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Ausstellung im Jüdischen Museum: Als wär's ein fremder Planet

Das Jüdische Museum Berlin betreibt „Heimatkunde“ und erforscht mit Werken von 30 Künstlern die nationale Identität.

Was macht das Deutsche aus? Singende Germanen, demonstrierende Naturschützer, ein Bläserensemble und tanzende Mountainbiker unter Tannen, schließlich ein einsamer Wolf, der auf Rotkäppchens Rufen nicht hört und im Dickicht verschwindet? All das gehört zum Assoziationsfeld nationale Identität, ist Teil des großen Mythos „Deutscher Wald“.

All diese Figuren treten als Protagonisten in Julian Rosefeldts Filminstallation „Meine Heimat ist ein düsteres wolkenverhangenes Land“ auf. Der Titel ist ein Lessing-Zitat, nicht vom Aufklärer Gotthold Ephraim Lessing, sondern von dem deutsch-jüdischen Philosophen und Publizisten Theodor Lessing, der 1933 von nationalsozialistischen Attentätern im tschechoslowakischen Exil erschossen wurde. Dazu fegt rechts auf der vierteiligen Projektion ein Hausmeister unentwegt ein Felsplateau im Elbsandsteingebirge – oh, deutsche Sauberkeit! –, während links eine männliche Rückenfigur mit einer Nebelmaschine unermüdlich Dampf über die Wälder bläst. Ein zeitgenössischer Wiedergänger von Caspar David Friedrichs „Wanderer über dem Wolkenmeer“ – ach, Seele der Romantik!

Heimat, das könnte ein schweres, ein tragisches Thema für eine Ausstellung im Jüdischen Museum sein. Doch das erfolgreichste Ausstellungshaus der Stadt – allein in diesem Jahr kamen bereits 500 000 Besucher – will sein zehnjähriges Bestehen mit einer Geburtstagsschau feiern, die nach vorne blickt. Das Museum mit dem markanten Zickzack-Bau von Daniel Libeskind, das am 11. September 2001 eröffnet wurde und im kommenden Monat eine ganze Jubiläumswoche zelebriert, ist immer noch eine junge Institution, die statt mit einer kulturhistorischen Retrospektive nun mit einer großen Ausstellung zeitgenössischer Künstler einen neuen Schritt wagt – und gewinnt.

Die Frage, was Deutsch ist, was Heimat bedeutet, mögen Soziologen, Philosophen, Anthropologen im Allgemeinen beantworten können. Künstler vertreten persönliche Positionen. Mit ihnen versucht das Jüdische Museum einer Veränderung in den letzten zehn Jahren nachzuspüren, in denen sich die Welt durch Finanzkrise, Revolutionen und die Verbreitung des Internet radikal wandelte und die Bundesrepublik sich endlich als Einwanderungsland zu begreifen beginnt. Allein 2008 waren von den 82 Millionen Einwohnern der Bundesrepublik 15 Millionen Migranten. Als Minorität sind sie hochsensibilisiert für Akzeptanz und Aufgenommensein, das Gefühl der Beheimatung. Das trifft auch den Kern jüdischer Erfahrung. „Heimatkunde. 30 Künstler blicken auf Deutschland“ ist also eine Bestandsaufnahme, die der heiklen Suche nach einer nationalen Identität mit Bildern, Filmen, Installationen begegnet.

Während Julian Rosefeldts Filminstallation ein ironisches Panorama der Deutschtümelei entwirft und den Schauspieler Lars Eidinger bei laufender Kettensäge Heines „Wintermärchen“ und Canettis „Masse und Macht“ zitieren lässt, lockt das Künstlerpaar Lilli Engel und Raffael Rheinsberg den Besucher trickreich in ein Heckenlabyrinth – Seligkeit und selbstgezüchtete Sackgasse des Laubenpiepers. Auch Via Lewandowsky und Durs Grünbein mokieren sich mit ihrer Installation über die deutsche Spießigkeit. In einem Wartesaal, wie man ihn aus Behörden kennt, raunt und flüstert es aus 37 Lautsprechern, Fliegen brummen, Butterbrotpapier knistert, schweres Atmen.

