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Abdul Hakim Mujahid gehört zu den Mitbegründern der Taliban-Bewegung.

© Martin Gerner

Fundamentalist Mujahid: "Die Taliban werden Teil einer Koalitionsregierung sein"

Abdul Hakim Mujahid, Mitbegründer der islamistischen Bewegung in Afghanistan, spricht über die künftige Rolle der Aufständischen, Frauenrechte – und verwestlichte Menschen am Hindukusch.

Wie bewerten Sie die Lage zehn Jahre nach der US-Intervention und dem Fall der Taliban?

Eine militärische Lösung kann es nicht geben – weder für die Menschen in Afghanistan und die Regierung noch für die internationale Staatengemeinschaft. Was wir brauchen, ist eine politische Lösung. Deshalb hat Präsident Karsai den Hohen Friedensrat ins Leben gerufen. Der ehemalige Präsident Burhanuddin Rabbani ist dessen Vorsitzender. Ich bin sein erster Stellvertreter. Die Zusammensetzung des Gremiums ist ein großer Fortschritt. Denn darin sind nicht nur alle Warlords vertreten, sondern auch Organisationen der afghanischen Zivilgesellschaft und Frauen aus dem Parlament und dem Senat. Mit anderen Worten: All jene, die sich in der Vergangenheit bekriegt haben, sitzen jetzt zusammen und reden über Frieden.

Die meisten Menschen in Afghanistan würden ehemalige Taliban und Warlords lieber hinter Gittern sehen oder vor Gericht anstatt mit Posten im Hohen Friedensrat.

Ja. Solche Stimmen gibt es. Aber es geht jetzt nicht darum, das Land noch weiter zu spalten und die Nation zu teilen. Was wir brauchen, ist nationale Einheit und Zusammenhalt.

Wie passt dazu die Strategie der US-Regierung: einerseits Gesprächsangebote, andererseits eine „Kill & Capture“-Logik, die viele Taliban tötet und gefangen nimmt, Zuckerbrot und Peitsche gewissermaßen. Wohin führt das?

Wir haben es mit einem Krieg zu tun. Entsprechend versuchen beide Seiten, ihre militärische Stärke und Vorteile auf dem Schlachtfeld auszuspielen. Aber ohne eine umfassende Beilegung der Feindseligkeiten wird der Krieg jahrelang andauern. Was die Gesprächsebene angeht, hat der Hohe Friedensrat einige Fortschritte erzielt. Wir sind in Kontakt mit hochrangigen Vertretern der unterschiedlichen Gruppen der Aufständischen. Wir haben direkten Kontakt mit der Führung der Hezb-e-Islami (von Gulbuddin Hekmatyar; d. Red.). Aber wir sind nicht in direktem Kontakt mit der Führung der Taliban. Wir haben zwei Briefe an Vertreter der Bewegung geschickt, aber sie haben uns nicht förmlich geantwortet.

Gibt es Kontakt zu Taliban-Führer Mullah Omar?

Mit Mullah Mohammed Omar haben wir keinerlei Kontakt. Wie Sie wissen, lebt die Führung der Taliban-Bewegung im Untergrund, zum Teil in Höhlen in den Bergen, ohne Möglichkeit zu kommunizieren. Dort können wir sie nicht erreichen. Solange das so ist, versuchen wir die übrigen Hindernisse für einen Frieden eines nach dem anderen aus dem Weg zu räumen. Ich meine die Liste der Sanktionen des UN-Sicherheitsrates. Viele aus der ehemaligen Führung der Taliban stehen noch immer auf dieser Liste. Es gibt auch eine schwarze Liste der US-Regierung, die unverändert Kopfgeld auf bestimmte Akteure und Vertreter der Taliban-Bewegung ausgesetzt hat. Und es fehlt an politischer Anerkennung der Taliban mit Blick auf den Friedensprozess. Solange sie nicht voll als Gesprächspartner anerkannt sind und es keine konkrete Adresse gibt, wo sie anzutreffen sind, wird es für uns schwierig, direkte Gespräche zu führen.

Lesen Sie auf Seite 2, welche Rolle Pakistan nach Ansicht von Mujahid spielt.

Nichts geht ohne die Zustimmung Pakistans in diesem Prozess. Auch Omar steht unter dem Einfluss Islamabads.

Ich glaube nicht, dass Mullah Mohammed Omar unter der Kontrolle von Pakistan ist. Er war und ist ein unabhängiger Mann und eine unabhängige Persönlichkeit.

