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Die Ziehung der Lottozahlen: Ein letztes Mal live im Fernsehen

Neues Medium, neues Glück? Die Lottozahlen werden künftig nicht mehr im Fernsehen, sondern im Internet gezogen. Immerhin: Lottofee Franzisika Reichenbacher gibt weiterhin im TV die Siegerzahlen bekannt.

Das Internet: für viele noch immer Neuland, wie wir gerade von höchster Stelle gehört haben. Trotzdem dringt es in jedes Leben ein, ab sofort auch in das der konservativen deutschen Lottospieler. Denn am heutigen Samstag geht zu Ende, was man gern eine Ära nennt: Das von nervenschonender Musik untermalte Klickerklacker der Lottokugeln im ARD-Fernsehen. Ein letztes Mal startet die beim Hessischen Rundfunk angesiedelte Maschinerie, läuft das kleine Hochamt der säkularen Erlösung in der Glotze – dann landet die gesamte Prozedur im Internet einschließlich des Notars, der sich vorher vom ordnungsgemäßen Zustand des Ziehungsgeräts überzeugt hat. Das Zweite allerdings ist bei diesem Vorgang Erster, denn es hat die Live-Ziehung des ZDF-Mittwochslottos gerade beendet.

Sonst aber ist das ZDF beim Lotto nur Zweiter gewesen, aufgesprungen auf einen schon Jahrzehnte rollenden Zug, der uns ein seltsames Berufsbild beschert hat – die Lottofee. Und in dieser Rolle einen Star: Karin Tietze-Ludwig. Die Kombination von pseudofuturistischer Acryl-Trommel und gediegen-bürgerlich toupierter Ansagerin hatte offenbar hohen Schauwert, sie suggerierte süchtigen Sehern, dass eine besonders herzliche Fachkraft dazu ausersehen sei, ihnen ihr Glück aus der neutralen Trommel ganz persönlich zuzuteilen.

Karin Tietze-Ludwig versah diese ihre Lebensaufgabe als Fee ab 1967, wechselte sich zunächst mit der heute vergessenen Erst-Fee Karin Dinslage ab, übernahm dann aber allein, bis sie 1998 von Franziska Reichenbacher abgelöst wurde. Die übrigens darf zumindest den Titel behalten, weil sie auch weiterhin jeden Sonnabend um 19 Uhr 57 die Zahlen verrät, nur eben ohne Ziehung. Heike Maurer vom ZDF hat Pech, sie wird am Mittwoch durch eine schnöde Grafik vor „heute“ ersetzt. Karin Tietze-Ludwig, inzwischen 72, hat sich deshalb noch einmal zu Wort gemeldet. Berichte vom Ziehungsende kommentierte sie mit dem Satz: „Es wäre schade, wenn das personalisierte Glück vom Bildschirm verschwindet“.

Die Trommel ist übrigens gar keine Fernseh-Erfindung, denn es gab sie in ihrer ersten Ausführung – zum blinden Hineingreifen – schon seit 1957, nur eben ohne Fee. Seitdem ist mehrfach technisch aufgerüstet worden. Die neueren Apparate zogen sich ihre Kugeln selbst, vom Schaltpult aus ließ sich nur noch die Dauer des Mischvorgangs variieren. Aber es blieb beim Prinzip der handverlesenen und akkurat abgewogenen 49 Tischtennisbälle, die mit viel Agenten-Trara im versperrten Köfferchen transportiert wurden. Wie es dazu kam, dass im April dieses Jahres beim Mittwochslotto zwei der 49 Kugeln fehlten, ist wohl immer noch unklar; die Abschaffung der Sendung hat damit aber nichts zu tun.

Das "Tele-Lotto 5 aus 35" überstand die DDR nur um zwei Jahre

Schon viel länger abgeschafft ist eine Sendung, die ganz sicher vom ARD-Vorbild inspiriert war. In der DDR ging 1972 das „Tele-Lotto 5 aus 35“ mit einer ähnlichen Ziehungsmaschine auf Sendung. Den verantwortlichen Ingenieuren war durchaus ein Gerät auf unbestrittenem Weltniveau gelungen: Eine Kugel rollte auf einer Polyester-Schnecke einen Berg abwärts und warf jeweils eine von 35 Zahlenklappen um, die unten um den Berg herumliefen.

Ziemlich provinziell geriet dagegen das um die Ziehung herumdrapierte Unterhaltungsprogramm mit aufgewärmten TV-Schnipseln aus dem „Kessel Buntes“. Die Sendung wurde zusammen mit der gesamten DDR 1990 eingestellt, aber das 35er-Lotto lief noch zwei Jahre weiter, bis die wiedervereinigten Finanzminister ihm den Geldhahn endgültig zudrehten.

Warum ist es nun auch mit der ARD-Sendung vorbei? Es gab wohl reichlich Indizien dafür, dass die alte Sendung mit ihrer betulich arrangierten Spannungskurve nur noch von Oma und Opa geschätzt wurde, jenen letzten Kunden also, die ihre Zahlen noch immer, wie 1965, mit Bleistift in der Zeitungsfiliale um die Ecke ankreuzen, statt papierfrei online zu tippen. Zudem missfiel den TV-Oberen, dass der Ziehungstermin je nach Länge der Sonnabend-Show ständig variierte. Auch beim ZDF, das seit 1982 jeden Mittwoch direkt übertrug, meint man, die Sendung habe nicht mehr in die Zeit gepasst.

Konsequent wird nun ein Studio in Saarbrücken für die neue Online-Ziehung bei lotto.de herausgeputzt – man darf befürchten, dass sie im Gegensatz zum gediegenen Fernseh-Oldie eher überzogen jugendbewegt ausschaut. Versprochen ist immerhin, dass es keine undurchschaubare Computer-Ziehung geben wird – es hieß, man werde weiterhin mit einer Lostrommel arbeiten und auch Zuschauern die Möglichkeit geben, im Studio dabei zu sein. Damit sind immerhin die Ängste einiger Verschwörungstheoretiker hinfällig, die bereits mutmaßen, der Computer werde nun heimtückisch erst die Zahlen der Online-Tipper auswerten und dann an ihnen vorbei andere auswählen ...

Künftig rollen die Kugeln mittwochs um 18 Uhr 25 und samstags um 19 Uhr 25. Das schummrige HR-Studio wird durch eine helle, internet-konforme Umgebung in Weiß, Rot und Gelb ersetzt. Zwei Moderatoren wurden für die Online-Ziehung ausgewählt: Die 39-jährige Schauspielerin und Moderatorin Nina Azizi und der 31-jährige Journalist und TV-Moderator Chris Fleischhauer übernehmen den Job im Wechsel. Als Lotto-Fee? Für Fleischhauer hat sich dpa schon mal das Synonym „Männlicher Glücksbringer“ ausgedacht. Aber, Lotto: Das geht sicher noch besser.

„Ziehung der Lottozahlen“, ARD, um 23 Uhr 15

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