendarmenmarkt unterwegs sind. „Warum tragen diese Frauen diese Kleidung?“, fragt er. Setzt sich wieder und nimmt die Antwort vorweg: „Ja ja, die Religion. Aber wissen Sie, ich war vor einiger Zeit im Iran. Und als ich zurückflog, nahmen sich die von Kopf bis Fuß vermummten Frauen im Flieger ihre Schleier direkt nach dem Start Stück für Stück ab. Warum, frage ich Sie? Warum machen die das? Gilt ihr Glaube nicht mehr, sobald sie ihr Heimatland verlassen haben? Das ist doch interessant, oder?! Darüber habe ich übrigens einen Song geschrieben für das neue Album.“

Und dann schweigt er wieder. Schaut fordernd, fragend, abwartend. Aber der Raum bleibt mit ihm stumm. Netter Versuch, Herr de Burgh. Aber wir sind nicht unbedingt wegen seines neuen Albums hier, sondern wegen der inzwischen 40 Jahre andauernden Karriere eines Mannes, der nicht wirkt wie Star, und es umso mehr ist. Wie hat er das nur gemacht?

Der Weltstar mit der Aura eines Taxifahrers

Auf Anfang. Gespräch mit Chris de Burgh. 30 Minuten Einzelinterview im Regent-Hotel am Gendarmenmarkt. Die Angestellten am Empfang legen Manieren an den Tag, dass man sich für jedes einzelne Schimpfwort, das man in den vergangenen fünf Jahren auch nur gedacht haben mag, entschuldigen möchte. Dann übernimmt der deutsche Manager. Auch der ist ein ausgesucht freundlicher Mensch. Münchner Einschlag. Feinstes Einstecktuch. Die Stimmung jetzt insgesamt eher wie vor einem Tee mit der Queen.

Vor der Suite des Sängers zwei englische Raubeine, die als persönliche Assistenten vorgestellt werden. Von der Statur her würde man eher auf Leibwächter tippen. Nach zwei, drei Sätzen nettesten Smalltalks hat man die Manieren, das Einstecktuch und den Tee mit der Queen vergessen. Ein Bier mit den persönlichen Assistenten scheint plötzlich viel attraktiver.

Aber nichts da. Einmarsch in die Suite des Künstlers. Kleiner, ordinärer als gedacht. Und dann kommt er herein, der Mann, der allein mit der Single zu „Lady in Red“ mehr als acht Millionen Platten verkauft hat. In Jeans, Hemd, Lederjacke. Klein und unscheinbar. Die Aura eines Berliner Taxifahrers. Begrüßt einen mit der Herzlichkeit eines entfernten Verwandten und fragt nach dem Befinden. Der Mann würde gut an die Rezeption dieses Hotels passen, denkt man sich noch, aber dann los. 30 Minuten sind nicht viel Zeit, wenn man über 40 Jahre Karriere als Popstar sprechen will.

Warum der erste Hit in Brasilien? Keine Ahnung

Es nimmt seinen Lauf. Ein Gespräch aus der Wiedervorlage. Er wird diese Fragen, die man doch für originell hielt, als man sie erstmals dachte, häufiger gehört haben als jeder Journalist der Welt seine Songs. Die Routine seiner Antworten ist augenscheinlich. In Argentinien geboren, der Vater ein britischer Diplomat. Klavier hat er in der Schule gelernt. Die Gitarre folgte dann im Selbststudium. Die ersten Auftritte im Hotel, das ein Familienbetrieb war. Zunächst keine Gedanken an eine Karriere als Musiker. Studium in Dublin. Romanistik und Anglistik.

