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Scheidender Premier: Silvio Berlusconi: Es gibt nur ihn

Mit seinem Geld, seinem Erfolg und seinem gerissenen Umgang mit Gesetzen verkörpert Silvio Berlusconi all das, was Italiener gerne sein wollen. Aber er hat damit ihr Land auch ausgehöhlt. Und so hinterlässt er es jetzt

Noch auf den Holzbänken des Parlaments hat sich Silvio Berlusconi die Liste jener Abgeordneten seiner Fraktion reichen lassen, die am entscheidenden Dienstagabend gegen ihn gestimmt haben. Jetzt geht er sie, Name für Name, mit versteinertem Gesicht durch.

„Die hab ich zur Bürgermeisterin gemacht!“

„Bei dessen Kind war ich Taufpate; unglaublich, was ich für ihn getan habe!“

„Der verdankt mir seine Ernennung zum Landesminister!“

„Und die da, diese Frau Judas da…“

So geht er die Liste durch. „Acht Verräter!“ notiert er am Ende auf einem Handzettel. Dann fährt er zum Staatspräsidenten, um seinen Rücktritt anzukündigen. Und wieder hat sich in einer Karriere, die auf Mythen gebaut ist, ein Mythos erfüllt: Der Held stirbt nie aus eigenem Versagen. Er stirbt an den feigen Dolchstößen seiner falschen Freunde.

Da, im Parlament, sitzen sie alle: die „Rüben“, die er, allein er, „zu Prinzen gemacht“ hat, die schönen Girls aus seinen Fernsehshows, die er auf sichere Listenplätze gesetzt hat, egal, was die Parteibasis davon hielt. Da sitzen seine persönlichen Strafverteidiger, die im Justizausschuss das durchsetzen, was sie vor Gericht für ihren Mandanten nicht schaffen. Da sitzen, aus anderen Parteien zugewandert, auch jene Nothelfer, deren „Ja“ zu Berlusconi in dessen ersten Schwächephasen einen sechsstelligen Preis hatte, von dem alle wissen, den aber nie jemand wird beweisen können.

Und doch: Aus den 50 Stimmen Mehrheit, die Berlusconi bei seinem dritten Regierungsantritt im Mai 2008 hatte, aus dem historisch dicksten Sicherheitspolster eines italienischen Ministerpräsidenten überhaupt, ist endgültig eine Minderheit geworden. Die Gerichtsprozesse gegen Berlusconi sind wieder aufgeflammt, obwohl er sie per Gesetz hatte niederschlagen wollen. Was die Justiz gegen ihn vorbrachte, reichte von Meineid und Steuerbetrug über Bestechung bis zum Sex mit Minderjährigen. Und dem Urteil der Wähler, das hat er in der Nacht zum Mittwoch ausdrücklich angekündigt, stellt er sich lieber nicht mehr.

Fedele Confalonieri, Berlusconis wohl ältester Freund, hat einmal gesagt: „Berlusconi ist in Wahrheit kein Politiker. Er ist ein Utopist. In einem anderen System könnte er ein aufgeklärter Fürst sein, als demokratischer Führer aber ist er eine Fehlbesetzung.“

Wie konnte Berlusconi dann aber ein Land so lange regieren? Lesen Sie weiter auf Seite zwei.

Drei Mal wählten die Italiener ihn an die Macht: 1994, 2001 und 2008. 3323 Tage ist er jetzt insgesamt schon Ministerpräsident; das ist eine Spanne in einem Land, in dem die Überlebensdauer von Regierungen lange Zeit in Wochen oder Monaten bemessen wurde. Und noch keiner vor ihm hat eine ganze Legislaturperiode durchgehalten.

Warum aber Berlusconi? Nicht nur weil er mit seinem Geld, seiner Männlichkeit, dem Glamour, dem Erfolg und seinem gerissenen Umgang mit Gesetzen all das verkörpert, was Italiener gerne sein wollen, sondern vor allem, weil er Italiens Kultur grundlegend umgewandelt und nach seinen Vorstellungen zurechtgeformt hat. Und weil er sich damit „als vermutlich einziger Politiker der Neuzeit seine Wähler selbst herangezogen hat“. Zu diesen Schlüssen kommt Berlusconis Biograph Alexander Stille.

