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Tanz mit Rollenklischees: "Perfect Woman".

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Games-Week in Berlin: Tanz mit Rollenklischees

Noch bis Sonntag läuft in Berlin die International Games Week. Teil der Veranstaltung ist das Festival "A Maze", bei dem unabhängige Computerspielmacher ihre Werke präsentieren. Ein Gespräch mit Lea Schönfelder, die zusammen mit Peter Lu das Spiel "Perfect Woman" entwickelt hat.

Worum geht es in "Perfect Woman"?

"Perfect Woman" ist ein Spiel für die Bewegungssteuerung Kinect. Man ahmt bestimmte Tänze nach, und die Bewegungssteuerung erkennt, wie gut man das macht - dafür gibt es dann Punkte. Inhaltlich geht es um Folgendes: Man durchspielt das Leben einer Frau zwischen dem fünften und 85. Lebensjahr. Dabei kommt man immer wieder an Stellen, an denen man sich entscheiden kann, wer man denn gerne sein möchte. Im Alter von fünf Jahren kann ich mich zum Beispiel wählen, ob ich eine Prinzessin sein will, ein Straßenkind oder ein Wunderkind.

Wie wirkt sich diese Entscheidung aus?

Alle Entscheidungen, die man trifft, hängen zusammen. Wenn ich mit fünf Jahren zum Straßenkind werde und Street Dance übe, dann hat das Auswirkungen auf meine Zukunft. Wenn ich nämlich mit 34 Jahren in die High Society aufsteigen möchte, dann wird das vom Tanzen her deutlich schwieriger, weil ich früher Straßenkind war.

In "Perfect Woman" muss sich also im wahrsten Sinne des Wortes verbiegen, um gesellschaftliche Rollen auszufüllen...

Früher war die Rolle der Frau klar verortet, nämlich im häuslichen Bereich. Die Frauenbewegung der siebziger Jahre hat uns neue Türen geöffnet. Heutzutage können Frauen zumindest theoretisch alles werden, was sie wollen. Allerdings sind die alten Ansprüche damit noch lange nicht verschwunden. Zum Wunsch nach einer glücklichen Beziehung, einer intakten Familie und einem großen Freundeskreis gesellt sich der Wunsch nach beruflichem Erfolg, nach gutem Aussehen, nach Sportlichkeit und gesundem Leben. Da kommt man dann natürlich irgendwann in Bedrängnis. Wir wollen mit "Perfect Woman" keineswegs sagen, dass man das alles nicht gleichzeitig erreichen kann. Es geht mehr darum, sich selbst mehr zu verzeihen, wenn man nicht in allen Bereichen perfekt ist. Dass man vielleicht eine tolle Karriere hat, aber nicht so viele Freunde. Oder vielleicht eine glückliche Hausfrau und Mutter ist, die sich beruflich aber nicht voll ausleben kann.

Welche Bedeutung hat die Bewegungssteuerung Kinect für das Spiel?

Kinect war von Anfang an Teil der Spielidee. Sie erschien uns sehr gut geeignet, um bei Spielern ein Gefühl von Zerrissenheit hervorzurufen, das man auch im echten Leben vespürt, wenn man in allen Bereichen perfekt sein will. Man kommt im echten Leben unter Stress - und man kommt in "Perfect Woman" unter Stress, weil die Tänze immer komplizierter werden. Sie sind zwar noch zu meistern, aber das wird mit der Zeit extrem schwer.

Das Spiel ist bislang ein Prototyp. Gibt es schon einen Erscheinungstermin?

Einen Erscheinungstermin gibt es noch nicht, aber wir planen, das Spiel bald auf der Xbox One zu veröffentlichen.

Als Künstlerin arbeiten Sie mit verschiedenen Medien. Was ist das Besondere am Medium Computerspiel?

Das Schöne an Games ist, dass man eine künstlerische Meinung in Form eines Regelwerks ausdrücken kann. Das ist der Hauptunterschied zu Filmen und Büchern, die meist linear konsumiert werden. In Computerspielen tut man etwas und bekommt dafür direktes Feedback. Dadurch werden Zusammenhänge unmittelbar deutlich.

In Ihrem Spiel "Ulitsa Dimitrova" ist die Hauptfigur ein kettenrauchendes Straßenkind. Egal welche Entscheidungen man trifft - am Ende stirbt das Kind. Gehört zu einem Spiel nicht auch die Möglichkeit, das Ergebnis zu beeinflussen?

