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Sekten: Wie gefährlich ist Scientology?

Der Psychokonzern wollte „den Planeten säubern“, eine neue Gesellschaft gründen und „geistig gestörte“ Menschen befreien. Doch jetzt zeigt sich: Die Sekte ist trotz neuer Werbeoffensiven dem eigenen Untergang nahe.

Kameras überwachen den Eingang in der Berliner Otto-Suhr-Allee 30–34. Aber an diesem Freitagmittag im Januar gibt es nichts zu beobachten. Die Berliner hasten vorbei, keiner hört hin, was die Stimme aus dem Monitor verkündet: „Scientology: Verstehen Sie sich selbst, verstehen Sie das Leben.“ Drinnen ist es leer, ein Mann von vielleicht 20 Jahren verschwindet fast hinter dem Empfangstresen.

Vor fünf Jahren war das anders. Passanten drückten sich an den Scheiben die Nase platt, Journalisten warteten auf Gesprächstermine, Scientologen aus ganz Europa drängten sich in den Hallen. Am 13. Januar 2007 bezog Scientology das sechsstöckige Haus mit 4.000 Quadratmetern, mitten in Berlin, um die Ecke von Ministerien und Politikern. In einem internen Papier hieß es 2006: „Berlin als die Hauptstadt Deutschlands ist die lebenswichtige Adresse bezüglich Scientology. Um unsere planetarischen Rettungskampagnen in Anwendung zu bringen, müssen wir die obersten Ebenen der deutschen Regierung in Berlin erreichen.“ Die Berliner Repräsentanz solle „die nötigen Zufahrtsstraßen in das deutsche Parlament bauen, um unsere Lösungen tatsächlich eingearbeitet zu bekommen in die gesamte deutsche Gesellschaft“.

Von diesen Plänen wusste in der Öffentlichkeit damals niemand, unbemerkt hatte Scientology das Haus gemietet und eingerichtet, der damalige Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD) musste zugeben, dass er aus der Zeitung davon erfahren hatte. Nach der Jahrtausendwende war es ruhiger geworden um die Sekte, mit einem Mal stand sie wieder auf der Tagesordnung. Zeitungen und Fernsehsender berichteten, Eltern sorgten sich um ihre Kinder, Schulen klagten über massive Zusendung von Werbematerial, Anwohner beschwerten sich, dass sie in der Otto-Suhr-Allee nicht mehr unbelästigt auf den Bus warten können. Scientologen tauchten im Abgeordnetenhaus auf und ihre Infostände überall in der Stadt. Was ist geblieben von dem Wirbel? Fünf Jahre danach?

Im Erdgeschoss des verglasten Gebäudes in Charlottenburg warten die gestapelten Ausgaben der „Dianetik“, der Bibel des Science-Fiction-Autors Lafayette Ron Hubbard, vergeblich auf Leser. Sofas sind verwaist. Laut Verfassungsschutz hat Scientology in Berlin 130 Mitglieder. 2007 waren es 200. Deutschlandweit sind 1.000 Mitglieder abgesprungen. Heute sollen es noch 4.000 bis 5.000 sein, weltweit 100.000 bis 120.000. Also nicht mehr der Rede wert?

Gehirnwäsche und Psycho-Tricks

In einer Ecke steht das „E-Meter“: zwei Blechdosen, die mit einem Messgerät verkabelt sind. Das ist das wichtigste Arbeitsinstrument der Scientologen: eine Art Lügendetektor. Er zeichnet angeblich jede emotionale Regung des Angeschlossenen auf und ermöglicht Kontrolle über das Denken und Fühlen eines anderen. Denn Ron Hubbards Mission „Clear Planet“ zielt darauf ab, den Planeten zu „säubern“. Alle „geistig gestörten“ Menschen sollen „befreit“ werden. „Geistig gestört“ sind nach Hubbards Auffassung alle Nicht-Scientologen. Das ist ernst gemeint. Mit der Scientology ist nicht zu spaßen. „Die Organisation wendet einer Gehirnwäsche vergleichbare Psycho-Techniken an“, schrieb der Bayerische Verfassungsschutz 2010. „Personen, die sich diesen Verfahren aussetzen, verändern ihre Persönlichkeit erheblich. Sie werden im Kurssystem der Organisation gefangen und entwickeln ein suchtähnliches Verlangen nach weiteren Kursen mit Kosten bis zu mehreren hunderttausend Euro.“ Am Ende stünden oft der finanzielle Ruin und eine lückenlose Kontrolle durch Scientology. „Scientologen werden darauf programmiert, wie eine Maschine zu funktionieren.“

Man merkt schnell, dass hier nichts unkontrolliert geschieht. Einfach mal umschauen ist nicht. Kaum steht man ein paar Sekunden vor den „Dianetik“-Stapeln, kommt eine grauhaarige Frau und fragt, was man möchte. „Mal umschauen.“ „Was genau wollen Sie sehen?“, fragt sie zurück. „Mal umschauen.“ Sie lässt nicht locker: „Wie kann ich Ihnen helfen?“ „Jährt sich nicht demnächst die Eröffnung des Hauses zum fünften Mal?“ Sie sagt, sie wisse es nicht. Auch der junge Mann am Empfang sagt: „keine Ahnung“. Dann wird eine Mitarbeiterin von den oberen Etagen gerufen. Sie erklärt, dass sie dazu nichts sagen kann. Auch ob es eine Feier zum Jubiläum gibt, könne sie nicht sagen. Man möge Sabine Weber anrufen, die Präsidentin von Scientology in Berlin, hier sei die Handynummer. Dann nickt sie in Richtung Tür. Das Gespräch ist beendet.

