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Mythos im Museum: Drama im Panorama

Das neue Bild der Antike: Die Pergamon-Schau auf der Museumsinsel gewährt einen Einblick in eine längst vergangene Zeit.

Der Boden unter den Füßen schwankt leicht, wenn man oben auf der Aussichtsplattform steht, im Panorama-Rundbau vor dem Pergamonmuseum auf der Berliner Museumsinsel. Es ist wichtig, sich zu vergewissern, wo man sich befindet – denn hier, in dieser neuen Ausstellung über eine antike Polis, einen blühenden Stadtstaat, seine Kunstsammlungen und Kulturpolitik, verschieben sich die Maßstäbe. Das Bild von Pergamon ist nachher nicht mehr so, wie man es zu kennen glaubte.

Die Museumsinsel ist das Zentrum der Berliner Kulturlandschaft, und der Pergamonaltar darf als ihr Herzstück gelten. Pergamon, das war vor allem immer der Altar, Pars pro Toto. Pergamon war und ist Mythos, ein sehr deutscher übrigens. Das Wilhelminische Reich, noch jung und gierig nach Gründungsgeschichten, schmückte sich mächtig mit den Ausgrabungserfolgen des Ingenieurs Carl Humann, der zwischen 1878 und 1886 in der heutigen Türkei die Hauptstadt der Pergamener freilegte. Für die Funde wurde ein eigenes Museum in Berlin gebaut, so stolz war man auf die Entdeckung, die gewaltiges Prestige einbrachte gegenüber den Engländern und Franzosen, den europäischen Erzfeinden. Es sind nur noch wenige Jahre bis zum Ersten Weltkrieg.

Dieses Gefühl des Schwankens hat mit dem Aufstieg im Panorama-Zylinder zu tun, auf fünfzehn Meter Höhe. Die Bildfläche selbst ist 24 Meter hoch und misst im Umfang über hundert Meter. Yadegar Asisi nennt sich Panoramakünstler, er hat die Spektakeltechnik des 19. Jahrhunderts in 21. Jahrhundert transferiert. Der Effekt ist überwältigend. Die Landschaftsaufnahmen in Bergama, wie der Ort heute heißt, sind gesampelt mit der Ansicht des antiken Burgbergs und der Unterstadt, jeder Baum hat sein Eigenleben. Die Lichteffekte wirken berauschend, hier spielt jemand Gott. Der Blick reicht bis ans 30 Kilometer entfernte Meer. Zu der fraglichen Zeit lebten an die 80 000 Menschen in Pergamon. Asisi hat sein Illusionswerk auf wissenschaftliche Darstellungen gegründet, aber es ist auch viel leichthändige Fantasie im Spiel, vor allem wie er die Plätze, Grünstreifen, Gebäude mit Menschen bevölkert. Das erinnert an Toga- und Sandalenfilme – und daran, dass es stets ein Bild ist, das wir uns von der Antike machen, mit den jeweils vorhandenen technischen Möglichkeiten und nach den ideologischen Bedürfnissen.

Asisi zeigt ein Pergamon, wie es sich Anno Domini 129 dem Betrachter sehr wahrscheinlich dargeboten hat. Als Reichsgründer gilt Philetairos, der Sohn eines Makedonen, er lebte von 343 bis 263 vor Christus. Also ist in der Ausstellung „Pergamon – Panorama der antiken Metropole“ ein Zeitraum von bald 500 Jahren erfasst, und schon davor war der Ort besiedelt, der sich später zu einem zweiten Athen, einer Konkurrentin von Alexandria aufschwingen sollte. Vor der Entdeckung des Pergamonaltars, der aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. stammt, galt diese Phase als wenig interessant und eher minderwertig im Vergleich zur athenischen Klassik.

Was da schwankt, hat mit der Konstruktion des Panoramaturms zu tun – aber mehr noch ist es die sinnliche, intellektuelle Faszination, das Haptische des 360-Grad-Blicks, der unterhalb des Burgbergs auf den Tempel stößt, mit dem Altar. Aber was für ein Schreck! Die Götter und Giganten auf dem Fries sind bunt bemalt, sie waren ja nie monochrom und „klassisch“ weiß. Keine neue Erkenntnis, aber es wird immer wieder verdrängt.

