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Friedenssymbol. Die gotischen Tuchhallen von Ypern wurden 1914 von deutschen Truppen zerstört. Heute beherbergt das Ensemble das „In Flanders Fields Museum“.

© visitflanders

Kriegsgedenken in Belgien: Schönheit geschundener Landschaft

In Ypern und Umgebung tobten einst blutige Schlachten – heute lädt die Region mit Fahrradrouten, Museen und Gedenkstätten zur Entdeckung ein.

Stolz reckt sich der Belfried der lang gestreckten Tuchhallen von Ypern in die Höhe – ein Zeugnis hoher flämischer Baukunst und ein Denkmal der einst berühmten flämischen Tuchindustrie. Doch der beeindruckende Bau von 1304 ist nicht das Original, sondern die Rekonstruktion nach der völligen Zerstörung 1914 durch deutsche Truppen . In den Tuchhallen befindet sich heute das 2012 neu gestaltete „In Flanders Fields Museum“ (IFFM), das seinen Namen nach dem berühmten Gedicht von John McCrae erhalten hat. Das Museum erzählt mit mehr als 2000 Exponaten, Touchscreens, interaktiven Armbändern, Videoprojektionen und Klanglandschaften die Geschichte dieser heiß umkämpften Region.

Es ist zugleich zentraler Ausgangspunkt für die Besucher der Westhoek, der westlichsten Ecke Flanderns, wo insgesamt 600 000 Soldaten aller Nationen und Zivilisten den Tod fanden oder vermisst wurden. Nicht umsonst wird Bundeskanzlerin Angela Merkel dieses Museum im Gedenkjahr 2014 besuchen. Die flämische Regionalregierung hat für die kommenden vier Jahre ein umfangreiches Gedenkprogramm in Auftrag gegeben, das der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg gewidmet, aber auch als nach vorne orientiertes internationales Friedensprojekt zu verstehen ist.

Das Museum erinnert vor allem an die Menschen, die unter dem Krieg zu leiden hatten. Mit einem interaktiven Armband, das der Besucher am Eingang bekommt, wählt er eine Person, deren Schicksal er durch die ganze Ausstellung immer wieder verfolgen kann.

Das IFFM will die Namen aller Gefallenen erfassen

Zusätzlich wird in ständigen Wechselausstellungen der Chronologie des Krieges gefolgt. Bis zum 30. Juni ist „Krieg und Trauma. Soldaten und Lazarette 1914–1918“ zu sehen. Nie zuvor waren in einem Krieg so viele Verwundete auf einmal zu versorgen gewesen, das Lazarettwesen entstand. In einer weiteren Ausstellung in Gent widmet man sich ausführlich den psychischen Schäden der Kriegsteilnehmer, ein Thema, das bis heute traurige Aktualität behalten hat.

Das IFFM möchte aber auch einen Bezug zur Gegenwart herstellen. Wer immer einen Angehörigen während des Ersten Weltkriegs in Flandern verloren hat, kann ihn dem wissenschaftlichen Dienst des Museums melden. Ziel ist, die Namen aller ums Leben gekommenen Menschen aller Nationen zu erfassen und diese dann jeweils an genau dem Tag nach 100 Jahren im Museum zu projizieren.

Bewegender Ort in Ypern ist die Gedenkstätte Menentor, ein ehemaliges Stadttor, in dessen Bogen die Namen von 55 000 Gefallenen und Vermissten gemeißelt wurden. Seit 1928 findet täglich um 20 Uhr eine Last-Post-Zeremonie statt, bei der vier Trompeter der Freiwilligen Feuerwehr Ypern in Dankbarkeit an diejenigen erinnern, die ihre Stadt verteidigt haben. Für eine Stunde ruht dann der Verkehr, der vom Zentrum der Stadt ins Umland, den Ypern-Bogen führte. Tausende alliierter Soldaten waren diesen Weg auf das Schlachtfeld gegangen und nie wieder zurückgekehrt.

Die rote Mohnblume erinnert an die Kriegsopfer

Die Stille, die von 19 Uhr 30 bis 20 Uhr 30 die Zeremonie umschließt, kann einen auch in der wunderschönen Umgebung berühren. Denn es besteht ein bizarrer Kontrast zwischen der lieblichen grünen flämischen Landschaft und dem Horror, der hier vor 100 Jahren vier Jahre lang gewütet und die Landschaft bis heute verändert hat. Besonders wenn die Mohnblumen blühen, die ersten Blumen, die nach dem Toben der Schlacht und dem Umpflügen des Bodens durch Tausende von Granaten wie zum Trotz immer wieder gediehen. John McCrae hat sie mit seinem bewegenden Gedicht „In Flanders Fields“ berühmt gemacht.