Das Oberverwaltungsgericht Münster hat festgestellt, dass die Psychosekte nicht nur für den Einzelnen gefährlich ist, der in ihre Fänge gerät, sondern auch für die Gesellschaft insgesamt. Es gebe den „begründeten Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen“, urteilten die Richter 2008, die Beobachtung durch den Verfassungsschutz sei gerechtfertigt. Aus den – zum Teil nicht allgemein zugänglichen – scientologischen Schriften sowie den Aktivitäten ihrer Mitglieder ergäben sich „zahlreiche Hinweise, dass Scientology eine Gesellschaftsordnung anstrebe, in der die Menschenwürde und das Recht auf Gleichbehandlung außer Kraft gesetzt oder eingeschränkt werden sollten“, heißt es in dem Urteil.

„Zur Hölle mit dieser Gesellschaft. Wir errichten eine neue“, schrieb Hubbard 1961. Er träumte von einem Zwei-Klassen-System, in dem nur Scientologen Grundrechte hätten. Die anderen dürften nicht mal heiraten oder Kinder bekommen. So steht es in seiner „Dianetik“, dem „Leitfaden für den menschlichen Verstand“, der wie alles, was Hubbard geschrieben hat, bis heute für Scientologen maßgeblich ist. Scientology sei dabei, ihre Prinzipien in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft mehr und mehr zu verbreiten und lege dabei ein „besonderes Augenmerk“ auf Berlin, urteilten die Münsteraner Richter.

"Wir müssen drillen und viel, viel mehr werben"

Die Aufregung um den Psychokonzern und sein neues Haus in Berlin führte dazu, dass der Berliner Senat im Sommer 2008 eine Leitstelle für Sektenfragen einrichtete. Stefan Barthel ist einer von drei Mitarbeitern. Er sagt am Telefon, dass die Missionierungsversuche 2007 und 2008 durchaus erfolgreich gewesen seien. Auch die Debatte um Tom Cruise habe Scientology geholfen.

Der Hollywood-Star ist „Operierender Thetan“ der Stufe 8 und Freund von Scientology-Boss David Miscavige. Im Sommer 2007 mischte er Berlin mit seinem Film „Valkyrie“ auf. Wochenlang diskutierten Politiker und Journalisten, ob ausgerechnet Cruise, dessen „Sekte mit dubiosen Methoden versucht, Menschen gefügig zu machen“ (Klaus-Uwe Benneter, SPD), den Widerstandskämpfer Stauffenberg spielen sollte. Schließlich durfte er sogar im Bendlerblock drehen. Im November bekam er dafür noch den „Bambi für Courage“ aus dem Medienhaus Burda – und eine Laudatio von Frank Schirrmacher, Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Journalisten schrieben von „Heldengottesdienst“. Kritiker waren sich einig: Besser hätte es Scientology nicht einfädeln können.

Im Archiv findet sich auch der Artikel des Journalisten Fredy Gareis. Er hat fünf Monate undercover bei Scientology in Berlin recherchiert und schreibt, dass es im März 2008 eine Feier mit 250 Mitgliedern gab, weil das Berliner Haus angeblich mehr Zulauf hatte als alle anderen europäischen Niederlassungen. Die einzelnen Niederlassungen werden regelmäßig von der Führung in den USA bewertet und erhalten einen bestimmten Status – je nachdem, wie viele Mitglieder sie angeworben und wie viel Geld sie in die USA überwiesen haben. 2009 sollten die Berliner vom amerikanischen Mutterhaus sogar mit dem begehrten „Saint-Hill-Status“ ausgezeichnet werden. Dann hätten sie noch teurere Kurse anbieten und Operierende Thetanen ausbilden können; die wirtschaftliche Basis wäre gesichert gewesen. Der Pokal war graviert, die Einladungen waren verschickt. So haben es ihm Aussteiger erzählt, berichtet Stefan Barthel von der Berliner Sektenleitstelle. Doch die Feier wurde abgesagt. Barthel schließt nicht aus, dass die Organisation einen Imageschaden befürchtete, nachdem die Polizei kurz zuvor gegen ein Mitglied der Berliner Scientologen Ermittlungen aufgenommen hatte. Den Saint-Hill-Status hat die Berliner Zentrale jedenfalls nicht bekommen. Danach ging es offenbar bergab.

