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Stummes Mahnmal. Aus Abfällen von Baustellen, auf denen Wanderarbeiter schuften, schuf Xu Bing diese Phönixe, auch als Symbol für die Kluft zwischen Arm und Reich.

© Joerg Wohlfromm

Kunst aus China auf der NordArt: Phönix aus Schrott

Xu Bing und andere Künstler aus China überraschen auf der NordArt in Büdelsdorf bei Rendsburg

Bevor dieser Vogel in die Lüfte steigen kann, müssen erst einmal Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden. Denn der Phönix wiegt stolze acht Tonnen. Der chinesische Künstler Xu Bing hat gleich zwei gigantische Vögel kreiert, deren massige und doch elegante Körperteile nicht aus Knochen und Federn, sondern aus Schrott bestehen. Allerdings bemerkt man das erst auf den zweiten Blick, denn trotz des stolzen Gewichts und 30 Metern Länge wirken die riesenhaften Vögel erstaunlich grazil.

Xu Bing hat sich bei allem bedient, was man auf Schrottplätzen finden kann: Der Kropf des einen Phönix besteht aus einem Bündel großer, roter Eisenhaken, wie sie bisweilen an Kränen hängen. Sein Kamm besteht aus blutroten Plastik-Bauhelmen – der wohl leichteste Teil des Vogels. Im eisernen Schnabel trägt er einen Laptop, die Federn seines Artgenossen bestehen aus wie Schuppen aneinandergelegten Schaufeln.

Aber bei den Flanken und an den Krallen musste der Konzeptkünstler Xu Bing improvisieren – die schweren Baggerschaufeln und Seitenteile sind hohl, nachgebaut. Denn sonst wären die drachenartigen Vögel noch um ein Vielfaches schwerer geworden, dann hätten sie wohl jedes Dach zum Einsturz gebraucht.

Im Moment hängen die Phönixe, mit dicken Stahlseilen an der Decke befestigt, in einer der alten Hallen der ehemaligen Carlshütte, in der die Ausstellung NordArt stattfindet. Die NordArt in Büdelsdorf bei Rendsburg kann man sich vorstellen wie die entspanntere und weniger prätentiöse Schwester von Biennale und Documenta – die, obwohl sie seit 19 Jahren besteht – immer noch als Geheimtipp gilt. Arbeiten von Künstlern aus aller Welt werden bis zum 8. Oktober auf dem insgesamt 80 000 Quadratmeter großen Ausstellungsgelände, das auch einen großen Park umfasst, gezeigt.

Die diesjährigen Stars der NordArt sind zweifellos Xu Bings Phönixe, die in acht großen LKWs von der Biennale aus Venedig nach Büdelsdorf rollten. Aber die Show stehlen sie den anderen rund tausend Ausstellungsobjekten trotzdem nicht.

Mit China verbindet die NordArt eine besondere Beziehung: Seit zehn Jahren präsentieren dort regelmäßig chinesische Künstler ihre Werke. Das bedeutet für die Kuratoren eine enge Zusammenarbeit mit den Künstlern, aber auch mit der chinesischen Botschaft – eine Zusammenarbeit, die laut Kuratorin Inga Aru einvernehmlich und produktiv ist.

In diesem Jahr zeigt NordArt mit „World by World“ eine chinesische Extra-Ausstellung mit Arbeiten von 21 vorwiegend jungen Künstlern aus Shenzhen, darunter auch einige bisher unbekannte Namen. Die Bandbreite umfasst so ziemlich alles, was in der bildenden Kunst möglich ist: LSD-hafte Aquarelle, mystisch wirkende Utopielandschaften, die in einem Gestell von der Decke hängen und in Pink und Dunkelblau schimmern, Architekturzeichnungen, Skulpturen – hier zeigt sich die enorme Vielfalt der jungen chinesischen Kunstszene. Und genau die will „World by World“ vorstellen.

Bings narbenübersätes Vogelpaar ist ein stummes Mahnmal

„Es geht darum, zu zeigen, dass der Fortschritt in China nicht nur in den Bereichen der Technisierung, Wirtschaft oder Industrialisierung stattfindet, sondern dass sich auch die moderne chinesische Kunst weiter entwickelt hat“, sagt Inga Aru. Die Kunstwerke stimmen nachdenklich, reflektieren Chinas aktuellen Boom. „Gerade in Deutschland ist chinesische Gegenwartskunst eher unbekannt“. Zwar haben die Werke vielleicht nicht die vor allem durch die Medien gehypte politische Schlagkraft eines Ai Weiwei, aber sie sind auf stille Art und Weise kritisch.

Die Phönixe von Xu Bing sind nicht aus Asche geboren, sondern aus Unmengen von Schrott aus Baustellen, auf denen Wanderarbeiter unter kaum erträglichen Bedingungen schuften müssen. Der Phönix ist in China ein Symbol für Wohlstand und Schönheit – Bings narbenübersätes Vogelpaar ist ein stummes Mahnmal für die sich weitende Kluft zwischen Arm und Reich, eine Erinnerung an die jahrtausendealte Kultur des Landes und gleichzeitig ein Zeichen von Würde, von Stolz. Eine ambivalente Stellungnahme des Künstlers, dessen Vögel eine weite Reise hinter sich haben: Sie wurden bereits im MoMa in New York ausgestellt und spiegelten sich im Wasser der Schiffshallen im Arsenale in Venedig.

Peng Libao: Buddhafiguren aus der Werkgruppe „Substanz“; zu sehen in der Ausstellung „World by World“ auf der NordArt 2017 in Büdelsdorf .
Peng Libao: Buddhafiguren aus der Werkgruppe „Substanz“; zu sehen in der Ausstellung „World by World“ auf der NordArt 2017 in Büdelsdorf .

© Annika Brockschmidt

Die NordArt erwartet in diesem Jahr rund 100 000 Besucher. Aus 4000 Bewerbungen aus der ganzen Welt hat das kleine Team von Chefkurator Wolfgang Gramm die diesjährigen Werke ausgewählt. Im Garten des weitläufigen Geländes der Carlshütte, der historischen Eisengießerei im Besitz der Unternehmerfamilie Ahlmann, können außerdem besonders spektakuläre Skulpturen der vergangenen Jahre betrachtet werden, wie etwa Liu Riowangs „Wölfe kommen“ – eine beeindruckende Installation, bei der ein gewaltiges Wolfsrudel sich zähnefletschend einem comicartigen, behelmtem Mann nähert, der sein Schwert zur Verteidigung hebt.

NordArt im Kunstwerk Carlshütte, Büdelsdorf, bis 8. Oktober 2017

Weitere Informationen: http://www.nordart.de/

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