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© Doris Spiekermann-Klaas

Musikapparate: Sound als Schicksal

Der Berliner Künstler Moritz Wolpert hat seine elektromechanische Klangmaschine weiterentwickelt. Die "Schaltzentrale" präsentiert er live - und im Internet.

Die Qualle steigt aus einer Opiumpfeife nach oben, ihre Tentakeln wabern durch den Raum, Luftblasen steigen auf. Ein U-Boot schwimmt vorbei, mit seinen beiden großen Bullaugen sieht es aus wie die „Nautilus“ von Jules Verne. Es ist ein Meerbild, ein Rauschbild, das der Künstler Moritz Wolpert mit Säure in die Messingplatte geätzt hat, die die Rückwand seines Meisterstücks bildet.

Die „Schaltzentrale“, ein prächtig ziselierter, hüfthoher Holzkasten mit unzähligen metallenen Knöpfen und Buchsen, steht auf einem Tisch in Wolperts Atelier im Haus Schwarzenberg. Sie ist das neue Herzstück, letztlich die riesige analoge Fernbedienung eines Ensembles aus elektromechanischen Klangmaschinen, an denen der 43-Jährige seit sieben Jahren arbeitet. Die fließenden, meditativen Sounds der halb nostalgisch, halb futuristisch anmutenden Instrumente haben ihn zu dem Quallenbild inspiriert.

Vor vier Jahren hat Wolpert einen ersten Versuch präsentiert. Ein System aus miteinander verschalteten Rhythmusgeräten erlaubte es ihm, sich am Schlagzeug selbst zu begleiten. Zwei Jahre später wurde eine Weiterentwicklung fertig, das Multifunktionsinstrument „Heckeshorn“ – in seiner Form der „Nautilus“ ähnlich – mit Mandolinenhals und Spieluhr, Tonabnehmern und automatischem Xylofon, sowohl programmierbar als auch traditionell mit Schlegeln zu bespielen. „Und jetzt, mit der Schaltzentrale“, sagt Wolpert, „ist die Maschine fertig.“

Für ihn ist eine Vision Wirklichkeit geworden. Die Gestaltung der Schaltwand mit ihren über 100 Drehknöpfen und Griffen hat sechs Monate gedauert, Wolpert hat alles von Hand beschriftet, verziert und geätzt. In seinem von Werkzeug und Material überquellenden Atelier im Haus Schwarzenberg stehen zwei alte Drehbänke. Vorkriegsmodelle, Wertarbeit. Sie passen zu Wolperts Kunst, die vom Recyclinggedanken lebt: „Manche Dinge brauchen einfach Zeit.“

Für das elektrische Innenleben der Apparate ist Wolperts Musikerkollege Christian Günther zuständig. „Ohne Christian hätte ich das alles nicht gebaut.“ Günther ist derjenige, der die komplizierte Technik durchschaut, die Schaltpläne, die „Millionen Kabel“. Der schüchterne Tüftler hat auch eine Reihe eigener Wundermaschinen konstruiert, ein mechanisches Glockenspiel etwa oder den „Mandalamaten“, der Rhythmen in wabernde Lichtkreise verwandelt.

Wolpert und Günther haben sich vor neun Jahren kennengelernt, da war Wolpert schon lange in der Szene unterwegs, kurz vor der Maueröffnung kam er aus Bremen nach Berlin. Hat Schlagzeug gespielt, Konzerte veranstaltet, Kunst gemacht. Holzschnitte, Porträts in kräftigen, schwungvollen Linien. Für die „Bar jeder Vernunft“ hat er ein Musicalplakat zu „Cabaret“ gestaltet – und dann gleich noch als Schlagzeuger angeheuert. 560 Aufführungen hat er begleitet, „My Fair Lady“ im Admiralspalast kam dazu.

Das ist jetzt erst einmal vorbei. Im Moment lebt Wolpert für seine Maschine. Die Trommeljobs seien kreativ ziemlich unbefriedigend gewesen, sagt er. Andererseits hätten die Musicals ihm die Arbeit an der Maschine überhaupt erst ermöglicht. Ein Kontakt führte zum nächsten. „Das war alles sehr schicksalsgeladen.“ Am Anfang war da nur – inspiriert von Günther – die Idee, eine Musikmaschine zu bauen. Einfach, um als Musiker unabhängig zu sein. Es gab Skizzen, ein Modell. Aber erst, als Wolpert über eine „Cabaret“-Kollegin einen Mechaniker kennenlernte, der ihm beibrachte, wie man dreht und fräst und Zahnräder fertigt, konnte er wirklich anfangen.

Unabhängigkeit ist längst nicht mehr Wolperts Thema. Im Gegenteil. Sein Traum ist es, sich mit allen anderen Medien – „von manuell über mechanisch bis analog“ – zu verbinden. Und das dann zu digitalisieren. Alles spielt mit allem, eine große musikalische Entgrenzungsfantasie. Am Ende soll die Maschine interaktiv über das Internet bedienbar sein.

Eigentlich ginge das jetzt schon, „man müsste nur einen Digitalwandler davorschalten“, außerdem wäre entsprechende Software nötig. Den ersten Schritt ins Netz geht Wolpert am Mittwoch. Zusammen mit Christian Günther und einer Reihe anderer Musiker spielt er ein Konzert, das online übertragen wird. Ein Experiment, ein Techniktest – und zugleich eine Aufnahmesession. Irgendwann soll es schließlich ein zweites Album geben.

Das erste heißt „Orbital“ und ist vor kurzem bei dem Londoner Label Art Yard erschienen. Wolpert hat es zusammen mit Günther, dem Soundbastler Alexander Christou und dem Produzenten Thomas Stern unter dem Bandnamen „Berliner Ring“ aufgenommen. In seiner Maschine stecke ein Kosmos, hat Wolpert einmal gesagt. Das hypnotisch monotone Sounduniversum des Quartetts erinnert den Rezensenten des Popmagazins „Spex“ an „verwackelte Super-8-Filme, welche Streifzüge durch die Sperrzonen stillgelegter AKWs dokumentieren oder von flackernden Neonröhren erhellten Sichtbeton zeigen“.

Musik also, die Assoziationsräume öffnet – und die in die Glieder fährt. Am besten lässt sich das live erleben, etwa am 8. August im Haus Schwarzenberg. Hier präsentiert Wolpert die „Schaltzentrale“, der „Berliner Ring“ bespielt auf mehreren Bühnen den gesamten Hof, Gastmusiker treten auf, eine Sängerin improvisiert, es gibt Videoeffekte. Ein großes Finale soll es werden – auch wenn es sicher nicht das letzte gewesen sein wird.

Denn die Maschine lebt. Als Nächstes will Wolpert eine Glockenorgel anbauen. Einen Satz selbst hergestellter Klangschälchen, 18 Stück zunächst, eine Oktave mit Zwischentönen, über die Zentrale programmierbar. Unten an dem großen Kasten sind noch einige Stellen frei, das Messing schimmert matt. Hier könnten noch einige Buchsen und Knöpfe hin. Wolpert hat extra Platz gelassen.

Am Mittwoch, den 29. Juli ab 23 Uhr sowie am Donnerstag, den 30. Juli ab 21 Uhr spielen Moritz Wolpert und der „Berliner Ring“ ein Internet-Konzert, das auf www.anderebaustelle.com kostenlos verfolgt werden kann. Am Samstag, 8. August, gibt es ab 21 Uhr eine Live-Performance im Haus Schwarzenberg, Rosenthaler Straße 39 (Mitte). Eintritt: 7 Euro. Weitere Informationen unter www.mowolpert.de und www.myspace.com/moritzwolpert.

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