1918 steckte sich eine Amerikanerin im Gedenken an den im selben Jahr an einer Lungenentzündung gestorbenen Dichter eine Mohnblume ans Revers und rasch hatten vor allem die Veteranenverbände der Alliierten diese Tradition übernommen. Heute ist in den angelsächsischen Ländern die rote Mohnblume das Zeichen des Gedenkens an die Toten aller Kriege. Sie erinnert an das Blut der Soldaten, die in der Blüte ihres Lebens dahingerafft wurden. Aber sie ist gleichzeitig eine fragile und anmutige Pflanze, deren Samen auch Schmerzen lindern kann, eine Blume also zwischen Schönheit und Tod.

Diese ambivalente Landschaft lässt sich von Ypern aus gut mit dem Rad erkunden. Speziell für die Gedenkjahre wurden Touren wie die „Friedensroute“ zu den historisch bedeutenden Orten des Ersten Weltkriegs konzipiert, denn die Landschaft ist neben den Museen, Gedenkstätten und Soldatenfriedhöfen, wo oft weiße Grabsteine in Divisionsstärke das unvorstellbare Ausmaß des Sterbens sinnfällig symbolisieren, Teil der Erinnerung.

In Brüssel wird ein Oratorium von Penderecki als Zeichen des Friedens uraufgeführt

Zu den neu gestalteten Museen gehört das Memorial Museum „Passchendaele 1917“ in Zonnebeke, wo allein innerhalb von 100 Tagen mehr als eine halbe Million Soldaten für gerade einmal acht Kilometer Geländegewinn gefallen sind. Dort ist rekonstruiert, wie sich das Leben der Briten etwa unter der Erde oder in den Schützengräben abgespielt hat – im Sommer wie im Winter, bei Sonne, Regen, Eis und Schnee. Der Yserturm bei Kaaskerke wurde in diesem Jahr ebenfalls als Museum über den Ersten Weltkrieg neu konzipiert.

Aber auch die anderen flämischen Städte bieten ein umfangreiches Programm zum Gedenkjahr. Brügge ist im öffentlichen Bewusstsein weniger als Kriegsschauplatz bekannt, hier hatten die Deutschen ihren U-Boot-Stützpunkt. Die historische Stadt diente ihnen als Rückzugsort. In den Stadthallen wird vom 14. Oktober an das Leben unter der deutschen Besatzung mit Fotos aus dieser Zeit dokumentiert.

Das Flandernfestival Brüssel unter dem Motto „1000 Voices for Peace!“ hat sich ganz dem Gedenkjahr verschrieben. Krzysztof Penderecki hat unter Verwendung von Texten von Erasmus und Spinoza ein Oratorium für 1000 Sänger aus allen kriegsteilnehmenden Ländern und ein Symphonieorchester komponiert, das am 9. November seine Welturaufführung als Zeichen des Friedens erfahren wird.

Aus 600 000 Tonskulpturen soll ein internationales Manhmal entstehen

Am Eingang des deutschen Soldatenfriedhofs in Vladslo steht die Skulpturengruppe „Trauerndes Elternpaar“ von Käthe Kollwitz, die sie ihrem Sohn Peter gewidmet hat, der sich gegen ihren Willen freiwillig gemeldet hatte und mit 18 Jahren getötet wurde. In Koekelaere befindet sich ein Käthe-Kollwitz-Museum.

Mit einem internationalen Kunstprojekt „Comingworldrememberme“ wird eine Verbindung zwischen den 600 000 Opfern von damals und den Menschen heute gelegt. Jedermann kann in einem kleinen Workshop eine Tonskulptur erstellen, die mit einem Namen und einer Kennmarke von der Gedenkliste verknüpft wird. So bekommt jedes Opfer einen Paten. Idealerweise sind 600 000 kleine Skulpturen bis 2018 entstanden, die dann als großes Landart-Projekt bei Ypern für immer ausgestellt werden – ein internationales Mahnmal.

Im Internet: www.flandern.com/Flandern/flanders-fields/ ; www.comingworldrememberme.be

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