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Dokumentarfilm: Joschka Fischer: Geschichte als Zerreißprobe

Er hat keinen Schulabschluss, hörte an der Uni Adorno und Habermas, wurde als Taxifahrer zum Realo, später war er Außenminister. Porträt einer außergewöhnlichen Karriere: Pepe Danquarts Dokumentarfilm "Joschka und Herr Fischer".

Über Joschka Fischers Gesicht flackern die Bilder seines Lebens. Der Ex-Politiker steht im Berliner Tresor, von der Decke hängen Glastafeln, auf die Archivfilme projiziert sind. Ein Panorama der Nachkriegsrepublik, mit dem kleinen Josef, Sohn vertriebener Ungarndeutscher, dem Frankfurter Sponti, dem grünen Umwelt-Turnschuhminister in Hessen, dem Außenminister unter Kanzler Schröder. Eine biografische Videoinstallation, ein Bunker voller Bilder. Es ist düster im Betonambiente des Clubs.

Die wohl ungewöhnlichste Politikerkarriere der Nachkriegszeit: Fischer hat keinen Schulabschluss, hörte an der Frankfurter Uni Adorno und Habermas, wurde als Taxifahrer zum Realo, erhielt Jahre später als Außenminister Preise für sein Engagement bei den Nahost-Friedensbemühungen. Pepe Danquart lässt das nicht in klassisch dokumentarischer Manier Revue passieren, sondern platziert seinen Protagonisten mitten in dessen eigene Biografie, umgibt ihn mit privaten wie mit Nachrichtenbildern und mit Material aus dem eigenen Dokumentarfundus. Nach seinen Sportdokumentationen „Heimspiel“, „Höllentour“ und „Am Limit“ vergewissert der 56-jährige Danquart sich auf diese Weise auch seiner eigenen politischen Vergangenheit.

Und Fischer schaut, staunt, erinnert sich, sinniert, doziert, faltet die Hände, nimmt Denkerposen ein, sagt Politikersätze, wird persönlich. Hinzu kommen „Exkurse“: Weggefährten und Zeitzeugen treten auf, vom Haschrebellen Knofo Kröcher und den Punkrockern von Fehlfarben über Katharina Thalbach bis zu Jürgen Koschnick und Dany Cohn-Bendit.

Das Timing von „Joschka und Herr Fischer“ könnte kaum passender sein. Da der 62-Jährige sich seit dem Ende von Rot-Grün 2005 aus der aktiven Politik zurückgezogen hat und eine Beraterfirma betreibt, kann er sich Offenheiten erlauben. Die aktuelle, Akw-debattenbedingte Erfolgswelle der Grünen bringt es aber mit sich, dass Fischer wieder im Gespräch ist und die Medien über eine künftige Kanzlerkandidatur spekulieren. Auf dem politischen Parkett ist er gerade der große Abwesende. Ist das der Grund, weshalb der Film und sein Protagonist offiziös, fast staatstragend bleiben? Jedenfalls entsteht wenig Nähe, trotz der Detailfülle und der Länge von 140 Minuten.

Es sind eben nicht nur die Bilder seines Lebens, in die Fischer hineingestellt wird. Das Warschauer Ghetto, der Mauerbau, der Mauerfall, was genau hat das mit ihm zu tun? Oder Katharina Thalbach. Im Film vertritt sie die untergegangene DDR, weshalb Danquart die 1976 in den Westen übergesiedelte ostdeutsche Schauspielerin im verrotteten Vergnügungspark im Treptower Plänterwald befragt. Eine ärgerlich simple Symbolik.

Aber auch eine „Zeitreise durch 60 Jahre Deutschland“ (Untertitel) bräuchte ein Prisma, einen Spiegel, eine Perspektive – und nicht die beliebig anmutende Aneinanderreihung historischer Momente. Keine Atempause, Geschichte wird gemacht: Hier wird sie erst in Schnipsel zerschreddert, dann wieder zugekleistert, mit Musik, Sounddesign, Originalton und Fischer-Kommentar. Ein flackerndes Einerlei. Fischer spricht öfter von „uns“ als von sich. Und immer, wenn es interessant wird, wechselt der Schauplatz, das Sujet, der Zeitzeuge.

Hat Fischer ein Lebensthema? Eines ist gewiss die Frage der Gewalt. Er war ein Haudegen, das wird deutlich aus den Frankfurter Geschichten rund um den Club Voltaire. Es gab die Putzgruppen-Zeit, die ihm als Bundespolitiker zu schaffen machte, es gab den Kosovo-Krieg, den von ihm unterstützten Beschluss, erstmals in der deutschen Nachkriegsgeschichte mit militärischen Mitteln in einen Konflikt einzugreifen.

Das wäre aufschlussreich: Wie es Fischer gelungen ist, Aggressivität zu sublimieren, spontihaftes Ungestüm in moralisch verantwortliches Handeln zu übertragen. Der frühere Steinewerfer bewahrt sich einen Rest Extremismus, setzt alles daran, einen Völkermord zu verhindern, sagt „Nie wieder Auschwitz“ und stimmt Luftangriffen zu. Dieser Kurzschluss zwischen Biografie und Geschichte, das seinerzeit vielfach beschriebene Momentum, in dem sich deutsche Nachkriegsgeschichte verdichtet, weil der Außenminister in seiner Jugend Probleme gern mal mit der Faust gelöst hat – allein das wäre einen Dokumentarfilm wert.

Aber Pepe Danquart lässt Fischer in Ruhe, fragt nicht nach dem Kick des Straßenkampfs, nach der Angst in den Augen des attackierten Polizisten, nach Schuld oder Reue. Und bei der Kosovo-Episode steht nicht Fischers widersprüchliches Verhältnis zum Gewaltmonopol des Staates im Vordergrund, sondern die besondere deutsche Verantwortung, die aus der Nazizeit resultiert, sowie die grüne Zerreißprobe zwischen Pazifisten und Bellizisten.

Ein anderes Thema: die Spontaneität und die Macht. Fischer wirft immer wieder hin, die Schule, die Ausbildung, die Politik. Er klebt nicht an der Macht, ist aber gleichzeitig einer der rar gewordenen Vollblutpolitiker, für die der Job kein Selbstzweck war, sondern ein Mittel zur Gestaltung der Welt. Im Film gibt es kurze Szenen dazu: Der Augenblick, als er nach der hessischen Wahl zum Umweltminister erstmals allein im Büro sitzt – Chiffre für die Einsamkeit der Macht. Oder sein „No, Sir“ zu George W. Bush, als es um die deutsche Beteiligung am Irakkrieg geht. Fischer, der Überzeugungstäter, auch diese Nahaufnahme vermisst man in Danquarts Film.

So freut man sich wenigstens über Anekdoten. Cohn-Bendit zum Beispiel hat sich als Abgesandter des Pariser Mai in der 68er-Zeit über die Verkniffenheit des SDS doch sehr gewundert. Austern essen? Das war den deutschen Rebellen fremd, da kann der Franzose nur lachen. Dennoch war es sein Freund Dany, der Joschka Fischer überredet hat, den Gang durch die Institutionen anzutreten.

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