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Auf der Trauerfeier für Mandela: Drei Staatschefs - so selfish

Fotos von sich selbst an unmöglichsten Orten, in unmöglichsten Posen – Selfies werden im digitalen Zeitalter zum Kult-Gut. Auf der Trauerfeier für Nelson Mandela in Johannesburg konnten auch Staatschefs der Versuchung nicht widerstehen. Aber dürfen Politiker das?

SCHNAPPSCHUSS. Viel Freude scheinen US-Präsident Barack Obama (r.) und der britische Premier David Cameron (l.) dabei zu haben, mit der dänischen Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt (Mitte) während der Trauerfeier für Nelson Mandela im FNB-Stadion in Johannesburg für ein Foto zu posieren. Aus dem Gesichtsausdruck von Michelle Obama hingegen, ihrer Körpersprache und dem Abstand zu ihrem Gatten lässt sich schließen, dass die First Lady der USA (weit rechts) weniger Spaß an dem fröhlichen Geschehen hat.

Sie sind so populär, dass das Oxford English Dictionary sie kürzlich zum englischen Wort des Jahres kürte: Selfies, Fotos von sich selbst, im Spiegel oder am ausgestreckten Arm, früher mit Fotoapparat, heute immer häufiger mit dem Handy. Im Hintergrund meistens Sehenswürdigkeiten, oft Unbedeutendes – schließlich ist der Hauptdarsteller ja das Ich – und hin und wieder eben auch Unpassendes. Das Netz ist voll mit Seiten, auf denen Fotos zu sehen sind, die unbedacht vom Fotografen selbst ins Netz gestellt und von Tausenden angeklickt und weiterverbreitet werden. Besonders beliebt: „Selfies at funerals“ – Selbstbilder auf Beerdigungen. Nun hat die Seite (siehe Kasten) ein ganz besonderes neues Motiv: Obama. Und die Empörung über das Verhalten des Staatsoberhauptes ist groß.

Ist Obamas Verhalten kritikwürdig?

Ob es geschmackvoll war oder nicht, dass Helle Thorning-Schmidt, Barack Obama und David Cameron ein „Gruppenselfie“ gemacht haben, hängt von persönlichen Empfindungen und kulturellen Prägungen ab. In Johannesburg stand die Feier im Vordergrund, nicht die Trauer, die Menschen haben gelacht und gesungen, und von den Reden war kein Wort zu verstehen. Offenbar war die Atmosphäre dort leichter, als sie bei der Trauerfeier für einen Staatschef in Europa gewesen wäre. Bei der Trauerfeier für Margaret Thatcher wäre David Cameron nie auf die Idee gekommen, ein Bild von sich und anderen zu machen. Gleichzeitig sind die Selfies gerade durch Pop- und Trash-Ikonen wie Justin Bieber oder Kim Kardashian bekannt geworden, die zuletzt ein Selfie ihres riesigen Hinterns im Internet gepostet hat. Das ist der infantile kulturelle Kontext dieses Bild-Genres.

Es geht dabei aber nicht in erster Linie um Etikette. Die dänische Premierministerin macht sich zum Groupie des amerikanischen Präsidenten, sie will ein Foto mit ihm, nicht umgekehrt. Damit dokumentiert sie unnötigerweise das politische Machtgefälle zwischen Dänemark und den USA. Gleichzeitig banalisieren sich alle drei Politiker, indem sie sich zu Zuschauern des Ereignisses machen. Sie fotografieren sich, um festzuhalten, dass sie drei dabei gewesen sind. Doch diesem Wunsch liegt ein fundamentales Missverständnis ihrer Rollen zugrunde: Schließlich wird die Veranstaltung in Johannesburg erst durch die Anwesenheit all der internationalen Staatschefs zum Ereignis. Davon können sich die drei so wenig abspalten, wie Helle Thorning-Schmidt ein Bild von der dänischen Premierministerin machen kann: Das war sie bei der offiziellen Trauerfeier für Mandela nämlich selbst. Ernst Kantorowicz hat in seiner Mittelalter-Studie „Die zwei Körper des Königs“ zwischen der öffentlichen Funktion und der Person unterschieden, die diese ausübt. Mit ihrem „Gruppenselfie“ haben die drei gemeint, sich auf ihren privaten Körper zurückziehen zu können. Doch in der Rolle gehören sie nicht auf die Ehrentribüne.

Ist das Selfie ein neues Phänomen?

Hallo, hier bin ich, schaut doch mal her: Die Geste und das Bedürfnis des Existenzbeweises qua Selbstbild sind so alt wie die Menschheit. Seit der Mensch Bilder schafft, bildet er sich selbst ab – und längst nicht nur dort, wo es sich geziemt. Bei gotischen Tafelbildern zum Beispiel steht bekanntlich niemand Geringeres im Mittelpunkt als ein Heiliger, die Muttergottes, der Messias oder Gottvater persönlich. Auf Goldgrund. Und was machen die edlen Stifter des Werks oder der Kirche, für das es in Auftrag gegeben wurde? Sie lassen sich ebenfalls auf dem Gemälde verewigen, schreiben sich gleichsam ein ins sakrale Ambiente, gern im unteren Bildteil in Miniaturformat. Kleine Männlein mit Gotteshaus auf dem Arm, das sind die mittelalterlichen Selfies. Wobei die Herrschaften nicht persönlich Hand anlegen mussten, sie waren betucht genug, um ihr Selbstbild in Auftrag zu geben.

Spätestens mit der Individualisierung und der künstlerischen Erfindung des Ich in der Renaissance begannen die Maler, sich selber in ihren Bildern von Königen und Göttern, Adelsfamilien oder mythischen Gestalten zu verewigen. Oft haben sie sich dabei so pietätvoll wie listig versteckt. Spieglein, Spieglein an der Wand – ein Spiel, eine Scharade. Caravaggio zum Beispiel: Nach einer Restaurierung des Bildes wurde entdeckt, dass er auf seinem 1596 entstandenen Bacchus-Porträt das eigene Konterfei samt Staffelei in die Spiegelung der Rotweinkaraffe hineingemalt hatte. Dürer und Tischbein, Lucas van Leyden, sie haben sich alle gern mal ins Bild geschmuggelt. Das wohl berühmteste Selfie findet sich in „Las Meninas“, dem Meisterwerk des spanischen Hofmalers Velázquez. Da steht der Künstler mit Farbpalette, links hinter dem Königstöchterchen und den Hofdamen, und schaut den Betrachter unverwandt an. Ich bin dabei – und wie findet ihr das?

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