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Asisis Wunderwerk bedeutet einen digitalen Angriff auf die Steine. Man geht unter dem zauberischen Eindruck einer animierten Vergangenheit anschließend in die Ausstellungsräume, wo noch vor einigen Wochen die „Geretteten Götter von Tell Halaf“ wohnten und thronten; auch sie Kunststücke der Rekonstruktion, wiedergewonnene Geschichte.

Hier erreicht man wieder festeren Boden. Es geht bei dem Rundgang erst einmal um die Geschichte der Ausgrabungen, die Fundteilung wird dokumentiert. Eine schöne Geste: Die gesamte Schau ist dreisprachig beschriftet, auf Deutsch, Englisch und Türkisch. Die eigentliche Ausstellung geht naturgemäß ins Detail. Gefäße, Werkzeug, Helme, Waffen, Münzen mit Porträts der Attaliden, der Herrscherdynastie von Pergamon. Vor allem die großen Bildwerke zeigen die Eleganz dieser Stadt, die berühmte Künstler anzog, eine legendäre Bibliothek besaß und eine Menge bei Kriegszügen erbeuteter Kunst in ihren Mauern hatte. Die Herrscher von Pergamon bauten ihren Ruhm hauptsächlich auf die Siege gegen die von Norden anrückenden Galater. Die berühmte Skulptur des „Sterbenden Galliers“ ist hier mit einer Kopie vertreten, das Original befindet sich im Kapitolinischen Museum in Rom. Unter Kaiser Trajan erlebte Pergamon noch einmal eine große Zeit; auf diese Epoche bezieht sich ja auch Asisis Panorama.

Hunderte Stücke, vom kleinen BronzeSatyr und einem kykladisch anmutenden weiblichen Idol bis zur großen, stadt- und staatstragenden Athena-Skulptur, sind in diesem Zusammenhang zum ersten Mal zu sehen. Das Forschungsprojekt „Skulpturennetzwerk“, das die Ausstellung mit einschließt, macht Inventur überall, wo in Berlin Antiken und Abgüsse lagern. Auf diesem Weg ist Pergamon wieder auf die Landkarte gekommen, umfassend, nicht nur als Präfix des Altars.

Man sieht ihn nun anders – oder vielleicht zum ersten Mal. Er wirkt nach dem Panorama-Schock und der guten Informationsfülle der Ausstellung zugleich größer und kleiner. Er ist naturgemäß nicht farbig und noch deutlicher als Rekonstruktion zu erkennen. Wie hat die Gigantomachie Künstler und Schriftsteller beschäftigt! Peter Weiss, der in seiner „Ästhetik des Widerstands“ dem Altar ein sprachliches Denkmal setzte, mit seinen steinernen Satzkaskaden, ist in Vergessenheit geraten. Und von den Göttern, die in mythologischer Vorzeit den Kampf mit den Giganten gewonnen haben, blieben auch nur die ausdrucksstarken, vor Kraft berstenden Torsi, in deren Verschlingungen Sieger und Besiegte kaum zu unterscheiden sind.

Da aber die Zeit immer Siegerin bleibt, kann man ohne Übertreibung vorhersagen: Diese multimediale Vergegenwärtigung einer antiken Metropole wird das Geschichtsbild für die nächsten Jahrzehnte prägen. Die malerisch-zeichnerischen Darstellungen der Stadt, die in den 1870er- und 1880er-Jahren entstanden sind, wirken heute selbst wie Altertümer. Schon 1886 war es ein monumentales Halb-Panorama, das Pergamon so populär gemacht hat. Die Antike war immer schon ein Reich der Fantasie. Sie füllt die Hohlräume der Gegenwart aus.

„Pergamon – Panorama der antiken Metropole“, Pergamonmuseum, bis 30. September 2012. Informationen: www.pergamon-panorama.de. Begleitbuch zum Asisi-Panorama 20 Euro, Katalog zur Ausstellung 39, 95 Euro

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