Aber die ehemalige Nummer zwei der Taliban, Mullah Baradar, wurde im vergangenen Jahr von den pakistanischen Behörden festgenommen, als er versuchte, eine etwas unabhängigere Rolle zu spielen...

Sicher. In der ein oder anderen Weise stehen die Taliban unter dem Einfluss der pakistanischen Gesetzmäßigkeit. Aber ich glaube nicht, dass Mullah Mohammed Omar vom pakistanischen Geheimdienst ISI kontrolliert wird. Soviel ich weiß, ist er außer Reichweite der pakistanischen Behörden und auch außer Reichweite der afghanischen Behörden.

Wie stehen die Taliban zu Frauenrechten? Viele Menschen in Afghanistan haben Sorge, dass in Gesprächen mit Taliban Frauenrechte geopfert werden…

Ich denke, das wird kein großes Problem sein. Die Taliban stammen von hier, sie sind Afghanen. Sie respektieren die Rechte von Frauen. Diese Rechte werden fortgeführt, so wie sie in der Verfassung stehen. Ich denke, es gibt keinen Anlass zur Unruhe. Diese Sorgen kommen von sehr kleinen Randgruppen, von Menschen, die verwestlicht sind. Ich spreche von jener liberalen Interpretation von Frauenrechten, die weder das afghanische Volk noch die Taliban wollen. Wie gesagt, es sind kleine Minderheiten innerhalb der Gesellschaft, die diese Ängste hegen. Ihre Anliegen sind illegitim und unrechtmäßig.

Wie sähe denn die Zukunft der Bildung von Frauen in einer künftigen Vereinbarung aus?

Die ganze Welt macht sich ein falsches Bild darüber. Sogar während der Taliban- Ära gab es kein Verbot für Frauen, in öffentlichen Behörden zu arbeiten. Es gab auch keine generelle Ablehnung des Rechtes auf Bildung für Frauen. Der islamischen Lehre nach steht jedem Individuum – gleich ob Mann oder Frau – Bildung zu.

Als ehemaliger Taliban-Vertreter gegenüber den Vereinten Nationen haben Sie für die Anerkennung des Regimes gekämpft. Welche politischen Fehler haben die Taliban rückblickend gemacht?

Das Problem war weder ein rechtliches noch ein ideologisches. Es ging vielmehr um das Aufeinanderprallen zweier grundsätzlich verschiedener Lebensvorstellungen: hier die ländliche Mentalität, dort die urbane Mentalität der Städter. Der allergrößte Teil der Taliban kommt aus ländlichen Gebieten. Und das schuf immer Konflikte, wenn sie auf ein städtisches Milieu trafen. Aber ich betone, dieser „Clash“ der Mentalitäten war nicht ideologischer Natur.

Immerhin scheint dieser Konflikt anzudauern. Macht das die Gespräche nicht noch komplizierter?

Die Aufständischen und die Taliban-Bewegung werden Teil einer künftigen wie auch immer gearteten Koalitionsregierung in Afghanistan sein. Und diese Koalitionsregierung wird sich zu zweierlei verpflichten. Zum einen, dass von afghanischem Boden keine Gefahr mehr für irgend ein anderes Land ausgeht und dass Afghanistan ein aktives und verantwortliches Mitglied der Vereinten Nationen sein wird. Die andere Zusage wird von der internationalen Staatengemeinschaft kommen, mit der Verpflichtung, Afghanistan langfristig zu unterstützen, politisch wie wirtschaftlich. Wenn beide Verpflichtungen zusammenkommen, dürfte es keinerlei Ärger mit irgendeiner Seite, Partei oder Fraktion geben. Afghanistan wird dann keine Gefahr mehr für seine Nachbarländer und die Welt darstellen.

Kann der Versuch der Wiedereingliederung von Taliban-Kämpfern, wie er aktuell stattfindet, gelingen, wenn der politische Prozess ausbleibt ?

Dieses Programm unter Aufsicht des Hohen Friedensrates wird zur Zeit umgesetzt. Ich glaube aber nicht, dass es sehr erfolgreich sein wird. Es werden nur wenige Taliban-Kämpfer die Seiten wechseln hin zur Regierung. Der Kern der Kämpfer, die ideologisch motiviert sind, wird sich erst dem Friedensprozess anschließen, wenn dieser weiter fortgeschritten ist.

Das Gespräch führte Martin Gerner.

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