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Ausstellung: Das revolutionäre Haus

Der Gropius-Bau zeigt Avantgarde-Architektur aus der frühen Sowjetunion.

Das Kulturhaus Rusakow, vom sowjetischen Architekten Konstantin Melnikow Ende der zwanziger Jahre entworfen, wirkt wie eine Mischung aus Kathedrale, Theater und Getreidesilo. Mit seiner Größe, der klaren Geometrie und den drei auskragenden Prismen erscheint es menschenabweisend. Und doch ist es für Menschen gemacht. Die Ausstellung „Baumeister der Revolution“ im Berliner Martin-Gropius-Bau zeigt Gebäude, die von der russischen Avantgarde nach der Oktoberrevolution für die junge Sowjetrepublik gebaut wurden: Gemeinschaftswohnanlagen, Arbeiterklubs, Fabriken und Kraftwerke. In ihrer rigorosen Modernität sind sie bis heute faszinierend.

Die Ausstellung kombiniert Architekturfotografien des Briten Richard Pare mit Archivaufnahmen aus dem Schtschussew-Museum für Architektur in Moskau, dazu kommen herrliche konstruktivistische Zeichnungen und Gemälde von El Lissitzky, Ljubow Popova, Rodchenko und anderen Avantgarde-Künstlern. Beim Anblick der Fotos schwankt man zwischen Bewunderung und Ratlosigkeit. Den bolschewistischen Arbeiter gibt es nicht mehr und daher auch niemanden, der noch recht in die Gebäude passen würde. Was macht man also mit dem Erbe? Die Frage, welche Räume Gesellschaft heute braucht, wird nicht nur in Russland, sondern auch in Deutschland oft genug ideenlos beantwortet oder nicht gestellt.

Das Klubhaus wurde von Melnikow für die städtischen Arbeiter Moskaus als Multifunktionswunder geplant. Die Auditorien konnten 1200 Menschen fassen. Es ist wohl auch eine Reaktion auf die Kritik von Leo Trotzki, der bemängelte, dass auf Propaganda ausgerichtete Arbeiterklubs im Durchschnitt nur von 13 Personen am Tag besucht würden. In der Folge überschlugen sich junge Architekten mit Lösungen, wie Bildung, Sport und Kultur in einem Gebäude zu vereinen seien. Die Revolution verlangte nach neuen Gebäudetypen. Es entstanden Großbäckereien, um die Frauen von zeitraubenden häuslichen Pflichten zu befreien. Die Ausstellung zeigt eine riesige Bäckerei des Bauingenieurs Georgi Marsakow, der auch die Backmaschine selbst konstruierte.

Die Narkomfin-Gemeinschaftswohnanlage ist mit ihrer freien Fassade und den Stahlbetonpfeilern wiederum von Le Corbusier inspiriert. Kleine Wohneinheiten, Speisesäle, ein Extrablock für Kinder, Sporthalle und breite Flure für soziale Kontakte sollten das Gemeinschaftliche fördern. Viele dieser Ideen sind auch aus heutiger Sicht noch bestechend.

Es ist dem britischen Fotografen und Kurator Richard Pare zu verdanken, dass so viele dieser bemerkenswerten Gebäude dokumentiert wurden. 1993 reiste er zum ersten Mal nach Moskau und fotografierte im Laufe der nächsten Jahre überall im Land die Bauten der Avantgarde. Oft stahl er sich in die Gebäude hinein, Jahre später half ihm auch das russische Kulturministerium. Manchmal hatte er nur eine Stunde Zeit, wie im gigantischen Lenin-Mausoleum von Alexei Schtschussew. Im Wohnhaus von Konstantin Melnikow ließ der Sohn des Architekten, der sich für die Baufälligkeit genierte, Pare erst fotografieren, nachdem dieser Geld für eine Renovierung aufgetrieben hatte.

Das Experimentieren mit neuen Formen, Volumina und Materialien hatte in Russland bereits einige Jahre zuvor in der bildenden Kunst begonnen und griff in der Euphorie der Revolution auch auf die Architektur über. In den in Öl gemalten „Raum-Kraft-Konstruktionen“ von Ljubow Popowa oder den propagandistischen Zeichnungen von Gustav Klutsis ist dieselbe Dynamik zu spüren wie in den futuristischen Gebäudekonstruktionen der Zeit, auch wenn sich diese Brüder im Geiste in der Ausstellung teils etwas fremd gegenüberhängen. Die Zeichnungen hat Costakis, ein Angestellter der griechischen Botschaft in Moskau, von 1947 bis 1977 gesammelt und damit die weltweit größte Sammlung russischer Avantgarde-Kunst zusammengetragen. Die Bilder kommen als Leihgabe aus dem Staatlichen Museum für Zeitgenössische Kunst in Thessaloniki.

Noch gibt es in Russland keine qualitativ hochwertigen Renovierungen der Avantgarde-Architektur. Eine alte Busgarage von Melnikow ließ die Freundin des Billionärs Roman Abramovic zu einem Privatmuseum umbauen – und totsanieren. Irrwitzige Rekonstruktionen sind beliebt. Dass Wladimir Tatlins Monument für die Dritte Internationale, das wohl berühmteste Bauwerk, das nie gebaut wurde, jetzt als verkümmertes Modell am Eingang der Ausstellung steht, ist ein Sinnbild für die Entwicklung der russischen Moderne. Stalin übernahm 1932 die Kontrolle und beendete die Ära der Avantgardisten abrupt. Vielleicht ergeht es dieser Sowjet-Architektur ja wie einigen Künstlern zu Beginn dieses Jahrtausends: Sie wurden erst im Westen geschätzt und dann bekannt im eigenen Land.

Bis 9. Juli, Mi-Mo 10-19 Uhr.

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