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Kein Rücktritt des Außenministers: Guido gegen den Rest der Welt

Es ist der erste öffentliche Auftritt nachdem die Kanzlerin ihn düpierte, die eigene Partei sich von ihm distanzierte. Doch Guido Westerwelle reagiert nach dem immer gleichen Muster: Ich gegen den Rest der Welt.

Von
  • Hans Monath
  • Antje Sirleschtov

Nein, Guido Westerwelles Gefühle, seine Schwäche womöglich, soll in diesem Moment niemand erkennen. Ein Lächeln hat der deutsche Außenminister aufgesetzt, ein besonders breites Lächeln, als er am Montagmorgen neben seinem französischen Amtskollegen Alain Juppé durch den Mittelgang des Weltsaals im Auswärtigen Amt (AA) schreitet. Sehr aufrecht schreitet und den Gast zu seinem Platz in der ersten Reihe führt.

Das Lächeln wirkt, als wolle der Politiker den deutschen und internationalen Diplomaten im Saal, den Journalisten und Bundestagsabgeordneten und dem politischen Betrieb sagen: Ihr kriegt mich nicht klein! Deshalb soll es von der Botschafterkonferenz, die Westerwelle gerade eröffnet, nur Fotos und Filmaufnahmen eines Außenministers geben, der nicht etwa nachdenklich oder gar geknickt wirkt, sondern der sich gut gelaunt präsentiert. So gut gelaunt, als wäre dieser Tag ein Höhepunkt in seiner politischen Karriere.

Jeder im Saal weiß natürlich, dass das Gegenteil wahr ist. Es ist der erste öffentliche Auftritt Westerwelles nach dem Wochenende, an dem ihn die Kanzlerin düpierte, die eigene Parteiführung sich von ihm distanzierte und nun auch noch wissen lässt, dass sie ihn allenfalls noch als Minister auf Bewährung duldet.

Dass der deutsche Chefdiplomat den Sieg der libyschen Rebellen als Erfolg deutscher Friedenspolitik verkaufte und zur offensichtlichen Wirkung der Militärintervention eisern schwieg, machte ihn umso angreifbarer, je länger er diesen Kurs verteidigte. Nicht nur die Leitartikler vieler Zeitungen fielen über ihn her, auch viele Koalitionsabgeordnete verzweifelten vor so viel Rechthaberei. „Das ist das gleiche Muster, nach dem er es immer gemacht hat, und das heißt: Ich gegen den Rest der Welt“, erläutert ein langjähriger Weggefährte dieses Verhalten: „Das hat er auch schon in der Möllemann-Affäre so gemacht.“ Erst als der Druck ihn aus dem Amt zu treiben drohte, lenkte Guido Westerwelle in einem Zeitungsbeitrag am Sonntag ein.

Lesen Sie auf Seite 2, wie Westerwelle versucht, sich noch einmal kämpferisch zu geben.

Auch die rund 200 deutschen Botschafter und Generalkonsuln im Saal ahnen an diesem Montagmorgen, dass sie einen AA-Chef in der Stunde tiefer Demütigung vor sich haben. „Es liegt ein ereignisreiches letztes Jahr hinter uns“, verkündet Westerwelle gerade vom Podium, es seien „bewegende und bewegte Zeiten“ gewesen. Dann lobt er die „enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit“ mit seinem französischen Kollegen und sagt: „Der Blick nach vorne, das ist jetzt unsere Aufgabe.“

Mit durchgedrücktem Rücken steht der Minister hinter dem Rednerpult, den Kopf im Nacken, die Knöpfe des dunklen Jacketts zugeknöpft. Die Haltung erinnert noch immer an den Politiker, der nach den ersten desaströsen Monaten der schwarz-gelben Koalition seinen Kritikern entgegenrief: „Ihr kauft mir den Schneid nicht ab!“

Doch nun hat er sich den Schneid abkaufen lassen, nicht von der ihm verhassten politischen Linken, nicht von den Medien, die er für parteiisch hält, sondern von den eigenen Leuten, von der neuen Führung der Liberalen. In einem kurzen Satz in seinem ganzseitigen sonntäglichen Zeitungsbeitrag hat er schon widerrufen und die historische Leistung der Nato-Intervention für den Sieg der Rebellen in Tripolis gewürdigt. Nun spricht er erstmals öffentlich über die eigene Entscheidung. „Gerade weil wir die Chancen und Risiken anders abgewogen haben“, sagt er, gerade deshalb gelte „unser Respekt dem Beitrag Frankreichs und unserer Verbündeten bei der Durchsetzung der UN-Resolution 1973“.

