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Ausstellung: Abenteuerspielplatz Ost

Es ist die lustigste ernste Ausstellung, die seit langem gezeigt wurde. "Über Leben": Fotos von Thomas Hoepker und Daniel Biskup im Deutschen Historischen Museum.

Dies ist eine sehr ernste Ausstellung. Jede historische Ausstellung ist das, und erst eine, die „Über Leben“ heißt und von der DDR und Osteuropa handelt. Und dann geht man von Foto zu Foto, von Bild zu Bild und lacht über jedes anders.

Es handelt sich demnach um die lustigste ernste Ausstellung, die seit langem gezeigt wurde. Das gilt allerdings mehr für die erste Hälfte, für die zweite irgendwann gar nicht mehr. Seltsam ist das schon, denn die erste Hälfte behandelt die Diktatur, die zweite die Demokratie, also den Weg des Ostens in den Westen. Müsste es da nicht genau andersherum sein? Was wissen die Bilder, was das Denken so schwer einholt?

Thomas Hoepker, geboren 1936, vormaliger Korrespondent des „Stern“ in der DDR, ist für den Diktatur-Teil verantwortlich; Daniel Biskup, geboren 1962, hat fotografiert, was danach kam. Und weil im August vor fünfzig Jahren das hässlichste Bauwerk Europas errichtet wurde und die Teilung Europas besiegelte, hat sich das Deutsche Historische Museum zu dieser Ausstellung entschlossen.

Der Eintretende trifft direkt auf eine abzeichengeschmückte, lebensbreite Frau mittleren Alters, der ein Papier-DDR-Fähnchen vors Gesicht weht, was sie zu immerwährendem Incognito verdammt. Auf dem Fähnchen steht eigentlich „10 Jahre DDR“, aber da es weht, fehlt die Eins vor der Null.

Der Effekt ist noch ein wenig absichtsvoll; die zwei Großmütter, die sehr ratlos in ein Schaufenster voller Gummiwärmflaschen schauen, in deren Mitte die Losung prangt „10 Jahre DDR. Volkseigene Betriebe stellen sich vor“, sind schon viel besser. Oder die leere Kuchentheke des „VEB Aktivist“. Eine leere Kuchentheke allein ist nicht witzig, aber eine, die dem „VEB Aktivist“ gehört, schon. So beginnt der real-komisch existierende Sozialismus auf Hoepkers Fotos. Der Studiosus interruptus der Kunstgeschichte war 23 Jahre alt, als ihn die Münchner Illustrierte im Oktober 1959 aussandte, um den 10. Republikgeburtstag zu fotografieren. Es war sein erster bezahlter Auftrag.

Die sozialistische Schaufenstergestaltung und die Neigung der DDR, sich mit großen Losungen zu versichern, dass sie noch da ist, nahmen dem Fotografen schon die halbe Arbeit ab. Hoepker, der Schilder-Fotograf mit der großen Zärtlichkeit für die kleinen Leute. Es gibt auch Aufnahmen von merkwürdiger Poesie, etwa eine Eichenallee in der Märkischen Schweiz, und in all dem Übergrün steht plötzlich ein knallrotes Schild: „Dank Euch Ihr Sowjetsoldaten“. Oder auf einem kaputten Weimarer Dach liegt ein Mädchen in der Sonne, und man ahnt, das Dach unter ihr könnte in jedem Augenblick einstürzen.

Aber niemals ist es Hohn, der aus diesen Bildern spricht. Ja, sei es nicht gar ein „freundlicher Blick“ auf die DDR, wurde der Fotograf mit leicht kritischem Unterton auf der Pressekonferenz gefragt, und der leugnete nicht. Auch er hielt damals, Anfang der Siebziger, im Zweifelsfalle Springer für schlimmer als die DDR. Er wollte der DDR gegenüber, was der Westen bisher nicht war: fair sein. Und außerdem gehörte er selber dazu.

