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Filmkritik: Kunst und Macht: Oskar Roehlers "Jud Süß"

Geschichte als Kolportage: "Jud Süß – Film ohne Gewissen" hat weniger ein Problem mit der Ethik als Ästhetik.

Gefallsüchtig sind sie, eitel und ohne jedes moralische Rückgrat. Für eine Traumrolle verkaufen sie dem Teufel ihre Seele. Alles Rampensäue. Soweit das Stereotyp.

In Oskar Roehlers Film sieht das so aus: Erst schleudert Ferdinand Marian (Tobias Moretti) dem Propagandaminister einen Kristallaschenbecher vor die Füße, dann lässt er sich bei Goebbels’ Empfang als künftiger Titelheld in Veit Harlans „Jud Süß“ feiern. Erst die brüske Ablehnung, dann der Kotau vor den Nazis – Hauptsache ein Auftritt mit Aplomb.

Nach historiengetreuen Filmen wie „Der Untergang“ oder „Speer und Er“, nach der Komödie „Mein Führer“ und Tarantinos Burleske „Inglourious Basterds“ denkt das Kino über die eigene NS-Verstrickung nach. Ferdinand Marian stellte im perfidesten Nazi-Hetzfilm den Wucherer und Vergewaltiger Jud Süß dar. Was mag Marian empfunden haben, als sich so böse auswirkte, dass er gut spielte? Dass jenes von 20 Millionen Deutschen gesehene, raffiniert inszenierte und prominent besetzte Machwerk von 1940 Ausschreitungen gegen Juden provozierte, bei KZ-Wärtern und Besatzungstruppen im Osten? Trägt der Schauspieler Verantwortung oder liegt sie ganz bei der Regie? Veit Harlan sagte später vor Gericht, er sei zu „Jud Süß“ gezwungen worden – und wurde zwei Mal freigesprochen.

Oskar Roehler möchte den Schuldkomplex zuspitzen, indem er dem Schauspieler eine halbjüdische Frau (Martina Gedeck) andichtet, die im KZ umkommt, und einen jüdischen Freund (Heribert Sasse), der Marian nach dem Krieg blutig prügelt, gemeinsam mit anderen KZ-Überlebenden. Das hatte Roehler bei der Berlinale-Uraufführung den Vorwurf der Geschichtsfälschung beschert, auch vom Marian-Biografen Friedrich Knilli.

Der wirkliche Marian, ein charmanter, etwas schmieriger Wiener Parvenu, der im Nazi-Film oft den Typus des südländischen Bonvivants verkörperte, wollte nach der widerwillig angenommenen Rolle zwar weg vom „Jud Süß“-Image, trat jedoch in weiteren NS-Filmen auf und hatte die Spielerlaubnis bereits wieder in der Tasche, als er 1946 betrunken gegen einen Baum fuhr. Im Film dagegen wird er von den Nazis fallen gelassen, als er die Mitarbeit zu propagandistischen Zwecken verweigert, und zerbricht am eigenen schlechten Gewissen. Bei Roehler ist der Unfall ein Selbstmord.

Roehlers freier Umgang mit den Fakten spitzt den Gewissenskonflikt allerdings weniger zu als dass er ihn abmildert. Wer mit dem Teufel paktiert, um die eigene Frau zu retten, dem verzeiht man leichter. Gravierender wäre die Moralfrage doch ohne die Erpressbarkeit wegen der jüdischen Gattin. In Wahrheit, so steht es in Knillis Biografie „Ich war Jud Süß“ (Henschel-Verlag), konnte Goebbels Marian wegen seiner kleinkriminellen Vergangenheit unter Druck setzen.

Das Problem ist jedoch weniger die Ethik als die Ästhetik. Schon in der Eingangsszene auf dem Theater, in der Marian Shakespeares intriganten Einflüsterer Jago spielt, tritt er in schwarzem Fetisch-Lack auf. Harlans „Jud Süß“ war Kolportage, spekulatives Spiel mit Stereotypen. Roehler setzt noch eins drauf. Er will das Schmierentheater persiflieren, mit Lack und Leder, farbentsättigten NS-Filmdekors und trivialisierter Melodramatik. Charlotte Knobloch, Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, hatte dem Film bei der Berlinale Antisemitismus vorgeworfen. Zu Unrecht, denn er verharmlost weder die Shoah, noch karikiert er die jüdischen Figuren auch nur einen Deut mehr als das übrige Personal.

Aber auch Kolportage will gekonnt sein. Moretti hat das Zeug zu einem zutiefst zwiespältigen Helden, aber Roehler ist nicht Tarantino – seine Bizarrerien bleiben brav. Moritz Bleibtreu gibt einen die rheinische Frohnatur wie ein Karnevalsszepter vor sich hertragenden Knallchargen-Goebbels. Die bei der Berlinale ausgebuhte Sexszene mit Gudrun Landgrebe vor feurigem Berliner Bombennachthimmel kann als Karikatur des NS-Exploitation-Genres durchgehen. Aber die Jüdin, die in Auschwitz Gräben aushebt und aus Protest ein jiddisches Lied singt: Ist das nun beabsichtigte oder unfreiwillige Holocaustfolklore?

Überhaupt chargieren alle, ob Martina Gedeck als verzweifelte Gattin, Milan Peschel als Werner Krauß, der bei Harlan sämtliche jüdische Nebenrollen übernahm, oder Armin Rhode als Heinrich George in der Rolle des lüsternen Herzogs. Für eine erhellende Erkenntnis über die NS-Bilderwelt oder unsere heutigen Vorstellungen der Welt damals sorgen diese Übertreibungen jedenfalls nicht.

Und dann schwankt der Film auch noch zwischen Camp und historical correctness, etwa bei den detailgetreuen Nachinszenierungen des Harlan-Films oder dem Zitat eines Jungkritikers namens Michelangelo Antonioni, dem „Jud Süß“ auf dem Filmfest Venedig gefiel. Und er schwankt zwischen Tragödie und Groteske, dem Mitgefühl für das Dilemma des Staatskünstlers und der Lust, sich darüber zu mokieren. Derart unentschlossen, gewinnt der Film etwas Läppisches und überhebt sich an seinem Sujet.

Verwirrend genug ist die Chose ohnehin. Der jüdische Kaufmann Joseph Süß Oppenheimer war ein Finanzgenie, der für Herzog Karl Alexander den württembergischen Staat sanierte und nach dessen Tod 1738 kaltblütig hingerichtet wurde. Schon die Konturen der historischen Figur sind im Gestrüpp der Fiktionalisierungen von Wilhelm Hauff über Feuchtwanger bis Harlan kaum noch auszumachen. Nun verschwindet auch noch Ferdinand Marian hinter den Bildern eines NS-Films, der bis heute nur mit begleitenden Erläuterungen gezeigt werden darf. Und hinter der am Ende bemitleidenswerten Figur in Roehlers Film.

Wenn die Wirklichkeit irritierender ist als ihre Kinoversion, dann hat das Kino seine Möglichkeiten verschenkt.

Ab Donnerstag in zehn Berliner Kinos

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