zum Hauptinhalt

Kate Moss: Das nackte Leben

Ich, Kate Moss. Ich, die keine Angst mehr hat vor einer Retrospektive. Oder jedenfalls fast keine. Ein Bildband huldigt einem Supermodel, das immer auch die Muse ihrer Fotografen war.

Doch, es gibt auch Text in dem Buch. Ein Vorwort zum Beispiel, in dem sie sich ganz unglamourös als „willige Mitarbeiterin“ ihrer Fotografen bezeichnet, die „niemals Erwartungen enttäuschen will“ – etwa, wenn es darum geht, gemeinsam jene Mode-Kunstfiguren zu entwickeln, bei deren Anblick ziemlich vielen Menschen schon mal der Atem stockt. Oder auch das beiläufige Freundinnengeplauder mit der Castingdirektorin Jess Hallett – mit ein paar hübsch hingefetzten Sätzen für Celebrity-Journalisten. Die klingen zum Beispiel so: „Jede Nacht Party, kaum Schlaf, das könnte ich nicht mehr, das war echt krank.“

Kate Moss, inzwischen 38 und immer noch bombig im Schönheitsbombengeschäft, blickt in großem Stil zurück: Erst war sie niemand und ganz früh oben und kurz fast wieder niemand und danach erst recht wieder oben und da ist sie jetzt seit längerem schon. Am Anfang die Ikone des Heroin chic, dann die Freundin von Johnny Depp und später von Pete Doherty und Feierbiest sowieso und Ex und Ex und Ex. Und gekokst hat sie, sagte der „Daily Mirror“ so lange, bis die Ermittlungen eingestellt wurden, und die großen Marken sprangen ab und wieder an, und Mutter einer zehnjährigen Tochter ist sie auch. Was man so weiß. Was man so zu wissen meint. Und was Kate Moss so auslacht, nebenbei. Schon im Vorwort zu ihrem ersten Fotobuch, da war sie 21 und ein paar Jahre weltberühmt, stand der Seitenhieb auf „Leute, die umso weniger von mir sehen, je mehr sie von mir zu kennen glauben“. Und tschüss.

Der Rest sind Fotos. Riesige Fotos im Riesenbuch „Kate: Das Kate Moss Buch“. Fotos, die keine Buchstaben neben sich dulden (die knappen Infos finden sich auf den letzten Seiten). Fotos über Fotos, unchronologisch, scheinbar unsortiert. Eine Frau macht ihre Bilderschränke leer, kippt Schubladen aus, sitzt auf der Bettkante und guckt auf den Teppich namens Ich. Ich, Kate. Ich, die Erwachsengewordene. Ich, Kate Moss. Ich, die keine Angst mehr hat vor einer Art Retrospektive. Oder jedenfalls fast keine.

Sie war sechzehn. Durch Corinne Days Serie in "The Face" wurde Kate Moss 1990 weltberühmt.
Sie war sechzehn. Durch Corinne Days Serie in "The Face" wurde Kate Moss 1990 weltberühmt.

© Schirmer/Mosel

Und dann ist da doch eine Dramaturgie. Das Nackte zu Anfang: Hier habt ihr mich, ganz Körper und gar nicht, guckt, wohin ihr wollt. Nur dass das Gesicht dabei so angezogen wie möglich wirkt, zugerichtet von Hairstylisten, Make-up-Artisten, Visagisten, Wissenschaftlern des Arrangements. Beim Weiterblättern aber wendet sich das. Der Körper angezogener, dafür im Gesicht das nackte Leben, bis zurück in die wilden Gelächteranfänge des Mädchens, das von seiner Zukunft nicht weiß. Dann: groteske Übermalungen, Überbastelungen, Künstler-Kapitulationen vor der Makellosigkeit der Natur. Und reichlich Platz für Photoshoppografen, die in Orgien von Buntheit schwelgen, dienstliche Karnevalisten im Tanz um die kostbar kostümierte Kate, ihren Gegenstand.

Männliche Fotografen können das, lieben das. Geblendet von Oberfläche, erfüllt sich ihnen Wesen in Erscheinung. Mert Alas, Marcus Piggott, Mario Testino, Steven Klein, David Sims, auch Mario Sorrenti, der Lover ihrer frühen Jahre, der 1993 die legendäre Calvin-Klein-Kampagne fotografierte. Frauen gucken anders, oder guckt Kate Moss anders in das Objektiv einer Frau? Corinne Day hat viele der umwerfendsten Fotos gemacht und die erste, unübertroffene Serie 1990 in „The Face“ sowieso. Oder auch Annie Leibovitz: eine seltene Totale in einer verrotteten Halle und ihr Blick auf all die Männer und die paar Frauen, die an der industrialisierten Entstehung eines Modefotos beteiligt sind. Und Kate Moss auf einmal nur jemand, jemand in der Mitte.

Eine Ausnahme gibt es unter den Männern: Juergen Teller – ob in den Anfangsjahren oder auch in den späteren, als dieses Gesicht, dieser Körper anderen fast nichts mehr preisgibt. In seinen immer atemberaubenden Bildern, knapp 20 sind in dem gewaltigen Band verstreut, ist zu erkennen, dass sich da ein Mensch verbraucht. Und sich gerade dadurch bewahrt, dass er sich verbraucht. Tellers Fotos treibt meist eine leicht überbelichtete Unschärfe, nicht aus Milde, sondern aus einer Ahnung heraus, dass diese so strahlende Gestalt allenfalls im Vorbeigehen, ja, im Entgleiten zu erfassen ist. Wer fokussiert, hat schon verloren. Die noch so sorgfältige Komposition: ein Missverständnis für andere.

Drei Jahre danach, voller Künstlichkeit. Patrick Demarcheliers Aufnahme 1993 für "Harper's Bazaar".
Drei Jahre danach, voller Künstlichkeit. Patrick Demarcheliers Aufnahme 1993 für "Harper's Bazaar".

© Schirmer/Mosel

Diese Bilder – nicht die, die dem Buch den spektakelhaften Rahmen geben – werden einst bleiben von einer Schönheit namens Kate Moss, die schöner war als Marilyn Monroe oder Brigitte Bardot, aber nie zur Künstlerin wurde, sondern „willige Mitarbeiterin“, manche sagen auch Muse dazu, ihrer Mode-Fotografen blieb. Fotos, in denen ein selbstbewusstes, verletzliches Sommersprossengesicht von unerhörter Jugend kündet. Also von Vergänglichkeit.

Kate: Das Kate Moss Buch. Hrsg. von Fabien Baron mit Jess Hallett und Jefferson Hack. Schirmer/Mosel Verlag, München 2012. 448 Seiten, 78 €.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false