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China: Jubiläum ohne Debatte

Nationalismus statt Kommunismus: China feiert selbstbewusst den 60. Jahrestag der Staatsgründung – der Kommunismus als Ideologie hat lautlos ausgedient.

Berlin - Es dürften nicht seine Geisteskräfte gewesen sein, die dem übergewichtigen Mao Xinyu vor kurzem den Posten als jüngster General der chinesischen Volksarmee eingebracht haben. Der 39 Jahre alte Militärhistoriker gilt als nicht besonders schlau, es wird bezweifelt, ob er die Bücher, die unter seinem Namen erschienen sind, auch tatsächlich selber verfasst hat. Wahrscheinlicher ist, dass einige Ghostwriter nachgeholfen haben, ähnlich wie nun auch seiner Militärkarriere nachgeholfen wird. Denn Mao Xinyu trägt einen berühmten Familiennamen: Er ist der Enkel des chinesischen Staatsgründers und großen Vorsitzenden Mao Zedong. Weshalb auch der Zeitpunkt dieser Beförderung keineswegs zufällig erscheint.

Am heutigen Donnerstag feiert die Volksrepublik China mit einer gigantischen Volks- und Militärparade in Peking ihren 60. Jahrestag. An einem solchen Tag muss offenbar auch der einzige Enkelsohn des Staatsgründers eine vorzeigbare Stellung innehaben. Doch ähnlich zweifelhaft wie Mao Xinyus Karriere erscheint auch jene Kontinuität, die China am 60. Jahrestag feiert. Der kommunistische chinesische Staat des Jahres 2009 hat nur noch wenig mit jenem gemeinsam, den Mao Zedong am 1. Oktober 1949 ausgerufen hat, nachdem seine Kommunisten im chinesischen Bürgerkrieg Tschiang Kai-schek und seine Truppen nach Taiwan vertrieben hatten.

Unter Mao Zedong war China ein armes und isoliertes Land. Politische Kampagnen wie der „Große Sprung“ oder die Kulturrevolution kosteten Millionen Menschen das Leben. Die Mao-Biografen Jung Chang und Jon Halliday sprechen von bis zu 70 Millionen Toten. Die offizielle Parteilinie lautet inzwischen, dass der große Vorsitzende zu 70 Prozent richtig gelegen habe und zu 30 Prozent falsch. Kritik an den Jahrzehnten unter Mao ist aber vor allem rund um den Jubiläumstag nicht erwünscht. „Es gibt keine Debatte“, sagte Jean-Philippe Beja vom Zentrum für Studien des modernen Chinas in Hongkong der Nachrichtenagentur AFP, „China ist auf dem Weg, ein mächtiges und wohlhabendes Land zu werden, Punkt.“

Dabei begann sich China erst nach Deng Xiaopings Wirtschaftsreformen 1979 zu einer politischen und wirtschaftlichen Weltmacht zu entwickeln. Heute ist Zhongguo, das Reich der Mitte, wie die 1,3 Milliarden Chinesen sich selber nennen, die drittgrößte Wirtschaftsmacht der Welt. Die aktuelle Weltwirtschaftskrise scheint das Land auch dank eines Konjunkturprogramms von 460 Milliarden Euro gut zu überstehen, die Wachstumsrate im zweiten Quartal 2009 betrug bereits wieder 7,9 Prozent, im kommenden Jahr wird sogar erneut ein zweistelliges Wachstum erwartet.

Politisch greift China inzwischen die Rolle der USA als führende Nation in der Welt an. Seine Bedeutung wächst ständig, im Weltsicherheitsrat und in der G 20 übernimmt es zunehmend Verantwortung. „Nachdem sie ein Jahrzehnt lang Erfahrung gesammelt haben, sind chinesische Diplomaten gegenüber multilateralen Organisationen immer positiver eingestellt und sehen sie als Mittel, Chinas Ruf als verantwortliche Macht zu fördern“, schreibt die Chinaexpertin Susan L. Shirk in ihrem Buch „China, Fragile Superpower“. Wenn es allerdings um Sanktionen gegen wirtschaftlich und politisch verbundene Staaten wie Sudan, Birma oder Nordkorea geht, verteidigt Peking weiterhin vehement das Prinzip der Staatssouveränität vor den Menschenrechten.

Politisch geht es China eigentlich nur um eines: Die Herrschaft der Kommunistischen Partei in China muss unangetastet bleiben – und wird unnachgiebig verteidigt. Daran hat sich in den vergangenen 60 Jahren nichts geändert. Der Sozialismus als Ideologie hat zwar weitgehend ausgedient, doch an seine Stelle ist nun der „Sozialismus mit chinesischen Merkmalen“ getreten. Dieser besteht vor allem aus dem Glauben an den wirtschaftlichen Fortschritt – und Nationalismus.

Der Stolz auf ein starkes China wird auch heute in Peking auf der Straße des ewigen Friedens zu beobachten sein. Mit einer riesigen Parade unterstreicht die chinesische Führung an jenem Ort, wo vor 20 Jahren die Demokratiebewegung blutig niedergeschlagen worden ist, seine wirtschaftliche und militärische Kraft. Die mit 2,3 Millionen Soldaten drittgrößte Armee der Welt wird dabei auch Interkontinentalraketen, die mit atomaren Sprengköpfen ausgestattet werden können, über die Chang-An-Avenue rollen lassen. „Die Parade wird China als ein Land zeigen, das sich friedvoll weiterentwickelt, (...) und das Selbstbewusstsein und Stolz der chinesischen Nation fördert“, sagte Oberst Guo Zhigang der Staatszeitung „China Daily“.

In den letzten Jahren hat sich in der chinesischen Bevölkerung ein großer Nationalstolz entwickelt. Dieses Gefühl wird von der Partei nach Kräften befördert, aber auch bekämpft, wenn es sich etwa in Demonstrationen gegen Japan oder, wie zuletzt beim Fackellauf vor den Olympischen Spielen, gegen Frankreich verselbstständigt. Wie problematisch der neue Nationalismus werden kann, haben im August die Ausschreitungen in der Provinz Xinjiang gezeigt. Dort forderten gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen der hanchinesischen Bevölkerung und der uigurischen Minderheit über 197 Tote. Der Umgang mit seinen 55 Minderheiten, vor allem mit Tibetern und Uiguren, zählt inzwischen zu den größten Schwierigkeiten des modernen Chinas, das die Einheit des Landes bewahrt wissen will.

Auch die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen Land- und Stadtbevölkerung, bildet das Konfliktpotential der Zukunft. 2008 betrug das durchschnittlich verfügbare Pro-Kopf- Einkommen auf dem Land 530 Euro, in der Stadt waren es 1750 Euro. Auch nimmt die Zahl der „Vorfälle mit Massen“, wie Demonstrationen in China genannt werden, weiter zu. 2008 soll es über 100 000 kleinere und größere Demonstrationen gegeben haben. Der Weg zur „harmonischen Gesellschaft“ ist offenbar noch weit. 

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