Berlusconi, sagen sie selbst in seinem eigenen Medienkonzern, mag als Manager vielleicht nicht der beste sein; als Verkäufer aber sucht er seinesgleichen. Ihm gelang es immer, blühende Welten vorzuspiegeln. Diese waren insofern sogar echt, als er selbst zutiefst daran glaubte. Berlusconi ist promovierter Werbefachmann; Inszenierung ging ihm immer schon über Inhalt.

Alles begann damit, dass der Sohn eines mittelständischen Mailänder Bankdirektors praktisch aus dem Nichts und mit Finanzen von bis heute nicht gänzlich geklärtem Ursprung ein nobles Stadtviertel aus dem Boden stampfte: „Mailand zwei“. Platz für 14 000 Bewohner. Grün, modern. Diese Siedlung versorgte er Anfang der 70er Jahre, als zusätzliches Wohlstands- und Wohlfühlelement, mit einem internen Fernsehprogramm.

Schnell merkte Berlusconi, dass er mit diesem Instrument noch mehr erreichen konnte. Und als 1976 der lokale Privatfunk in Italien erlaubt wurde, kaufte sich Berlusconi kleine Fernsehsender im ganzen Land zusammen und zog so ein regelrechtes Netz auf – was damals noch illegal war und viele Milliarden Lire an Parteispenden kostete.

Es war ein knallbunter Einbruch in eine dröge, vom verschlafenen, behördenartig strukturierten Staatsfernsehen geprägte Bilderwelt. Berlusconi holte die Traumsendungen vom Typ „Reich und schön“ nach Italien – und Fußball. Er übertrug Spiele der Spitzenliga in voller Länge und beförderte damit im fußballvernarrten Italien einen Boom ohnegleichen. Als er 1986 auch noch den A.C. Milan kaufte und im Lauf der Zeit mit teuren Spielern ausstattete, da waren er und seine Fernsehwelt ein Gesamtkunstwerk. Ein einträgliches auch noch. Niemand hatte vor Berlusconi so viel Werbegeld eingenommen; oder noch besser: Vor Berlusconi gab es in Italien gar keine „richtige“ Werbung. Da spielte das Fernsehen in Italien kaum eine Rolle. Sieben Jahre nach seinem landesweiten Start dagegen saß jeder Italiener beinahe drei Stunden täglich vor der Mattscheibe. Und als Berlusconi 1994 seine ersten Parlamentswahlen gewann, hatte er seine stärksten Unterstützer bei den größten Fernsehnutzern, bei Hausfrauen und Rentnern.

Seither regiert Berlusconi mit den eigenen und gleichgeschalteten staatlichen Fernsehsendern. Da für Berlusconis Publikum die Bilder zählen und da sich Italiener zu mehr als 80 Prozent aus dem Fernsehen informieren, fiel das politische Nichts dahinter lange Zeit tatsächlich kaum auf.

Immer wieder mahnen internationale Organisationen an, dass Italiens Medien nicht unabhängig sind. Wie deutlich sich das in der Realität äußert, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Von Berlusconis Skandalen gar redet Italiens Fernsehen nur, wenn wieder einmal die „politisierte Justiz“, dieses „Krebsgeschwür der Staatsanwälte, die es auf einen Staatsstreich abgesehen haben“, dem stets heldenhaften Ministerpräsidenten zu nahe treten. Die Bunga-Bunga-Geschichten zum Beispiel, die waren laut Berlusconi allesamt „von Porno-Staatsanwälten und von linken Porno-Journalisten erfunden“.

Überhaupt kann Berlusconi nicht verstehen, warum Justiz und Presse ihn angreifen. Drei Gesetzesvorhaben brachte er in den vergangenen Monaten voran, um sich vor Verurteilung zu schützen. „Warum verstehen diese Leute nicht, dass ich der einzige Mensch bin, der dieses Land reparieren und regieren kann?“, klagte er. Er bemühe sich doch nach Kräften, „meinen Höherwertigkeitskomplex im Zaum zu halten“. Und wieder ist Berlusconi zutiefst von seiner eigenen Wahrheit überzeugt: „Niemand in Europa hat so viel geleistet wie ich. Nur in Amerika stehe ich im Schatten von Bill Gates.“