Eine Korrektur der deutschen Enthaltung im Sicherheitsrat ist das nicht, ein leises Eingeständnis eigener Fehleinschätzung immerhin. Da klatschen die deutschen Diplomaten demonstrativ und heftig. So falsch die meisten von ihnen die Enthaltung im Sicherheitsrat fanden, so falsch fanden sie auch die Weigerung des AA-Chefs, die Realität nach dem Erfolg der Militärintervention anzuerkennen und damit die Kluft zu den Bündnispartnern noch weiter zu vertiefen.

Viele begeisterte Anhänger hatte sich Westerwelle auch schon vor der Libyen-Entscheidung im Auswärtigen Amt nicht gemacht. Schon in seinem ersten Jahr hatten viele Diplomaten mit Unbehagen beobachtet, dass der neue Minister den Gestus des lautsprecherischen Oppositionspolitikers partout nicht hinter sich lassen wollte und das ehrwürdige AA als Bühne missbrauchte für innenpolitische Attacken wie die auf die angebliche „spätrömische Dekadenz“ in der Hartz-IV-Debatte. Angesichts seiner starken Belastung mit innenpolitischen Fragen bat der Vizekanzler damals Spitzendiplomaten auf wichtigen Reisen schon einmal darum, doch bitte in fünf Minuten alles Wesentliche zu erläutern.

Warum der Außenminister fast schon Mitleid erregt, lesen Sie auf Seite 3.

Ein wenig Hoffnung keimte auf, als Westerwelle im Mai als FDP-Chef abgelöst wurde: Der Minister nahm sich nun mehr Zeit und vertiefte sich stärker in seine diplomatischen Aufgaben. Doch nun, da er wieder Porzellan zerschlagen hat, da auch die FDP-Parteiführung deutlich von Westerwelle abrückt, halten nur noch wenige der sonst so formbewussten und zurückhaltenden Diplomaten mit ihrer Meinung hinterm Berg, wenn man sich umhört am Rande der Konferenz.

Der Botschafter Deutschlands in einem afrikanischen Land steht im Gang, lacht scheppernd laut vor sich hin und erzählt den werten Kolleginnen und Kollegen von der Schlagzeile der linksalternativen Berliner „Tageszeitung“ an diesem Morgen. „Wer gibt zuerst auf?“ hat die getitelt und dazu Fotos von Muammar al Gaddafi und Guido Westerwelle abgedruckt.

„Furchtbar, furchtbar, furchtbar“, sagt ein ehemaliger Spitzendiplomat kopfschüttelnd. Ein Kollege, der dem FDP-Politiker politisch nie nahestand, entdeckt nun die menschliche Dimension des Geschehens: „Er tut mir fast schon leid.“ Auch Westerwelle-Vorgänger wie Klaus Kinkel, Joschka Fischer oder Frank-Walter Steinmeier hätten mit ihrer Iran-Politik, der Visa-Affäre oder dem BND-Untersuchungsausschuss Phasen schwerster Krisen durchleben müssen, aber sie hätten wenigstens politisch kämpfen können. „Es ist etwas anderes, wenn der Außenminister auf diese Weise als Person demontiert wird“, meint der bestens vernetzte Beamte.

Aber nicht nur hinter vorgehaltener Hand machen die Diplomaten an diesem Montag ihre Meinung deutlich. Für den französischen Außenminister und seine Rede über die Bedeutung der deutsch-französischen Zusammenarbeit für die Zukunft Europas applaudiert der Saal ohnehin sehr viel freundlicher und lauter als für Westerwelle. Einmal aber wird der Applaus zur Abrechnung.