In einem internen „Schlachtplan“ von Juli 2010 wird der „Zustand“ der Berliner Niederlassung mit „normal“ angegeben. Das ist kurz vor der „Notlage“. Das Haus müsse wieder gefüllt werden, heißt es im „Schlachtplan“, man müsse „drillen“ und „viel viel mehr werben“.

Anruf bei Ursula Caberta in Hamburg. Die frühere SPD-Politikern beschäftigt sich seit 20 Jahren mit Scientology. Von 1992 bis 2010 leitete sie die „Arbeitsgruppe Scientology“ in der Hamburger Innenbehörde. 2010 wurde die Arbeitsgruppe aufgelöst, Caberta ist in der Innenverwaltung die Ansprechpartnerin für Scientology geblieben. „Auch auf der obersten Führungsebene von Scientology in den USA gibt es Auflösungserscheinungen“, sagt sie. Vertraute von Chef David Miscavige sind ausgestiegen, darunter die Nummer zwei und der Geheimdienstchef. Vor zwei Wochen ging Debbie Cook in einer Mail an 12.000 Scientologen Miscavige direkt an. „Ein ungewöhnlicher Vorgang“, sagt Caberta, denn Kritik an der Führung sei tabu. Cook war viele Jahre ganz oben in der paramilitärischen Kaderschmiede „Sea Org“ tätig und „Captain“ im spirituellen Zentrum von Scientology in Clearwater in Florida. Cook kritisiert die rabiaten Methoden beim Spendensammeln und wirft Miscavige vor, Führungskräfte auszuschalten und Hubbards Ideen zu verraten. Cooks Ansichten „reflektieren eine kleine, unwissende und unaufgeklärte Sicht der Welt von Scientology“, hieß es in einer Stellungnahme von Scientology. Cook werde nun vermutlich zur Feindin erklärt, sagt Caberta. „Hoffentlich überlebt sie das.“

Versteckt hinter Tarnorganisationen

Die Sektenexperten sehen keinen Grund zur Entwarnung. Der Wille, die Welt zu erobern, sei ungebrochen, sagt Stefan Barthel von der Berliner Sektenleitstelle. Nach wie vor finden Schulen und Jugendclubs Werbung von Scientology in der Post, häufig auch von Tarnorganisationen wie „Sag nein zu Drogen, sag ja zum Leben“ oder „Jugend für Menschenrechte“, bei denen nicht auf den ersten Blick klar ist, dass Scientology dahintersteckt. Auch beim Karneval der Kulturen wollte Scientology mitmachen. Wer eine Immobilie kaufen will, kann Scientologen vor allem in Charlottenburg und Wilmersdorf in die Arme laufen. Und auch Bundestagsabgeordnete sind nie sicher vor ihnen. Sie werden regelmäßig von der Sekte angeschrieben und angesprochen – „in letzter Zeit wieder verstärkt“, heißt es aus dem Bundesfamilienministerium. Nach wie vor beobachtet Scientology genau, was politisch vor sich geht – bis hinein in die Berliner Bezirksparlamente. Als die Zwickauer Neonazi-Zelle aufflog, forderte die Organisation wenige Tage später per Mail an Landtags- und Bundestagsabgeordnete, der Verfassungsschutz solle seine „Ressourcen dort einsetzen, wo sie benötigt werden“ und Scientology in Ruhe lassen.

Offenbar gab es auch Versuche, die junge Piratenpartei zu unterwandern. Gegen ein Düsseldorfer Parteimitglied läuft mittlerweile ein Parteiausschlussverfahren, weil sich der Mann als Scientologe geoutet hat.

In Nordrhein-Westfalen sind die Mitgliederzahlen laut Verfassungsschutz „in den letzten Jahren stark gestiegen auf derzeit 600“. Scientology nutze die neuen Medien intensiv für Werbung und Manipulation und bediene sich Plattformen wie Youtube und Twitter, sowie sozialer Netzwerke wie Facebook, StudiVZ oder SchülerVZ, warnen die Verfassungsschützer. Sabine Riede von der „Sekten-Info NRW“ sagt, dass die Sekte versucht habe, Versicherungen zu unterwandern – bislang wohl ohne Erfolg.

Man ist an jenem Freitag im Januar noch nicht wieder von dem Ausflug in die Otto-Suhr-Allee zu Hause, da ist schon eine Mail von Sabine Weber im Postfach. Scientology habe in der Hauptstadt seit Ende 2006 „einen riesigen Sprung nach vorn vollzogen“, schreibt die Präsidentin von Scientology in Berlin. Damals seien 15 Mitglieder hauptamtlich aktiv gewesen, bei der Eröffnung der neuen Zentrale seien mehr als 100 hauptamtlich Aktive dabei gewesen. Mittlerweile seien es um die 90. Die Zahl der einfachen Mitglieder habe sich von 200 auf 600 verdreifacht. Ein Blick ins Archiv fördert zutage: Vor fünf Jahren, Anfang 2007, hatte die Organisation auch schon angegeben, in Berlin 600 Mitglieder zu haben.

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