Für mich ist "Ulitsa Dimitrova" schon deswegen ein Spiel, weil es interaktiv ist. Man spielt das Leben des Kindes, man erkundet die Straße und tut verschiedene Dinge. Unter anderem kann man einen Mercedes-Stern klauen, um ihn auf dem Schwarzmarkt gegen Zigaretten einzutauschen. Die Wahlmöglichkeiten sind begrenzt, aber das ist auch bei anderen Spielen so. Grundsätzlich ist es ja immer der Game-Designer, der die Grenzen des Erlebbaren setzt. Selbst ein Open-World-Game wie Minecraft hat einen bestimmten Rahmen. Wenn ich als Game-Designerin festlege, dass das Straßenkind in "Ulitsa Dimitrova" immer stirbt, steckt dahinter natürlich eine Aussage. Nämlich die, dass das Leben für russische Straßenkinder extrem hart ist.

Lebensentwürfe im Spiel "Perfect Woman".
Lebensentwürfe im Spiel "Perfect Woman".

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"Ute" ist ein Spiel, das Sie an der Kunsthochschule Kassel entworfen haben. Worum geht es da?

"Ute" ist ein Flash-Spiel für Webbrowser. Die Protagonistin Ute läuft durch ein Labyrinth und trifft dort verschiedene Männer. Man kann diese Männer anklicken und erhält dann eine kurze Beschreibung, zum Beispiel "Che Guevara, 35 Jahre, Revolutionär". Man kann dann mit Che Guevara in eine Ecke gehen und Sex haben. Der Sex läuft als Minispiel ab: Wenn man die Tasten im richtigen Rhythmus drückt, bekommt man viele Punkte. Man muss aber aufpassen, dass währenddessen kein anderer Mann vorbeiläuft. Es ist nämlich so, dass alle Männer in Ute verliebt sind - wenn sie entdecken, dass Ute eigentlich mit allen Männern schläft, dann sind sie beleidigt und schlafen nie wieder mit ihr. Im Spiel gibt es insgesamt elf Männer, und weil immer zwei gleichzeitig ausfallen, bleibt zum Schluss einer übrig - den muss man dann heiraten. In "Ute" geht es also letztendlich darum, möglichst viel Sex zu haben und möglichst viele Punkte zu machen, bevor man heiratet.

Das Spiel bietet einigen Interpretationsraum...

Für mich ist "Ute" in erster Linie ein Spiel, das Spaß machen soll. Meine anderen Games haben da deutlichere Botschaften. Beim Spielen frage ich mich allerdings: Versteckt sich Ute vor den Männern, weil sie deren Herzen nicht brechen will? Oder ist sie einfach nur zu feige?

Die Animatorin und Game-Designerin Lea Schönfelder.
Die Animatorin und Game-Designerin Lea Schönfelder.

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Die Feministin Anita Sarkeesian beschäftigt sich in ihrer Youtube-Serie mit weiblichen Rollenklischees in Computerspielen. Sie musste dafür erhebliche Anfeindungen ertragen. Wie sexistisch ist die Computerspiel-Branche?

Es gibt schon noch einiges zu tun. In Computerspielen herrscht nach wie vor eine zu geringe Vielfalt - nicht nur bei der Darstellung von Frauen, sondern ganz generell bei der Darstellung von allen Menschen, die nicht weiß, männlich und amerikanisch sind. Als Game-Designerin bewege ich mich vor allem in der Independent-Szene, wo ich mich als Frau sehr willkommen fühle. Ich habe den Eindruck, dass es dort einen großen Hunger nach Spielen mit alternativen Inhalten gibt, und darüber bin ich sehr froh. Über die AAA-Industrie kann ich nicht so viel sagen. Ich habe aber die Hoffnung, dass die Branche offen genug ist für Verbesserungen.

Als Animatorin und Game-Designerin beschäftigt sich Lea Schönfelder mit Fragen rund um Alltagserfahrungen und moralische Konflikte. Ihre Arbeiten werden weltweit ausgestellt, so beispielsweise auf der Game Developers Conference in San Francisco oder der Tokyo Game Show und mit Preisen wie dem Red Dot Design Award ausgezeichnet. Lea Schönfelder hat als Kuratorin, und Jury-Mitglied bei Spiele-Events, wie dem Independent Games Festival in San Francisco oder der FMX in Stuttgart, mitgewirkt.

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