Als Juppé über die Rolle seines Landes im UN-Sicherheitsrat spricht und sagt, es sei „an uns, die Zivilbevölkerung zu schützen“, die von arabischen Regimen bedroht würden, nur durch militärische Intervention sei ein „wirkliches Blutbad“ verhindert worden, klatschen einige Zuhörer plötzlich sehr laut. Es sind nur einige wenige Diplomaten, die dem eigenen Außenminister auf diese Weise ihren Missmut mitteilen. Aber es ist doch ein bemerkenswertes Zeichen, dass manche den eigenen Minister nun so offensichtlich kritisieren.

Freilich wissen die Diplomaten sehr genau, dass nicht sie es sind, die über das Schicksal ihres Außenministers entscheiden. Über seine Zukunft entscheidet FDP-Chef Philipp Rösler. Der versucht an diesem Tag vergeblich, weitere Spekulationen über eine Abberufung Westerwelles zu unterbinden. Sehr überzeugend klingen seine Beteuerungen – die FDP habe momentan „ein gutes Führungsteam“ – aber nicht.

Das ist auch kein Wunder. Denn es geht nicht nur um Streit in der Sache. Es geht auch um Loyalität. Ausgerechnet jetzt verbreitet Röslers Umfeld, der neue Vizekanzler und FDP-Chef sei in der Libyen-Frage von Anfang an nicht der Auffassung Westerwelles gewesen. Zurückgehalten habe er sich im Frühjahr nur, weil er seinem damaligen Parteichef nicht in den Rücken fallen wollte. Dass der nun aber im Gegenzug selbst nach hartnäckigen Debatten mit Rösler nicht bereit war, seine Sicht der Dinge auch nur zu relativieren oder sich dem neuen FDP-Chef unterzuordnen, muss Rösler erbost haben.

Warum der neue Parteichef Rösler seinen Vorgänger noch im Amt belässt, lesen Sie auf Seite 4.

Seit Dienstag vergangener Woche bat der neue Parteichef demnach den Außenminister, die Verdienste der westlichen Nato-Einsatzkräfte bei der Befreiung des libyschen Volkes anzuerkennen. Am Mittwochmorgen drohte er sogar ganz offen beim Frühstück der liberalen Kabinettsmitglieder damit, Westerwelle bloßzustellen, wenn der sich weiter weigere, die Rolle der westlichen Partner zu loben. Am Tag darauf folgte angeblich noch einmal ein zweistündiges Telefonat. Doch Westerwelle blieb halsstarrig und verweigerte bis zum Wochenende die innerparteiliche Loyalität.

Dass Rösler ihn dennoch im Amt belässt, noch belässt, hat viel mit den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin zu tun. In beiden Ländern muss die FDP um den Einzug in das Parlament bangen. Jede Stimme, die den Liberalen entzogen wird, könnte eine sein, die zum Erreichen der Fünf-Prozent-Hürde fehlt. Und niemand weiß mit Sicherheit zu sagen, ob es in Berlin oder Schwerin nicht noch einen innerparteilichen Westerwelle-Fanblock gibt.

Rösler jedenfalls scheut das Risiko, für den Verlust seiner ersten beiden Landtagswahlen als Parteichef verantwortlich gemacht zu werden, weil er Guido Westerwelle aus dem Amt gedrängt hat. Lieber abwarten, heißt daher die Devise in der FDP-Zentrale.

Im Weltsaal im Auswärtigen Amt zeigen unterdessen manche fast schon Mitleid mit dem Minister, den die eigene Partei offenbar nur deshalb im Amt belässt, weil seine Ablösung im Moment zu große Risiken birgt. „Wer am Boden liegt, den lässt man in Ruhe“, rät ein erfahrener Diplomat. Aber Mitleid ist keine Kategorie, die in der Politik zählt – und das Letzte, das Guido Westerwelle für sich in Anspruch nehmen würde.

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