Hoepker hatte 1972 in Jerusalem auf die Frage seiner Redaktion, ob er nicht nach Ostberlin ziehen wolle, die Unvorsichtigkeit begangen, mit „Ja“ zu antworten. Ein Westjournalist, der im Osten wohnt – bis eben, genauer bis zur Unterzeichnung des Grundlagenvertrags, war das undenkbar gewesen. Allerdings hatte der Entschluss seinen Preis, den Hoepker nicht verschweigt. Schon als er und seine Frau Eva Windmöller, die nunmehr erste Stern-Reporterin in der DDR, spätabends das erste Mal vor ihrem neuen Zuhause im 16. Stock eines Plattenbaus in der Weissenseer Ho-Chi-Minh-Straße standen, ging der Fahrstuhl nicht. Dafür lief die Heizung auch im Sommer. Und doch entfahren ihm Sätze wie: „Die Menschen waren, wenn sie sich kannten, netter zueinander.“ Oder hätte er sagen müssen: vorbehaltloser?

Zeitschwenk, 1990. Ein Supermarkt bei Rostock, errichtet auf der grünen Wiese, darin eine große Milka-Kuh-Attrappe und ein Schild der neuen Zeit fragt: „Möchtest Du ein Foto mit der Milka-Kuh?“ Davor eine Frau in Windjacke und Jeansrock, die offenbar nicht so recht weiß, was sie von ihr halten soll. Was sie von den DDR-Losungen halten sollte, hatte sie immer gewusst. Fotograf ist, wer die Zehntelsekunde nicht verpasst, in der solche Bilder möglich sind.

1989 war der Westberliner Student der neueren Geschichte Daniel Biskup 26 Jahre alt, als er beschloss, sein Studium aus naheliegenden zeitgeschichtlichen Gründen hauptsächlich außerhalb des Hörsaals fortzusetzen. Und mit der Kamera in der Hand.

Während Hoepker, in Amerika beauftragt mit Lebensmittelfotografie, den Fehler seines Lebens machte (Selbstaussage) und im Herbst 1989 nicht umgehend zurückkehrte, gelangen Biskup irritierende Ansichten des beinahe schon zu oft Gesehenen. Der Gestus beider Fotografen ist verschieden und doch verwandt.

Während Hoepker 1976 einen himmelblauen Trabant vor einer Prenzlauer-Berg-Fassade porträtierte, die seit 1933 oder noch früher unverändert geblieben sein dürfte, zeigt Biskup 1990 das gleiche Modell von gleicher Farbe auf seiner Fahrt ins Blaue, vorbei an den Schildern neuen Typs „1. Freie Wahl nach 1933“.

Biskup wusste, dass die Umbrüche im Leben der Menschen erst beginnen, wenn die politischen fast schon Geschichte sind. Und je weiter nach Osten er käme, desto sichtbarer würden sie. Biskup fuhr in die auseinanderbrechende Sowjetunion und nach Jugoslawien.

Schon die stolze Anklamerin 1990 vor ihrem nagelneuen Porno-Regal war nicht mehr zum Lachen, die Fotos der Moskauerinnen, die in langer Reihe an Straßenrändern mit kleinsten Habseligkeiten handeln, sind es erst recht nicht. Biskup zeigt, durch wie viel menschliche Verwüstung der Weg ins Freie führen kann, und nicht alle kommen an.

Was macht den letzten Unterschied aus zwischen den Bildern, über die wir lachen müssen und den anderen? Vielleicht erkennt man unwillkürlich, ob die Menschen stärker sind als die Umstände, unter denen sie leben müssen. In der mittleren und späten DDR waren sie das oft.

Nur ein Zyklus von „Über Leben“ ist nicht im Osten entstanden. Es sind Thomas Hoepkers „Mauerkinder“ von 1963. Was war die Mauer? Ein Abenteuerspielplatz!, sagen die Neuköllner Kinder auf Hoepkers Fotografien.

Deutsches Historisches Museum, Unter den Linden 2, bis 3.10.; tägl. 10-18 Uhr. Katalog zu Thomas Hoepker (HatjeCantz) 35 €.

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