Die Ausstellung gewinnt dort an Dringlichkeit, wo sie sich mit der Heimat als Schicksal beschäftigt. Maziar Moradi porträtiert in seiner Fotoserie „Ich werde deutsch“ Menschen an einem Wendepunkt ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik. Ein junger Mann steht mit Papieren in der Hand vor einem Maschendrahtzaun, hinter dem eine LufthansaMaschine in den Himmel steigt, eine Frau führt ein nächtliches Telefongespräch neben einem leeren Ehebett, eine junge Schwarze träumt sich inmitten ihrer Puppensammlung weit weg. Im Kopf des Besuchers spulen sich Dramen ab, Filme ohne Happy End.

Während der iranische Fotokünstler Moradi vor allem düstere Bilder für sein Deutschwerden findet, erzählen die beiden Schwestern Anny und Sibel Öztürk – die eine in Istanbul, die andere im baden-württembergischen Eberbach geboren – die Geschichte ihrer Beheimatung vor einem zeitpolitischen Hintergrund: „Das Leben, das Universum und der ganze Rest“. Auf eine Fototapete mit Motiven von 1968 bis zum Mauerfall haben sie kleine Gemälde mit familiären Momentaufnahmen appliziert. Für sie bedeutet Heimat gedoppelte Erfahrung, der New Yorker Arnold Dreyblatt dagegen spürt vor allem Verlust. In der Ausstellung präsentiert er seinen 1963 eigens für einen ursprünglich einjährigen Deutschland-Aufenthalt gebauten Reisekoffer, dazu Dokumente seiner russisch-deutsch-amerikanischen Familienvergangenheit. Heute lebt der Archivalienkünstler in Berlin und lehrt in Kiel.

Lesen Sie auf Seite 2: Groteskes Theater, teutonisches Pathos, wehmütige Erinnerung

Die Ausstellung versucht Neues und bleibt doch dem großen Museumsthema treu, indem immer wieder jüdische Geschichte eingeflochten wird. Von Emily Hass stammen die Berliner Grundrisse von Häusern in der Altonaer Straße, wo ihr Vater bis zu seiner Flucht 1938 lebte. Maya Zack baut aus den Erinnerungen von Manfred Nomburg, der im gleichen Jahr die Stadt verlassen musste, am Computer Bilder des einstigen Wohnzimmers seiner Familie, die der Besucher mithilfe einer 3-D-Brille durchwandern kann. Der Filmkünstler Clemens von Wedemeyer inszeniert den Moment des Weggangs russischer Juden als groteskes Theater, indem er die Befragung durch Beamte, die Ausweiskontrolle und den Gang durch die elektronische Schranke im Berliner Brachland nachspielen lässt – genau so, wie sie heute täglich im deutschen Konsulat in Moskau über die Bühne geht.

Die Brüchigkeit des Begriffs Heimat zeigt sich in allen Spielarten: ob im neuen teutonischen Pathos, in Gestalt von Abschiebungsangst oder wehmütiger Erinnerung. Eine klare Definition gibt es nicht, von Künstlern schon gar nicht. Eher ist es ein Gefühl, das sie mit ihren Werken zu vermitteln versuchen. Dabei erstaunt nicht, dass sich dies am ehesten mit Musik transportieren lässt. Der hingebungsvolle Gesang türkischer Jugendlicher, die Nevin Aladag mit der Nachtkamera filmte, geht zu Herzen. Paul Brody komponierte auf die Erzählung von fünf Migranten, wie sie nach Deutschland kamen, eine eigene Musik. So berichtet der Schweizer Filmemacher Dani Levy, wie er in Berlin landete, als wär’s ein fremder Planet. Ihm half dann die Liebe.

Jüdisches Museum, Lindenstr. 9-14, bis 29.1.; tägl. 10-20, Mo. -22 Uhr. Katalog (Hirmer) 24,90 €.

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