Wenn Berlusconi von großen internationalen Gipfeln heimkam, dann war immer er es, der „mit den allseits sehr gefragten Ratschlägen des dienstältesten Regierungschefs in Europa und den USA“ den Weltfrieden gerettet oder die Finanzkrise abgewendet hatte. Oder beim Bankencrash der Lehman Brothers 2008, von ihm selbst in der dritten Person erzählt: „Da ging dieser Signore nach Washington, und nachdem er einen ganzen Tag mit dem amerikanischen Präsidenten zusammengesessen hatte, fand der sich bereit, 700 Milliarden Dollar zur Rettung der amerikanischen Banken auszugeben; andernfalls wäre eine Katastrophe passiert.“ Und erst bei den Frauen: „Ich kann nichts dafür, dass sich alle in mich verlieben und dass ich auch auf diesem Feld die Nummer eins bin.“

Das Einzige, wofür sich Berlusconi wirklich interessiert – in dieser Einschätzung sind sich alle Beobachter einig – ist er selbst. Er hat kein Regierungsprogramm, keine substanziellen politischen Ziele. Italien will er heute immer noch, als wär’s eine Obsession, befreien von den Kommunisten. Liberalisieren will er das Land seit fast 18 Jahren – jedenfalls der Propaganda nach. Dass zu den dringenden aktuellen Forderungen der EU die Liberalisierung der italienischen Wirtschaft gehört, zeigt, dass praktisch nichts geschehen ist.

Liberalisieren, privatisieren, das hieße, dass der Regierungschef Machtmittel aus der Hand geben müsste, die Möglichkeiten für Katalysatoreffekte verlöre, nicht mehr so viele Posten zur Verfügung hätte, mit denen er Höflinge, Zugekaufte oder Gespielinnen versorgen könnte. Liberalisieren hieße auch, dass Silvio Berlusconi sich auf dem von ihm dominierten italienischen Fernsehmarkt den Kartellgesetzen unterwerfen und ernsthafte Konkurrenz zulassen müsste. Das aber hat er allen inländischen Mitbewerbern unmöglich gemacht. Und auch den Sky-Konzern von Rupert Murdoch wollte Berlusconi gerne klein halten. Das aber ist ihm nicht gelungen. Sky ist damit der einzige nennenswerte Einbruch ins Informationsmonopol des italienischen Fernsehens.

Ich bin es einfach müde“, sagte der inzwischen 75-jährige Berlusconi, als er in der Nacht zum Mittwoch seinen Verzicht auf eine erneute Kandidatur ankündigte, „dass ich meine Linie nicht durchsetzen, nicht die Politik machen kann, die ich will.“ Solche Aussagen gehören seit Jahren zum Standardrepertoir Berlusconis, der es nun auch nicht versäumte, sich mit Mussolini zu vergleichen.

Dass die großen, vielfach versprochenen Reformen für Italien ausgeblieben sind, das lag immer an irgendwelchen sperrigen Koalitionspartnern oder am nervigen Parlament: „Als Regierung bringen wir Gesetzesentwürfe ein, so feurig wie ein reinrassiger Araberhengst. Heraus kommt dann immer ein Nilpferd.“

Nie hat Berlusconi die Präsidialrepublik durchsetzen können, die ihm – nach US-amerikanischem, französischem, ja gar russischem Vorbild – als ideale Regierungsform vorschwebt. Dafür hat er die rechte Hälfte der italienischen Politik monopolisiert. Die Christdemokraten, aus seiner Koalition halb im Streit, halb gemobbt ausgeschieden, führen nur mehr ein Schattendasein. Gianfranco Finis Postfaschisten sind fast ausnahmslos zu Berlusconi übergelaufen. Neben der Lega Nord gibt es nur noch Berlusconi.

Und diesem ist in den vergangenen Monaten zunehmend bis vollends der Sinn für die Realität abhanden gekommen. Umgeben von Höflingen und Kurtisanen, beruhigt von einer Fernsehberichterstattung, die keine Krise zeigte, weil es in Italien – nach Lesart des übermächtigen Vorsitzenden und Regenten – ja keine Krise gab, beratungsresistent sogar gegenüber seinen engsten Mitarbeitern, musste Berlusconi erst vom Ausland, von Europa, geweckt werden.

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