Aber irgendwann packt es ihn doch. Der Ehrgeiz. Will ich es versuchen? Muss ich es nicht sogar versuchen? Kann ich es schaffen? Er zieht nach London, mit Mitte zwanzig, ein Aushilfsjob nach dem anderen. Die klassische Aufsteiger-Biografie. Der erste Plattenvertrag. Der erste Nummer-eins-Hit in Brasilien. Warum ausgerechnet in Brasilien? Keine Ahnung. Aber es war ein Licht, das er da angeknipst habe, ein erstes Licht auf einem für ihn ansonsten noch dunklen Globus. Dem weitere Lichter folgen sollten.

Schönes Bild. Ein Klassiker aus dem Backkatalog der de Burgh’schen-Interviewantworten. Schon so oft in die Notizblöcke von Journalisten diktiert. Und immer noch gut. Ist das sein Geheimnis? Auf hohem Niveau verlässlich liefern? Die Erwartungen seines Publikums kennen und einfach immer wieder versuchen das Licht anzuknipsen? Egal, wie alt die Platte auch ist?

Das Geheimnis einer guten Melodie? Die Anzahl der Silben

Wie schreibt er seine Songs, will man wissen? Seine Gitarre steht direkt neben dem Sofa. Hat er sie immer mit dabei? Nein, nein. Er hat nur morgen noch einen Auftritt im Fernsehen. Schreibt er immer und überall Songs, oder nur dann, wenn eine neue Platte ansteht? Nur dann. Und zuerst die Akkorde. Die sind das Wichtigste. Und dann die Melodie. Das Geheimnis einer guten Melodie liegt in der richtigen Anzahl von Silben, die man drübersingt, verrät er noch. Und stimmt ein Lied seiner neuen Platte an. Und singt in diese Suite hinein.

Und es ist eine wirklich schöne Stimme, die er hat. Eine sehr weiche, sehr schöne Stimme. Sie gleitet auf leichten Schallwolken durch das Zimmer, verpufft nach glücklichen Sekunden an den Vorhängen, die für diesen einen Moment ganz leicht wirken, und nicht wie eben noch, nach tonnenschwerem Protz. „Und jetzt, die gleiche Melodie mit anderen Worten“, doziert Chris de Burgh. Irgendwas, irgendwas singt er, so wie eben noch, wirklich schön, und dann allerdings sehr deutlich, sehr unvermittelt „Motorcycle“. Und schon, erklärt der Mann, der nach mehr als 200 Gold- und Platinauszeichnungen wissen muss wie es geht, „ist der ganze Song ruiniert“.

Deutschland sei überhaupt sehr wichtig für ihn

So geht es weiter. Wie wichtig sind ihm seine Konzerte? Wie involviert ist er in der Bühnenshow? Sehr wichtig, natürlich. Die Auftritte seien schließlich seine Visitenkarte. Seit Jahren schon arbeite er mit einer deutschen Firma zusammen, die für ihn die Beleuchtung übernehme. Gute Partner. Deutschland sei überhaupt sehr wichtig für ihn, eines der ersten dieser Lichter, die er auf seinem ganz eigenen Karriereglobus angeknipst habe.

Dann klopft es an der Tür, der Manager steckt sich vage in den Raum und macht die klassische Halsabschneider-Geste – die Zeit ist um. Wirklich? Schon? Fragt de Burgh und kann ein wenig Erleichterung dann doch nicht verbergen. Man will es ihm nicht verübeln. Als Zugabe zieht der kleine große Mann einen letzten Trumpf. Man spiele doch selbst Gitarre, fragt er, das hätte er doch richtig verstanden vorhin? Ja? Er kramt in seiner Tasche, kramt ein Plektrum hervor und bitte schön. Und so zieht man von dannen, Chris de Burghs Plektrum in der Hand und fest entschlossen ins neue Album hineinzuhören. Und denkt: Er hat einen gekriegt. Er hat die Erwartungen erkannt, bedient und das verdammte Licht angeknipst.

Chris de Burgh spielt am 19. Mai 2015, 20 Uhr, im Tempodrom, Karten ab 47,55 Euro. Das aktuelle Album „The Hands of Man“ ist gerade erschienen.

Ilja Behnisch

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